Amerikas Blackout
Stiftet Donald Trump nur impulsiv politisches Chaos? Oder will er mit Absicht die Wertegemeinschaft des Westens zerstören? Warum nicht nur in Europa die Sorgen wachsen
Der Gipfel mit Nordkoreas Diktator Kim war als Veranstaltung ganz nach Donald Trumps Geschmack geplant: Zwei Ausnahmetypen, die sich beide als große Staatsmänner und besonders begnadete Verhandlungsprofis sehen, regeln sozusagen unter Männern eine verfahrene Situation, an der sich andere Politgrößen seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen.
Nun waren schon vor dem Gespräch einige Kompromisslinien abgesteckt, sodass die beiden Sonderlinge der Weltpolitik aus dem allein schon wegen der höchst ungewöhnlichen Umstände vorab als „historisch“etikettierten Treffen mit ein paar Fortschritten herauskommen sollten. Doch bei Donald Trumps Unberechenbarkeit weiß man das vorher nie. Selbst nach einem Treffen haben Zusagen und Vereinbarungen nicht unbedingt Bestand, wie er beim G7-Gipfel am Wochenende in Kanada bewies.
Die acht Seiten dünne Abschlusserklärung der sieben größten Industrieländer, die Trump rückwirkend mit einer stillosen TwitterKurznachricht zerfetzte, war zwar kein politisch besonders brisantes Papier. Der Inhalt war eine Aufzählung von Selbstverständlichkeiten, die unter zivilisierten Ländern selbst in Zeiten von Handelskonflikten allgemeine Gültigkeiten haben sollten. Dennoch löste Trumps Eklat auf dem G7-Gipfel besonders in den USA ein Erdbeben aus. Die Frage, ob Trump den Europäern mit Autozöllen oder Schlimmerem droht, geht vielen Amerikanern nicht besonders nahe. Dass der US-Präsident aber dem seit Generationen eng als Partner verbundenen Nachbarn Kanada brachial ins Gesicht schlägt, löste dagegen einen Aufschrei aus.
Viele schauen jetzt mit größeren Sorgen auf die Außenpolitik ihres Präsidenten. In Kanada erlebt Premier Justin Trudeau eine Welle der Solidarität dafür, wie er sich selbstbewusst Trumps aggressiver Handelspolitik entgegenstellt. Selbst die konservative Opposition versammelt sich hinter dem ihr sonst verhassten jungen liberalen Regierungschef. In den USA stößt Trumps Verhalten dagegen bis in die eigenen Reihen auf Entsetzen.
Besonderen Argwohn löst aus, dass Trump vor seinem Eklat gegen den Willen der anderen westlichen G7-Staaten auf eine erneute Einladung von Russland gedrängt hatte. Wladimir Putin war nach der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine aus dem Bündnis der „Gruppe der Acht“geflogen. Ohnehin war es zuvor ein politisches Zugeständnis der westlichen Industriestaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den USA, Putin an einen G8-Tisch zu bitten. Russlands Wirtschaftskraft rangiert hinter Indien und Brasilien.
Dass Trump dennoch überraschend Putins Rückkehr forderte, werteten amerikanische Beobachter, dass dem „America First“Präsidenten der nationalistische, autoritäre Kremlchef inzwischen politisch und menschlich näher zu stehen scheint als sämtliche westlichen Alliierten der USA. Die New
York Times fragt sogar mit völligem Ernst, ob Donald Trump die Wertegemeinschaft und das Bündnis des freien Westens zerstören will und am Ende in Russland einen neuen Partner sieht.
Tatsächlich erscheinen viele von Trumps Aktionen impulsiv und oft auch irrational. Doch in der Summe wirken Trumps Aktionen der vergangenen Monate als Angriff auf fast alles, was den modernen Westen verbindet: die Aufkündigungen des Klimaabkommens und des mühsam von Europa eingefädelten Atomwaffenabkommens mit dem Iran. Die wiederholten Infragestellungen des Nato-Bündnisses. Die Beleidigungen verbündeter Regierungschefs. Die Strafzölle und immer unverhohleneren Drohungen mit einem Handelskrieg. Und überhaupt scheint Trump auch von einem der wichtigsten Pfeiler des Westens in Friedenszeiten wenig zu halten: dem freien Handel als Motor des friedlichen Zusammenlebens der Nationen.
Schon als erste Amtshandlungen stieg Trump aus Freihandels-Verhandlungen aus, da die Abkommen scheinbar nicht seiner „America First“-Doktrin entsprachen. Alle Einwände, dass eine wirtschaftliche Abschottungspolitik bisher noch immer in der Geschichte den jeweiligen Ländern ökonomisch geschadet hat, lässt Trump nicht gelten. Zumindest, solange er vom Aufschwung profitiert, den er von der Vorgängerregierung geerbt hat.
Die Frage ist, ob Trumps Amtszeit ausreicht, um das bisherige westliche Bündnis wirklich zu zertrümmern. Ist die Phase Trump nur ein Blackout Amerikas? Ein vorübergehender Ausfall der Supermacht aus der Gemeinschaft der Verantwortungspolitik? Einer Nation, die hunderttausende ihrer Söhne auf den Schlachtfeldern opferte, um die Welt vom deutschen Nationalsozialismus zu befreien?
Eine erste Antwort, ob die Ära Trump nur eine skurrile Episode der US-Geschichte bleibt, wird die Welt im November zur Halbzeit erleben: Bei den Kongresswahlen entscheiden die Amerikaner, ob sie Trumps Politik folgen. Gewinnen seine Republikaner, muss sich Europa erst recht Sorgen machen.
Viele von Trumps Aktionen wirken wie ein Angriff auf alles, was den Westen heute verbindet