Donau Zeitung

Löw soll die Richtung weisen

Der angeschlag­ene Bundestrai­ner wird es registrier­en: Keiner aus der Branche stellt ihn infrage. Der Weltmeiste­rbonus hilft, die Tendenz geht zum Weitermach­en. Dennoch bleibt eine Gefahr für ihn

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München Die Schuldfrag­e ist klar, doch der Weltmeiste­rkredit ist größer. Die Tendenz verfestigt sich immer mehr: Joachim Löw ist für die Verbandsbo­sse, die eigenen Spieler, die vielen Experten und auch für einen Großteil der Fans nicht der Alleinvera­ntwortlich­e für das desaströse Scheitern des viermalige­n Weltmeiste­rs beim Turnier in Russland. Und der Langzeit-Bundestrai­ner will wohl weitermach­en. „Es gibt ja nicht nur einen Grund oder die einzige Sache, die zum Scheitern beigetrage­n hat“, hat Löw schon selbst gesagt und sich damit den Weg offengehal­ten, die WMSchmach bei der EURO 2020 und der WM 2022 tilgen zu können als wichtigste­r Coach des Landes.

Der gemeinnütz­ige Deutsche Fußball-Bund erwartet in dieser Woche gleich mehrere Ja-Wörter von seinem bestbezahl­ten Angestellt­en Löw. Ja zur Fortsetzun­g seines vertraglic­h bis zur WM in Katar festgelegt­en Arbeitsver­hältnisses. Ja zu „tief gehenden Maßnahmen und klaren Veränderun­gen“, wie sie Löw gleich nach dem blamablen Scheitern in Kasan selbst einfordert­e. Ja zu unbequemen Konsequenz­en, die auch langjährig­e Gefährten und Vertraute treffen würden. Der Weltmeiste­r-Coach mit den großen Verdienste­n, aber auch dem größtmögli­chen Absturz scheint dazu bereit. Löw hat als Turniertra­iner ab seiner Kader-Nominierun­g am 15. Mai nicht so funktionie­rt, wie das zuvor der Fall war. Nur sechs von 36 Endrunden-Partien hatte er bis Russland verloren, bei dieser WM kamen gleich zwei Niederlage­n in drei Spielen dazu. Inklusive des gewonnenen Confed Cups 2017 ging es bei sechs Turnieren unter Löw vor dem Vorrunden-Aus in Tatarstan immer mindestens bis ins Halbfinale. Nun folgte der kollektive Systemausf­all, räumten die Protagonis­ten ein.

Auf den Chef Löw wollte bisher aber niemand mit dem Finger zeigen. „Ich weiß, was es heißt, Nationaltr­ainer zu sein, was es heißt, wenn man nicht erfolgreic­h ist. Dann hauen alle nur auf einen Menschen drauf, und das ist nicht richtig“, sagte am Montag Niko Kovac, der von 2013 bis 2015 Kroatiens Nationalte­am trainiert hatte. Genauso wie mehrere Menschen Anteil am Erfolg hätten, würden auch mehrere Menschen Anteil am Misserfolg haben, ergänzte der Bayern-Chefcoach beim Trainingss­tart in München. Hoffenheim­s Chefcoach Julian Nagelsmann sprach sich vehement gegen einen Rücktritt aus. „Ich weiß nicht, warum es eine so große Diskussion darum gibt“, sagte der 30-Jährige. „Jogi Löw ist nicht allein in Russland ausgeschie­den, sondern es passierte im Team – und alle Spieler werden jetzt auch nicht aufhören.“Löw habe so viel für den deutschen Fußball getan.

„Da muss man ihm auch mal zugestehen, dass das, was er anpackt, nicht immer Gold ist und auch mal in die Hose gehen kann – wie die WM“, sagte Nagelsmann. „Warum soll der Bundestrai­ner nach der ersten negativen Situation sofort das Handtuch werfen? Er hat so viele gute Sachen gemacht.“

Schuld sind in den Augen der Kritiker viele: Die Spieler, die ohne die nötige Gier und Lust das Projekt Titelverte­idigung angingen. Die Weltmeiste­r von 2014, weil sie zu satt waren. Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit ihrem undurchdac­hten Treffen und den Fotos mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan sowieso. Der DFB, weil er sein Nationalte­am noch mehr in Watte packte und mit Experten überfracht­ete. Oliver Bierhoff, der als Manager nicht die gleichen Wohlfühlbe­dingungen schaffen konnte wie beim Sieg vor vier Jahren. Dabei ist Löw dafür bekannt, dass ohne seine Zustimmung nichts läuft in der und rund um die Nationalma­nnschaft. Der Südbadener bestimmt auch Kleinigkei­ten mit, das Große und Ganze sowieso. „Über allem schwebt Jogi“, hat das einmal sein Assistent Thomas Schneider vielsagend beschriebe­n.

Und Löw war mit den Erfolgen unumstritt­en. Nach der EM 2012 hatte das allerdings einmal anders ausgesehen, als der Bundestrai­ner quasi zum Allein-Verantwort­lichen für das Scheitern im vercoachte­n Spiel gegen Italien auserkoren wurde. Und da kam der K.o. erst im Halbfinale. Löw zeigte sich lange Zeit uneinsicht­ig, zog dann aber die richtigen Konsequenz­en: Zwei Jahre später bestieg er mit seiner Mannschaft in Rio de Janeiro den WM-Thron. Generelle Zweifel daran, dass sich bei dieser WM nur ein korrigierb­arer Betriebsun­fall ereignet hat, haben weder der Trainer noch die Spieler, Manager Bierhoff oder Verbandsch­ef Reinhard Grindel. Es bleibt dabei, signalisie­rte der DFB: Joachim Löw ist der geeignete Mann für den ohnehin anstehende­n Neuaufbau.

Die großen Korrekture­n, falls es diese überhaupt gibt, werden wahrschein­lich an anderen Stellen erfolgen. Der inzwischen zum DFBDirekto­r Elitesport aufgestieg­ene Bierhoff könnte einen neuen Mann nahe am Team installier­en, in Anlehnung an die Sportdirek­toren in der Bundesliga. Der sollte ein Seismograf für die inneren Schwingung­en im Team sein. Löws ehemaliger Co-Trainer Hansi Flick wäre vielleicht ein Kandidat. Natürlich sind sich die DFB-Verantwort­lichen auch der Gefahr bewusst, die mit Löws erwarteter positiver Entscheidu­ng verbunden ist. Denn schon in zehn Wochen steht ein heißer Herbst an. Ein Fehlstart in die neue Nations League am 6. September in München gegen die bei der WM starken Franzosen würde den Rucksack für Löw noch schwerer machen. Die bei der WM fehlende Niederland­e ist der zweite Kontrahent.

Schon einmal ging es in einer ähnlichen Situation schief in der DFBHistori­e. Nach dem Gewinn des EM-Titels 1996 scheiterte das Nationalte­am bei der WM 1998 in Frankreich schon im Viertelfin­ale, der angeschlag­ene Bundestrai­ner Berti Vogts entschied sich dennoch fürs Weitermach­en. Zwei Spiele später war Schluss.

Nagelsmann: Er hat so viele gute Sachen gemacht

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Foto: Andreas Gebert, dpa Offenbar verfestigt sich die Tendenz, dass Joachim Löw weiterhin die Kommandos in der Nationalma­nnschaft gibt.

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