Aus dem Lager dringen die Schreie der Kinder
Erschütternde Szenen an der Grenze zu Mexiko, wo Familien auseinandergerissen werden. So funktioniert Trumps Flüchtlingspolitik
McAllen/Texas Anwalt Miguel A. Nogueras hat Sympathie für die Grenzer, denen die Regierung eine grausame Aufgabe zugewiesen hat. Seit Anfang Mai müssen sie auf Weisung von Justizminister Jeff Sessions Eltern, die ohne Papiere über die Grenze kommen, ihre Kinder wegnehmen. „Sie sagen ihnen bei der Trennung, die Kinder müssten ein Bad nehmen“, berichtet der Pflichtverteidiger von Gesprächen mit seinen Klienten. „Anschließend sehen sie ihre Kinder nicht wieder.“Dies sei kein Einzelfall.
Nicht nur das erinnert den ehemaligen CIA-Direktor Michael Hayden an düstere Zeiten. Anfang der Woche twitterte der Spionagechef von George W. Bush ein Bild vom Konzentrationslager Birkenau. Darunter der denkwürdige Satz: „Andere Regierungen haben Mütter von ihren Kindern getrennt.“Hayden rechtfertigte auf den Vergleich mit dem Hinweis auf den Verfall der Standards im öffentlichen Leben. Es mache ihm Angst, was derzeit in den USA passiert.
Damit steht Hayden nicht allein. Zwei Drittel der Amerikaner sind laut aktuellen Umfragen nicht mit der von Präsident Donald Trump angeordneten Zwangstrennung einverstanden. Und mit jedem neuen Detail, das an die Öffentlichkeit gelangt, wächst der Druck, die unmenschliche Politik zu beenden.
„Pro Public“verbreitete eine Tonaufnahme aus einem Lager an der Grenze zu Mexiko. Dort werden einige der 2300 seit April ihren Eltern entrissenen Kinder festgehalten. Zu hören sind verzweifelte Stimmen. Sie rufen nach „Mama“und „Papa“. „Wir haben ein Orchester hier“, witzelt ein US-Grenzer über die Angst der Kleinkinder, die oft nicht mehr als diese beiden Worte sagen können. „Es fehlt nur noch ein Dirigent.“
Das visuelle Gegenstück sind die Bilder von Lagern, die zeigen, wie Minderjährige hinter Maschendraht-Zäunen gehalten werden. Rasend schnell verbreitete sich das Foto eines schreienden Mädchens, das Angst hat, von seiner Mutter ge- trennt zu werden. Fotograf John Moore nahm es auf, während USGrenzer die Asylbewerberin nach ihrer Festnahme durchsuchten.
„Diese Situation zeigt, was Trennungsangst bedeutet“, sagt der hartgesottene Bildreporter, den die nächtliche Szene vom Rio Grande an der texanisch-mexikanischen Grenze nicht mehr loslässt. Das ging vielen Betrachtern ähnlich. Seitdem ist das Bild des weinenden Mädchens das Symbol der „Null-Toleranz-Politik“Trumps an der Grenze zu Mexiko.
Allein am Grenzübergang in McAllen (Texas) trennt die Border Patrol nach inoffiziellen Zählungen von Anwälten täglich im Schnitt zwischen 50 und 60 Minderjährige von ihren Eltern. Die landen, seit Trump seine „Null-Toleranz-Politik“an der Grenze angeordnet hat, ausnahmslos wegen „unerlaubter Einreise“vor Gericht. Justizminister Sessions rechtfertigte die neue Praxis mit den Buchstaben des Gesetzes. „Wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Kind von Ihnen getrennt wird, dann bringen Sie es nicht illegal über die Grenze.“Er versprach, Asylsuchende, die sich an einem Grenzübergang meldeten, blieben von dieser Maßnahme ausgenommen.
Die Realität entlang der Grenze zu Mexiko sieht nach übereinstimmenden Hinweisen von Politikern, Menschenrechtlern und Betroffenen allerdings anders aus. Demnach hindert die US-Border-Patrol seit kurzem Asylsuchende aktiv daran, offizielle Grenzübergänge zu erreichen. Wer es schafft, einen Antrag zu stellen, steht vor einer zusätzlichen Hürde, die Sessions jetzt errichtete: Die Verfolgung durch brutale Gangs oder häusliche Gewalt werden nicht mehr als Fluchtgrund anerkannt.
Die bestehenden Lager platzen aus allen Nähten. In einem ehemaligen Walmart in McAllen, wohin kürzlich Reporter geführt wurden, werden etwa 1400 Minderjährige verwahrt, die entweder unbegleitet über die Grenze kamen oder Opfer der Zwangstrennung sind. Jeweils fünf Kinder und Jugendliche schlafen in provisorisch abgetrennten Verschlägen. Auf dem Weg zu den ebenfalls provisorischen Klassenräumen raunt eine Repräsentantin des privaten Betreibers „Southwest Key“den Reportern zu, sie mögen die Jungen anlächeln. „Die Kinder fühlen sich ein wenig wie Tiere im Käfig, die angegafft werden.“
Präsident Trump schickte derweil First Lady Melania vor, Sympathien mit den Kindern zu bekunden. Ganz wie der Präsident tat sie so, als sei die Zwangstrennung unvermeidbar, weil sich „beide Seiten“im Kongress nicht auf eine Reform der Einwanderung verständigen könnten. Trump selber zeigte mit dem Finger direkt auf die Demokraten und behauptete fälschlich, ein Gesetz seines Vorgängers Barack Obama sei für die Zwangstrennung der Familien verantwortlich. „Warum geben uns die Demokraten nicht ihre Stimmen, um das schlechteste Einwanderungsgesetz der Welt zu reparieren?“Nachweislich gibt es kein Gesetz, das die Familientrennung vorschreibt.
Seit Bild- und Ton-Dokumente die Realität an der Grenze immer eindringlicher veranschaulichen, mangelt es nicht an lautstarkem Widerspruch. Dieser reicht von der säkularen Bürgerrechtsorganisation ACLU über die katholische Bischofskonferenz bis hin zu erzkonservativen Republikanern wie Senator Ted Cruz. Die demokratische Senatorin Kamala Harris forderte den Rücktritt von HeimatschutzMinisterin Kirstjen Nielsen, die Trumps Grenzpolitik umsetzt. „Lasst uns diese Politik nennen, was sie ist: eine Menschenrechtsverletzung, die von der Regierung der Vereinigten Staaten verübt wird.“Nielsen wies den Vorwurf zurück, Familien als Faustpfand zu benutzen, um die Einwanderung in die USA zu beenden. Es sei beleidigend, so etwas zu unterstellen.
„Es ist eine Menschenrechtsverletzung, die von der Regierung der Vereinigten Staaten verübt wird.“Die demokratische US Senatorin Kamala Harris