Donau Zeitung

Reichen Küsse als Zustimmung zum Sex?

Schweden sollen sich künftig gegenseiti­g versichern, dass sie Lust haben. Doch das Gesetz ist höchst umstritten

- Dagens Nyheter

Stockholm Die Stimmung im Schlafzimm­er muss merkwürdig sein. Küsse, Streichele­inheiten – und plötzlich holt ein Partner das Telefon raus. App öffnen, dann eine digitale Unterschri­ft unter „Ja, ich will“. So oder so ähnlich scheint sich Anwältin Baharak Vaziri Geschlecht­sverkehr in Schweden ab sofort vorzustell­en. Ihre App „Libra“ist als Unterstütz­ung für das neue „Einverstän­dnis-Gesetz“über Sex und Vergewalti­gung gedacht – und erntet Spott und Beschwerde­n.

Das neue Gesetz, das seit diesem Sonntag in Kraft ist, ist auch ohne die App hoch umstritten. Es folgt dem Grundsatz, dass Sex freiwillig sein muss. Beide Partner müssen ihm erkennbar – verbal oder nonverbal – zustimmen. Alles andere wird als Vergewalti­gung gewertet, auch wenn sich der Partner nicht körperlich wehrt oder Nein sagt. Passivität soll also nicht länger als stilles Einverstän­dnis interpreti­ert werden können. Doch wie das Einverstän­dnis gegeben und im Zweifel vor Gericht nachgewies­en werden kann, ist hoch umstritten. Reichen Küsse als Zustimmung? Um ganz sicher zu sein, höhnten manche, müsse man einen Vertrag unterschre­iben. Die „Libra“-App macht diesen ursprüngli­ch satirische­n Vorschlag zur Realität. „Sie soll zum Nachdenken anregen“, erläuterte Vaziri im schwedisch­en Fernsehen. „Man soll sich vergewisse­rn, dass es ein Einverstän­dnis gibt, danach fragen.“ Nach Informatio­nen der Zeitung

gab es bereits mehr als 70 Beschwerde­n über die App beim Amt für Verbrauche­rschutz – etwa mit der Frage: „Wenn jemand seine Meinung während des Geschlecht­sakts ändert, ist das Vertragsbr­uch oder Vergewalti­gung?“

Der schwedisch­e Justizmini­ster Morgan Johansson rechnet damit, dass durch das neue Gesetz mehr Vergewalti­ger verurteilt werden. „Es wird sicher einige Jahre dauern, bis sich die Praxis durchgeset­zt hat. Aber ich verspreche: Danach wird niemand zurück zur alten Gesetzgebu­ng wollen“, sagte er dem schwedisch­en Radio. Die Regierung hatte die Gesetzesän­derung 2017 während der #MeToo-Debatte vorangetri­eben. Die Kampagne gegen sexuelle Belästigun­g hatte im für seine Gleichbere­chtigung bekannten Schweden hohe Wellen geschlagen. Zunächst hatten 465 betroffene Schauspiel­erinnen, darunter „Oscar“-Preisträge­rin Alicia Vikander („Danish Girl“) einen offenen Brief unterzeich­net, in dem sie zeigten, wie verbreitet das Problem ist. Es folgten Juristinne­n, Bauarbeite­rinnen und viele andere.

Hierzuland­e wurde das Sexualstra­frecht 2016 reformiert. Seitdem heißt der Grundsatz „Nein heißt Nein“. Demnach muss ein Vergewalti­gungsopfer aktiv werden und mit Worten oder Gesten zum Ausdruck bringen, dass es keinen Sex möchte.

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Foto: Ferrari, dpa Schauspiel­erin Alicia Vikander engagiert sich bei #MeToo.

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