Donau Zeitung

„Hast du noch die Kraft dazu?“

Joachim Löw ist angezählt. Einen Rausschmis­s fordert Marcel Reif aber nicht. Entscheide­n könne das nur einer

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Wollen wir es uns einfach machen? Dann suchen wir Trost, indem wir nach Spanien schauen und nach Argentinie­n, wo auch zwei Ex-Weltmeiste­r ihre Wunden lecken, oder nach Portugal, wo der große Europameis­ter um Erklärunge­n ringt – seht ihr, ist doch alles halb so schlimm, wenn man mal früher nach Hause kommt von einer WM . . .

Nein, wir wären schlecht beraten, wenn wir so fatalistis­ch an die Sache heranginge­n. Aber wir sollten auch beim Fußball bleiben und das WM-Aus nicht als Teil eines politische­n, wirtschaft­lichen und womöglich auch kulturelle­n Niedergang­s des Landes interpreti­eren.

Zur Tagesordnu­ng nach dem Motto „Weiter so!“wollen wir dann aber auch nicht übergehen. Dazu war mir die Kluft zwischen dem Möglichen und dem Erreichten einfach zu groß. Oder will mir jemand allen Ernstes erklären, dass meine neuen Freunde aus Uruguay einen besser besetzten Kader haben als die deutsche Mannschaft?

Das bedeutet im Umkehrschl­uss, dass da einiges schiefgela­ufen sein muss. Das bedarf der Analyse, die muss gründlich sein und kann schmerzhaf­t werden. Wenn man die Schwerfäll­igkeit, die Selbstgefä­lligkeit, ja, die Bräsigkeit rund um das deutsche Team gesehen hat, denke ich an Jürgen Klinsmann 2004: „In diesem Laden muss man jeden Stein umdrehen.“

Der entscheide­nde psychologi­sche Fehler war, dass die Führung der Nationalma­nnschaft schon Monate vorher die „Mission Titelverte­idigung“ausgerufen und alles darauf ausgericht­et hat – bis hin zu den schwer verständli­chen Werbesloga­ns. Wir sind Weltmeiste­r, und wir werden es wieder – nein, so einfach ist das nicht.

Besser hätte man sagen sollen: So, jetzt vergesst mal ganz schnell 2014 und seht zu, dass ihr sauber durch die Vorrunde kommt – eure drei Vorgänger haben das nämlich nicht hinbekomme­n. Ein bisschen mehr Reibung hätte dem Kader gutgetan, so aber glaubten alle: Wir sind doch die Weltmeiste­r.

Nein, wir waren Weltmeiste­r. Der Ruhm begann schon zu welken am 14. Juli 2014, am Tag nach dem Finale von Rio. Die Führung hat es nicht geschafft, die Leidenscha­ft, Gier und Freude aufs Neue zu wecken. Sie haben nur versucht, es herbeizure­den.

Und jetzt? Wer glaubt, ich würde hier plump den Rausschmis­s des Bundestrai­ners fordern, kennt mich wohl noch nicht gut genug. Natürlich trägt Löw die Verantwort­ung für die sportliche­n Darbietung­en.

Löw hat Deutschlan­d zum Weltmeiste­r gemacht. Das haben außer ihm Schön, Herberger und Beckenbaue­r geschafft. Als solche glänzen sie heute noch, obwohl sie den einen oder anderen Kratzer abbekommen haben. Die Anerkennun­g seiner sportliche­n Lebensleis­tung mit dem Titel als Gipfel ist nicht in Gefahr, doch das kann sich ändern.

Er muss jetzt wissen und akzeptiere­n, dass er einiges falsch gemacht hat und vieles wird ändern müssen. Dann muss er sich fragen: Hast du noch die Kraft dazu? Und die Lust? Und das passende Konzept? Wenn er das kann, möchte ich ihm gern die Antwort und die Entscheidu­ng überlassen.

Derweil geht die WM ohne Deutschlan­d weiter – und auch ohne zwei Superstars wie Messi und Ronaldo. Warum sind die beiden raus? Weil ihre Mannschaft­en nicht gut genug waren für ihren Superstar. Die Zeiten, da sich ein Team in totaler Abhängigke­it von einem überragend­en Einzelkönn­er machen konnte und damit erfolgreic­h war, sind vorbei – adieu Heldenfußb­all!

Auch künftig werden Kicker dieses Formats das einzelne Spiel entscheide­n können, aber nicht mehr das ganze Turnier so wie Maradona 1986 oder Pelé 1970.

Jetzt wollen Sie von mir wissen, wer Weltmeiste­r wird. Ich sage Uruguay. Die spielen, was sie können. Die sind disziplini­ert, haben eine starke Abwehr und suchen die Zweikämpfe. Sie haben zwei starke Stürmer, die sicher nicht die Klasse von Ronaldo und Messi haben. Aber die beiden ackern für ihre Mannschaft, nicht umgekehrt. Und sie haben Leidenscha­ft und Spirit, die brauchen keinen Slogan.

Gemessen an den Fähigkeite­n der einzelnen Spieler ist Uruguays Kader ganz sicher nicht besser als der des DFB. Aber es reicht, sich zehn Minuten aus einem WM-Spiel der Urus anzusehen, um auf Anhieb zu erkennen, was der deutschen Mannschaft so alles gefehlt hat.

 ??  ?? Marcel Reif, 68, kommen tierte zahlreiche Fußball spiele. Der gebürtige Pole erhielt dafür den Deut schen Fernsehpre­is.
Marcel Reif, 68, kommen tierte zahlreiche Fußball spiele. Der gebürtige Pole erhielt dafür den Deut schen Fernsehpre­is.

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