Geheimtipp für alle Schlägertypen
Golfen in Litauen? Doch, das geht. Abschlag mit Überraschungen am Mittelpunkt Europas
Eine Überraschung kommt selten allein. Hier, ein paar Kilometer nördlich der litauischen Hauptstadt Vilnius, soll der Mittelpunkt von Europa liegen? So hat es jedenfalls das Französische Nationalinstitut für Geografie ermittelt, exakt auf 54 Grad 51 Minuten nördlicher Breite und 25 Grad 19 Minuten östlicher Länge. Darum heißt die Anlage, die man hier ebenfalls nie vermutet hätte, ganz folgerichtig European Centre Golf Club. Denn dies ist die zweite Überraschung auf dieser Reise: Golfspielen in Litauen – doch, das geht.
Der baltische Staat, der im März 1990 als erstes Mitglied der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erklärte, ist nicht als große Golfnation bekannt. Gerade fünf Plätze und 1200 aktive Spieler gibt es im ganzen Land. Doch angesichts der landschaftlichen Schönheit, der spannenden Fairways und qualitätvollen Grüns darf man Litauen getrost als Geheimtipp unter den Golfdestinationen bezeichnen. Nur zwei Stunden dauert der Direktflug von München nach Vilnius.
Die litauische Hauptstadt ist Überraschung Numero drei – eine quirlige, westlich geprägte Metropole, in der vom sozialistischen Muff nichts mehr zu spüren ist. Am Ufer der Neris liegen die Menschen in der Sonne. Jugendliche zeigen mit Boards und Bikes auf der Skateranlage ihre Kunststücke. Auch in der Altstadt mit ihren barocken Bauten, die als Unesco-Welterbe gelistet ist, spielt sich das Leben vor allem unter freiem Himmel ab. Cafés reihen sich an Bars und Restaurants, Parks und Grünanlagen werden zum Treffpunkt. Der Gediminas Prospekt mit seinen schicken Geschäften verwandelt sich am Wochenende, wenn der Verkehr ausgesperrt ist, in eine Flaniermeile zwischen Kathedrale und Parlament.
Größer könnte der Kontrast nicht sein zum Vilnius Grand Resort. 20 Fahrminuten von der Großstadt entfernt, bietet das Vier-SterneHaus mit dem V-Club einen Championship-Platz von höchstem Niveau. Wer unter der Woche spielt, begegnet mitunter kaum einer Menschenseele. Dabei ist die Anlage dank des südafrikanischen HeadGreenkeepers AJ Steyn und seines vierköpfigen Teams sehr gepflegt und anspruchsvoll. Die pfeilschnellen und makellosen Grüns sind für Durchschnittsspieler anfangs ge-
Kurz informiert
● Anreise Verschiedene Fluglinien, darunter auch Air Baltic, bieten mehrmals täglich Direktflüge von Mün chen nach Vilnius an.
● Wohnen Das Vilnius Grand Resort ist etwa 25 Fahrminuten vom Flug hafen entfernt. Es liegt inmitten deiner 160 Hektar großen Anlage direkt am See. Das Haus bietet zwei Restau rants, eine Bar und rund 200 Zim mer. Derzeit entsteht ein neues Spa mit mehreren tausend Quadratmetern Nutzfläche.
● Golfen Das Resort bietet ein Golfpa ket mit drei Übernachtungen mit Frühstück und je einer Runde auf V Club, European Centre Golf Club wöhnungsbedürftig, ermöglichen dann aber sehr akkurate Putts.
Als der Ball schließlich im Loch klappert, fragt unser Flightpartner Ahmed mit einem maliziösen Lächeln: „War das schwer?“Eben haben wir die Sieben des V-Golfclubs mehr schlecht als recht hinter uns gebracht – ein Par 5 von 557 Metern Länge, bei dem der Abschlag präzise durch zwei Baumreihen hindurch platziert sein will, bevor der mit neun Bunkern gespickte Fairway zuerst nach links und dann wieder nach rechts schwenkt. Wir blasen die Backen auf und nicken. Doch Ahmed macht alle Hoffnung zunichte, dass wir nun besseren Zeiten entgegengehen könnten. „Das war Baby im Vergleich zum nächsten Loch“, kündigt er fröhlich an.
Wer an der Acht auf der Scorekarte ein Par notieren will, braucht und Capitals Golf Club inklusive Trans fers für 336 Euro pro Person (gültig bis Ende Oktober 2018). einen sicheren Drive von mindestens 180 Metern Länge über den Teich mit der Insel hinweg. Nur dann öffnet sich das Dogleg für den zweiten Schlag auf das bewegte und gut verteidigte Grün. Allen anderen Spielern bleibt die Möglichkeit, mit dem kurzen Eisen in einem schmalen Korridor zielgenau vorzulegen, ohne dass der Ball nach links ins Wasser oder nach rechts ins Rough davonspringt. Tatsächlich gibt es hier unzählige Möglichkeiten, einen Ball zu versenken. An 15 der 18 Löcher kommt Wasser ins Spiel, und wenn die Kugel ins dichte Unterholz rollt, lohnt sich die Suche meist ebenfalls nicht.
Während wir nach der Runde bei einem Glas Svyturys, dem hellen litauischen Bier, auf der Klubhausterrasse sitzen, zählen wir nicht nur die Stableford-Punkte, sondern auch die Verluste bei Titleist, Srixon und Co. Sind noch genügend Bälle übrig für die morgige Runde auf dem Capitals Golf Club? Große Teile Litauens sind von Mooren geprägt, schlanke Birken und dichte Wacholderheide säumen die Feuchtgebiete. Vor allem die zweiten Neun des Capitals treffen immer wieder auf Wasserflächen, die den einen oder anderen Ball kosten können.
Unseren Flightpartner Ahmed ficht das nicht an. Und das ist schon wieder eine der vielen Überraschungen, die dieses Land bietet: Der Ägypter, den Beruf und Liebe ins Baltikum verschlagen haben, schätzt die Unaufgeregtheit Litauens. Ein idealer Platz, um eine Familie zu gründen und Kinder aufzuziehen, findet er. Nicht überall in Europa hat er mit seinem dunklen Teint und seinem dichten schwarzen Haar so gute Erfahrungen gemacht, auch nicht in Deutschland.
Spricht’s und macht sich ganz entspannt auf die Suche nach seinem Ball, der irgendwo im Rough stecken geblieben ist. Dass ein nachfolgender Flight deswegen zu drängeln beginnt, muss man hier nicht befürchten. Der Capitals Golf Club zählt gerade 120 Mitglieder und 3500 Greenfee-Spieler im Jahr, erzählt Manager Harri Ahtiainen, der aus Finnland stammt und ebenfalls in Litauen Wurzeln geschlagen hat.
Geld verdienen lässt sich angesichts solcher Zahlen mit dem Golfsport hier nicht. Aber es lässt sich langsam etwas aufbauen, sagt Mindaugas Glinskis, der zusammen mit einem Geschäftspartner vor ein paar Jahren den European Centre Golf Club übernommen hat. Auf der Runde über den 18-Loch-Platz zückt er immer wieder das Handy. Nicht etwa, um die Störche zu fotografieren, die seelenruhig über den Fairway spazieren. Nein, er hält hier einen schiefen Pfosten, dort einen nicht sorgfältig genug ausgemähten Bunkerrand fest und schickt die Bilder an das Greenkeeping–Team – der Chef sieht alles und hält seine Leute auf Trab.
Der Lohn dieser Anstrengung: Firmen wie BMW, Nike oder Turkish Airlines richten auf der abwechslungsreichen, äußerst gepflegten Anlage ihre Turniere aus. Und gemeinsam mit den Kollegen von V-Club und Capitals arbeitet Glinskis daran, dass man bald keine überraschten Blicke mehr erntet, wenn man sagt: Ich fliege zum Golfen nach Litauen.