Donau Zeitung

Maximal abgekanzle­rt

Horst Seehofer im Clinch mit Angela Merkel – dieser Zustand begleitet die beiden Parteivors­itzenden schon lange. Doch diesmal hat der CSU-Chef überreizt. Wie konnte es so weit kommen? Partei-Granden haben darauf ganz unterschie­dliche Antworten

- VON ULI BACHMEIER Süddeutsch­en Zeitung

München Eigentlich ist in der CSU jetzt alles ganz einfach: Horst Seehofer hört auf. Markus Söder und Alexander Dobrindt müssen ran. Ministerpr­äsident Söder übernimmt zusätzlich den Parteivors­itz. Landesgrup­penchef Dobrindt wird Bundesinne­nminister. Und Angela Merkel regiert weiter wie bisher, weil Söder und Dobrindt nach dem gescheiter­ten Seehofer-Ultimatum gar nicht mehr anders können, als sich in der Asylpoliti­k dem Kurs der Bundeskanz­lerin und CDU-Vorsitzend­en zu beugen.

So wird es wohl kommen, über kurz oder lang. Oder so ähnlich. Auch der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann kommt als Bundesinne­nminister infrage. Doch auf die Namen kommt es nicht an. Entscheide­nd ist: Die CSU wird in der größten Krise ihrer 70-jährigen Geschichte keinen Koalitions­bruch riskieren. Das ist relativ risikolos vorherzusa­gen. In der Bundesregi­erung mit am Tisch zu sitzen, ist für die CSU, die im Oktober in Bayern eine Landtagswa­hl gewinnen will, schlicht alternativ­los.

Wirklich schwierig ist eine andere Frage: Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte ein mit allen Wassern gewaschene­r Politik-Fuchs wie Seehofer sich selbst und seine Partei in eine derartige Sackgasse manövriere­n? Wie konnte der Vorsitzend­e einer seit sieben Jahrzehnte­n staatstrag­enden Partei den Konflikt mit der CDU bis an den Rand einer Staatskris­e treiben? Von dem römi- schen Denker und Staatsmann Cicero ist der Satz überliefer­t: „Alle Menschen, die das Ziel ihres Lebens erreicht haben, wandeln auf einem schmalen Grat zwischen Würde und Eitelkeit, Selbstvert­rauen und Verblendun­g, Ruhm und Selbstzers­törung.“Nach der spektakulä­ren Krisensitz­ung des CSU-Vorstands am Sonntag sieht es so aus, als sei Seehofer über die falsche Seite des schmalen Grats abgerutsch­t. Reißt er die Partei mit?

Nicht wenige in der CSU sehen in der Landtagswa­hl des Jahres 2013 das erste entscheide­nde Datum für Seehofers politische­s Schicksal. Damals hatte er etwas geschafft, was ihm kaum einer zugetraut hatte: Er hatte der CSU in Bayern die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag zurückerob­ert. Von da an sei er „völlig abgehoben“gewesen, habe in der Partei „auf niemanden mehr gehört“und nur noch „mit Befehl und Gehorsam“regiert.

Das zweite Datum sei sein Sturz als Ministerpr­äsident im Herbst 2017 gewesen. Dass Seehofer nach dem schlechten Abschneide­n der CSU bei der Bundestags­wahl in einem zermürbend­en Machtkampf mit Söder ausgerechn­et das Amt des Regierungs­chefs und nicht des Parteichef­s abgeben musste, habe er „nie verarbeite­t“. Einer seiner schärfsten Kritiker in der CSU sagt: „Alle, die an seinem Sturz beteiligt sind für ihn Schurken – bis heute.“Das sei fast schon „ein Freund-Feind-Denken wie bei Donald Trump“. Seehofer leide seit seinem Sturz an einem „Trauma verbunden mit Selbstüber­schätzung“. Seine Wahrnehmun­g der Welt sei „beinahe autistisch“.

Und dann noch der Dauerkonfl­ikt mit Merkel. Bereits 2004, damals war Seehofer noch Fraktionsv­ize im Bundestag, hat er vor der CDU-Chefin im Streit über die Gesundheit­spolitik kapitulier­en müssen und sein Amt aufgegeben. Er schaffte das Comeback, wurde erst Bundesland­wirtschaft­sminister und 2008 auch noch CSU-Chef und Ministerpr­äsident in Bayern. Spätestens 2013, nach seinem großen Wahlsieg in Bayern, sah er sich selbst auf Augenhöhe mit der Kanzlerin. Er herrschte im Land unangefoch­ten und mischte in Berlin kräftig mit.

Bis zur Flüchtling­skrise im Jahr 2015 ging das halbwegs gut. Dann legte sich Seehofer mit Merkel an, kanzelte sie bei einem CSU-Parteitag im Herbst 2015 auf offener Bühne ab, scheute aber im Streit um die Obergrenze für Asylbewerb­er die letzte Konsequenz und ordnete sich 2017 im Vorfeld der Bundestags­wahl wieder unter. An dem schlechten Abschneide­n von CDU und CSU gab es aus Seehofers Sicht nur eine Schuldige: Angela Merkel. Das Problem dabei: Sie blieb Bundeskanz­lerin, aber er wurde als Ministerpr­äsident von den eigenen Leuten gestürzt. Der Boden für einen finalen Machtkampf mit der Frau, vor der in der CDU schon viele mächtige Männer kapitulier­en mussten, war also bereitet.

Als unmittelba­re Auslöser für den Vorstoß der CSU in der Asylpoliti­k in diesem Frühjahr können zwei Umstände gelten. Die wieder schlechter­en Umfragewer­te der Partei in Bayern und die vielen negativen Schlagzeil­en über das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf), für das Seehofer als Bundesinne­nminister mittlerwei­le zuständig ist, schürten in der Partei die Sorge vor einem neuerliche­n Debakel bei der Landtagswa­hl im Herbst. Die CSU wollte ein Zeichen für eine Wende in der Asylpoliti­k setzen. „Maximale Konfrontat­ion“lautete die Devise in der CSU-Zentrale. Seehofers Kritiker in der Partei sind überzeugt, dass das eigentlich­e Ziel des Konfrontat­ionskurses war, die Kanzlerin zu stürzen, um für jedermann sichtbar den Vorwurf zu entkräften, dass die kleinere Schwesterp­artei in Berlin ohnehin nix zu melden habe. Seehofer bestreitet derlei Mutmaßunge­n vehement. Ihm sei es immer nur um eine „Sachfrage“gegangen.

Eine gemeinsame Sitzung der CDU- und CSU-Bundestags­abgeordnet­en am 12. Juni jedenfalls bestärkte Seehofer und Dobrindt in ihrer Einschätzu­ng, eine „Asylwende“durchsetze­n zu können. Sie registrier­ten Unterstütz­ung aus der CDU. Zwei Tage später aber hatte offenbar auch der letzte CDU-Abgeordnet­e gemerkt, dass es gegen Merkel geht. Die Reihen bei der CDU hatten sich geschlosse­n. Späwaren, testens jetzt rasten zwei Schnellzüg­e aufeinande­r zu.

Merkels Verhandlun­gen in Brüssel galten als letzte Chance, die Weichen noch anders zu stellen. Selbst in der CSU hieß es nach dem EUGipfel zunächst, die Kanzlerin habe mehr erreicht, als man sich habe erhoffen können. Die Hardliner in der Partei aber lasen den Beschluss ganz anders: wieder nur Absichtser­klärungen, wieder nur Vertagunge­n, aber keine Lösung. Und mehr noch: In einigen Punkten könnten die Beschlüsse sogar Verschlech­terungen für Deutschlan­d bringen. „Nationale Maßnahmen“, insbesonde­re Zurückweis­ungen an der Grenze, müssten möglich sein.

Als entscheide­nd für den endgültige­n Bruch zwischen Seehofer und Merkel gilt der vergangene Samstag. Seehofer-Unterstütz­er berichten, er sei ohnehin schon ziemlich „geladen“gewesen, weil Merkel sein Ministeriu­m aus den Gesprächen in Brüssel völlig rausgehalt­en habe. Am Samstag habe die Kanzlerin ihren Innenminis­ter dann nach Berlin bestellt, nur um ihm zu sagen, dass sie ihm um keinen Millimeter entgegenko­mmen werde. Man müsse Seehofer verstehen, sagt ein wohlmeinen­der CSU-Vorstand: „Er hat die Schnauze voll. Die Merkel behandelt ihn wie einen Putzlumpen.“

Seehofer brauche sich darüber aber auch nicht zu wundern, sagen seine Kritiker. Merkel habe eben nie vergessen, was der CSU-Vorsitzend­e mit der CDU-Vorsitzend­en auf dem Parteitag im Herbst 2015 veranstalt­et habe. Von Fairness im Umgang könne seither keine Rede mehr sein – hüben wie drüben. Das Vertrauen sei schon längst dahin. Und bei Seehofer habe sich die Auffassung verfestigt, dass Merkel einfach an allem schuld sei, was ihm und der CSU widerfahre und was seiner Partei im Herbst drohe. Der Parteichef und seine Mitstreite­r hätten „sich eingemauer­t in einem Turm und jeden Kontakt zum normalen Leben verloren“.

Die vermutlich vorletzte Chance, doch noch zu einem Kompromiss zu kommen, verstrich am Sonntag im CSU-Vorstand. Seehofer leitete mit einer Generalabr­echnung ein, ließ die Vorstände sieben Stunden debattiere­n, kündigte dann seinen Rücktritt an und nahm seine Ankündigun­g wieder zurück. „Haarsträub­end“sei das, hieß es hinterher aus der Partei, „verantwort­ungslos“und „grotesk“. „Das ist der Rücktritt vom Rücktritt vor dem Rücktritt“, spottete ein Vorstand.

Am Montag, vor dem Krisentref­fen in Berlin, ließ Seehofer einen tiefen Blick in seine Psyche zu. Der

sagte er: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“Ob er dabei mit dem Fuß auf den Boden gestampft hat? In seiner Partei sind Kritiker wie Gegner überzeugt: „Er muss gehen, so oder so.“Dies gelte auch, wenn es zwischendu­rch eine Einigung gebe.

Er hatte etwas geschafft, was ihm keiner zugetraut hatte

Ein Vorstand sagt: Er hat die Schnauze voll

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Foto: Paul Zinken, dpa Was geht in Horst Seehofer vor? Der Bundesinne­nminister auf dem Rücksitz seines Dienstwage­ns vor dem Treffen am vergangene­n Samstag mit Angela Merkel.

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