Bunte Alternative für Augsburg
Die Ängste waren groß. Die Polizei befürchtete Gewalttaten am Rande des AfD-Parteitages. Es passiert nichts. Abgesehen von wenigen Zwischenfällen demonstrieren 6000 Menschen friedlich. Über Liebesbotschaften, Polonaise gegen Pegida und die Reden der Recht
Augsburg Da gehen sie also durch die Straßen Augsburgs, schreien, tanzen, singen, knutschen. Rund 6000 Menschen sind es, die am Samstag lautstark gegen die AfD protestieren. Sie halten kreative Plakate in die Höhe, auf denen Sätze wie „Nazis essen heimlich Döner“stehen. Demokratie kann schön bunt und fröhlich sein.
Demokratie kann aber auch unfair sein. Gegen 14 Uhr tritt Oberbürgermeister Kurt Gribl bei der zentralen Kundgebung „Zeig Dich Aux!“am Rathausplatz auf die Bühne. Er will über die Friedensstadt Augsburg sprechen. Was er sagt, geht in einem lauten Konzert von Pfiffen und Buhrufen unter. Vor der Bühne kommt es zu einem Handgemenge zwischen Polizisten und etwa 20 linken Aktivisten. Es fliegen Tomaten, Eier und Plastikflaschen. Gribl wird nicht getroffen, zumindest nicht körperlich.
Der Augsburger OB muss dafür büßen, dass seine Partei, die CSU, einen harten Kurs in der Asylpolitik fährt. Bei vielen Demonstranten aus dem linken Spektrum kommt das gar nicht gut an. Sie geben Gribl keine Chance, wenngleich der sicher nicht als Hardliner in der CSU bekannt ist. Ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie schwierig das ist mit der Toleranz gegenüber politisch Andersdenkenden. Viele in der Menge stellen sich allerdings dann wieder gegen die Randalierer und drängen sie ab. Ihnen geht es um friedlichen Protest und darum, Haltung zu zeigen, nicht um Randale. „Zur Fairness gehört auch, dass man anderen zuhört“, sagt Teresa Rothenberger.
Augsburg hat ein heißes Wochenende hinter sich. Die Wochen zuvor waren geprägt von der Angst, dass die Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag in Krawalle ausarten, wie es zuletzt in Köln und Hannover der Fall war. Ein „Krawallreiseführer“im Internet listete mögliche Angriffsziele für Gewalttäter auf. Geschäftsleute ließen ihre Läden zu oder engagierten Sicherheitsdienste. Die Polizei rüstete sich für alle Fälle. Gut 2000 Beamten aus dem gesamten Bundesgebiet sind zusammengezogen worden.
Doch es bleibt friedlich, abgesehen von kleinen Zwischenfällen. Die „Alternative für Deutschland“hat sich wenige Monate vor der Landtagswahl in Bayern Augsburg bewusst als Tagungsort ausgesucht – eine jener Großstädte mit dem höchsten Ausländeranteil. Mehr als Prozent der Einwohner haben einen Migrationshintergrund. Doch Augsburg hat sich vorgenommen, sich als weltoffene, tolerante und bunte Stadt zu präsentieren. Als einzige Stadt in Deutschland, die dem Frieden einen eigenen Feiertag gewidmet hat. Das gelingt auf überzeugende Weise. Am Ende bedankt sich sogar die Polizei bei den Demonstranten und Veranstaltern.
Am Samstag herrscht in aller Früh noch gespannte Ruhe in der Stadt. Schon im Morgengrauen haben vor dem Schauplatz des AfD-Parteitages hunderte Polizisten Stellung bezogen. Das Messegelände ist abgeriegelt. Erste Demonstranten kommen. Sie haben Fahnen dabei. Und Schilder. „Oma schickt mich“, steht darauf oder „Wenn AfD die Antwort ist, wie dumm war die Frage?“oder „Liebe statt Hass“. Von Ausschreitungen oder Blockaden keine Spur.
Die Stimmung heizt sich erst auf, als erste Delegierte in die Schwabenhalle wollen und sich an der Zufahrtsstraße immer mehr Demonstranten versammeln – auch Aktivisten, die die Polizei als linksextremistisch einstuft. Einige versuchen, über die Absperrung zu klettern. Es gibt Handgemenge mit den schwarz gekleideten Beamten. Pfefferspray kommt zum Einsatz. Im Demo-Zug wird eine Rauchbombe gezündet.
Während draußen rote Rauchschwaden umherziehen, dominieren drinnen andere Farben. Ein AfDParteimitglied mit hellbraunem Kurzarmhemd präsentiert stolz seine Krawatte. Dunkelgrün mit goldenen Jagdhunden – das ist doch... „Genau, die vom Gauland“, ruft seine Begleiterin. „Hab ich bei Amazon gekauft“, sagt der Krawattenträger. Auch das Original ist inzwischen eingetroffen, samt Hundekrawatte. Parteichef Alexander Gauland nimmt auf der Bühne Platz und zieht einen Stapel Papier aus seinem abgenutzten braunen Lederkoffer. Wenig später eröffnet er den Parteitag. Zur Begeisterung der rund 500 Delegierten zeichnet er ein düsteres Szenario, spricht von „Bevölkerungsaustausch“, vergleicht Deutschland mit der DDR in ihren letzten Tagen und ätzt: „Auch rhetorisch spielt die Kanzlerin in Honeckers Liga.“
Gaulands Rede ist die eines Mannes, der vor Abscheu und Häme gegen die politische Konkurrenz strotzt. „Wieder verkommt ein Land, weil seine Führung verbohrt einer zerstörerischen Ideologie folgt“, sagt der 77-Jährige. Das Publikum johlt. Die Menschen hier wähnen sich ihrem wichtigsten Ziel nahe, als Gauland verspricht: „Merkel fällt, egal wie lange sie noch mit den Armen rudert.“Und was wäre eine AfD-Parteitagsrede ohne Anspielung auf Hitler und die Nazis? Das Publikum lauert, Gauland liefert. „Meine Damen und Herren, liebe Freunde, der letzte deutsche Regierungschef, der eine solche Feindkonstellation gegen sich aufgebracht hat…“, sagt er und genießt stumm das hundertfache höhnische „Ho ho ho“und den frenetischen Applaus. Um dann in demonstrativ gespielter Unschuld zu sagen: „Ich hab’ aber nicht verglichen.“Gauland, der ältere Herr mit den Tweed-Sakkos, ist inzwischen auch die Ikone der Partei-Jugend, die Aufkleber mit dem Slogan „Onkel Gauland braucht Dich für Deine Heimat“verkauft.
Draußen brüllen die Demonstranten „Es gibt kein Recht auf Nazi44 Propaganda“. Die Versammlung ist auf mehrere tausend Menschen angewachsen. Die Stimmung ist gut. Ein Polizei-Hubschrauber schwebt über der Szenerie. Der Zug Richtung Innenstadt setzt sich gegen 11.10 Uhr in Bewegung. Ein massives Polizeiaufgebot begleitet ihn. Doch die Polizisten verhalten sich defensiv. Einige sogenannte Kommunikationsbeamte, die keine Waffen tragen, suchen immer wieder das direkte Gespräch mit Demonstranten. Im Stadtteil Hochfeld zeigt ein Mann am Straßenrand den Hitler-Gruß. Auch diese Situation bekommt die Polizei gut in den Griff. Der Nahverkehr in der City steht zu diesem Zeitpunkt fast komplett still.
In der Schwabenhalle tritt der zweite AfD-Chef ans Mikrofon – und irritiert seine Parteifreunde. Denn Jörg Meuthen spricht erst einmal gar nicht über Flüchtlinge, Merkel und Linksfaschisten. Er versucht es mit einem Konzept zu Rente und Sozialpolitik. Ein Themenfeld, auf dem die AfD bislang nichts zu bieten hat. Warum das so ist, zeigt auch die Reaktion des Publikums, das Meuthens Rede emotionslos über sich ergehen lässt. Der Vorsitzende scheint das zu spüren. Gegen Ende versucht er, die Stimmung zu retten. Er wirft ein paar Kampfbegriffe in die Halle, „Links-rot-grün-versifft“und „Merkels Multikulti-Entourage“. Als er eine „Festung Europa“fordert und die Rechtspopulisten Strache, Salvini und Orbán als Verbündete feiert, sind alle wieder wach.
Als der Demozug nach zwei Stunden am Königsplatz ankommt, sind viele ermattet. Die Polizei sorgt für Erfrischung. Sie hat die Feuerwehr gebeten, den Demonstranten Wasser aus Hydranten zu geben. Nach dem Marsch durch die Mittagshitze nehmen die gerne an. Sie rufen: „Ganz Augsburg liebt die Feuerwehr.“Von einem Lkw dröhnt laute elektronische Musik. Fast wie bei einem Musikfestival. Der Rathausplatz füllt sich. Ein zweiter Demonstrationszug von einer Gewerkschafts-Veranstaltung ist eingetroffen.
Beim Parteitag selbst ist die Luft erst mal raus. Es beginnt ein zäher Marathon von Anträgen, Wahlen und Formalien. Nur einmal bricht Hektik aus. Weil einige Mitglieder bei einer Abstimmung versehentlich nicht ihre Stimmkarten, sondern die Zimmerkarten ihres Hotels verwendet haben, ist das Ergebnis ungültig.
Die Demonstranten in der Innenstadt wissen, welche Schilder sie verwenden. Der Rathausplatz ist voll. Die zentrale Kundgebung des Bündnisses für Menschenwürde beginnt. Es gibt Musik und Reden. Die aus Augsburg stammende BundestagsVizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) zeigt Leidenschaft: „Lasst uns gemeinsam aufstehen gegen den Hass, für ein friedliches, vielfältiges Miteinander. Das ist unser Land.“Der AfD wirft sie „offenen Rassismus“vor. Später tritt der bekannte Musiker Joris auf. Am Martin-Luther-Platz in der Fußgängerzone wird Liebe statt Hass gelebt. 40 Frauen und Männer haben sich unter dem Motto „Knutschen gegen die AfD“getroffen. Sie haben Spaß. Ein Teilnehmer sagt: „Die Stimmung im Land ist so aggressiv, wir wollen ein Zeichen der Liebe setzen.“Das wollen nicht alle. Vor der CSU-Zentrale fliegen Böller. Vor dem Wohnhaus eines Augsburger AfD-Vorstandsmitglieds hat jemand mit roter Farbe auf den Boden gesprüht: „Keine Ruhe den rechten Hetzern“. Die Polizei ermittelt, wie bei rund 20 weiteren Straftaten, zumeist Sachbeschädigungen. Pressesprecher Thomas Rieger sagt: „Es war teils emotional, aber äußerst friedlich.“
Sehr aufgeregt geht es am nordwestlichen Teil des Königsplatzes zu. Dort hat die rechtsextreme „Pegida“-Bewegung aus München einen Stand aufgebaut. Er ist durch eine doppelte Reihe von Sperrzäunen und viele dutzend Polizisten gesichert. Hunderte Demonstranten stehen zehn „Pegida“-Leuten gegenüber. Deren Chef Heinz Meyer, gegen den eine Anklage wegen Volksverhetzung vorliegt, tigert durch das Gitter wie einer, der in seinem Garten Wache hält. Die anderen sitzen auf weißen Plastikstühlen. Es passiert: nichts. Nur aus Lautsprechern dröhnen abwechselnd Muezzin-Klänge, anti-islamische Reden und das Lied „Für Deutschland die AfD“. Das bringt die Demonstranten ziemlich
Am Ende bedankt sich sogar die Polizei
Ein letzter emotionaler Ausbruch in der Messehalle
in Rage. Sie skandieren „Nazis raus“und provozieren mit „Allahu akbar“-Rufen. Dennoch gibt es keinerlei Gewalttaten. Die Protestierenden machen vielmehr eine Polonaise um das Absperrgitter und singen „Wir haben Spaß, was habt ihr?“
Für einen letzten emotionalen Ausbruch in der Messehalle sorgt eine Frau, die gar kein AfD-Mitglied ist. „Deutschland ist ein Fall für den Psychiater“, schimpft die langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete und erbitterte Merkel-Feindin Erika Steinbach. Die ermattete Menge reißt es regelrecht von den Sitzen. Es ist eine Bewerbungsrede. Nicht für den Parteivorsitz, auch wenn sich das viele AfD-Leute sicherlich vorstellen könnten, sondern für eine Stiftung, deren Chefin Steinbach ist. Am Ende wird die Desiderius-Erasmus-Stiftung offiziell als „parteinah“anerkannt. Das bringt der AfD Geld – und Steinbach Genugtuung.
Als die Sonne schon tief steht, wendet sich ein junges Pärchen von der „Pegida“-Veranstaltung ab. Auf seinem Schild steht „Augsburg ist bunt“. Sie sagt: „Komm, wir lassen die Deppen jetzt stehen.“
Dann wird es ruhig in Augsburg.
Es berichten: Holger Sabinsky Wolf, Michael Stifter, Jörg Heinzle, Ina Kresse, Marcus Bürzle, Stefan Krog, Franziska Wolfinger, Tim Frehler