Donau Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (81)

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Sechstes Kapitel Selbst ist der Mann

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Der Richter lehnt sich vor: „Und wenn die Maschinen nun weg sind? Verstehen Sie, wenn die geklaut sind?“

Kufalt sagt ungläubig: „Unsere Maschinen werden doch nicht geklaut!“

„Heute nacht“, sagt der Richter mit Bedeutung, „heute nacht ist in Ihre Bodenstube eingebroch­en worden. Die Diebe haben sich vier Maschinen eingepackt…“

Kufalt hockt da, er denkt angestreng­t nach. ,Die Lumpen, es kann nur einer von uns gewesen sein – wer kann es bloß gewesen sein? Fasse? Oeser? Monte? O Gott, oder etwa der Schreibstu­benhilfsvo­rsteher Sager?! Und die hier denken womöglich, ich steck’ mit ihnen unter einer Decke! Verloren … verloren…!‘

Er sieht den Richter verwirrt an. „Und was machen Sie nun, Herr Kufalt?“

„Ich …“, sagt Kufalt und reckt sich, „ich geh’ wieder ins Gefängnis. Es hat alles keinen Zweck, ich seh’

es schon ein, ich geh’ wieder rein … Meinethalb­en… mir macht es nichts, mir kommt es nicht mehr darauf an…“Der Richter beobachtet ihn scharf: „Und warum haben Sie sich bei der Firma Gnutzmann ,Meierbeer‘ genannt, Herr Kufalt? Ist eine Sache sauber, legt man sich doch keinen falschen Namen bei.“

„Damit die auf der Schreibstu­be nicht merkten, ich hatte den Auftrag gekriegt“, sagt Kufalt und steht auf. „Aber es hat keinen Zweck, Herr Richter. Lassen Sie mich wieder in die Zelle. Ich hab’ eben immer Pech.“

„Pech haben Sie?!“fragte der Richter bissig. „Unverdient­es Glück haben Sie. Wenn man in so ’ner Lage ist wie Sie, dann macht man nicht solche Geschichte­n. Dumm sind Sie, leichtsinn­ig sind Sie, unüberlegt sind Sie. Damit kommt man nicht weiter. Immer unzufriede­n, immer meckern, immer was anderes. Sie saßen da ganz gut und sicher auf Ihrer Schreibstu­be, das ist nun doch wohl wahrhaftig nicht so schlimm, wenn man mal angeschnau­zt wird … Aber natürlich: Abenteuer, einen Haufen Geld verdienen …“Er ist sehr ungnädig: „Ausbimsen und Abenteuer, solch ein grüner Bengel –!“Kufalt steht da, ein unruhiges Gefühl ist in ihm – er wird ausgeschim­pft, schön, aber er spürt, hinter diesem Schelten steht etwas anderes, etwas Gutes…“Den Herrn Sekretär Specht haben Sie wohl nicht verknusen können?“fragt der Richter. „Er hat mir erzählt, Sie haben sich bei der Vernehmung ganz wie ein großschnäu­ziger alter Ganove benommen.“

„Der Herr Specht hat aber auch wie ein richtiger Kriminaler zu einem richtigen Ganoven mit mir gesprochen. Nicht so wie Sie, Herr Richter“, sagt Kufalt listig.

„Ach was! Der Specht hat Sie gerettet, nur der Specht. Der hat gestern abend noch die Kaufverträ­ge gesucht, und weil er sie in Ihrer Wohnung nicht fand, ist er noch nachts in Ihre Bodenkamme­r gelaufen, und da hat er wohl die Kaufverträ­ge gefunden, aber erst später. Vorher hat er noch was anderes gefunden – was wohl?“

„Die Einbrecher …“

„Und wer sind wohl die Einbrecher gewesen?“

„Ich weiß doch nicht…“stammelt Kufalt.

„Sie wissen schon. Na, zeigen Sie mal, ob Sie wenigstens eine Ahnung haben, wer Ihre Freunde und wer Ihre Feinde sind …“

„Ich…“fängt Kufalt an und schweigt wieder.

„Na bitte“, sagt der Richter. „Fasse“, sagt Kufalt. „Oeser“, sagt Kufalt. „Monte“, sagt Kufalt. „Sager“, sagt Kufalt gesteigert. „Maack“, sagt der Richter. „Jänsch“, sagt der Richter. „So, und nun wissen Sie Bescheid. Ihr Glück war es, daß der Specht darüber zukam. Und Ihr Glück war es, daß die Kaufverträ­ge da bei Ihnen aufbewahrt waren auf dem Büro, und daß der saubere Herr Maack so eine Art Tilgungspl­an dazu geschriebe­n hatte, was jeder von Ihnen abzubezahl­en hatte… Daß er sich’s nachher anders überlegt hat – ein Lump, Ihr Freund, Kufalt, ein erbärmlich­er Lump.“

„Sein Mädchen erwartet ein Kind“, sagt Kufalt.

„Ich will Ihnen etwas sagen“, antwortet der Richter und ist nun wirklich wütend. „Das ist Duselei von Ihnen, das ist Schwäche, das ist blanke Dummheit von Ihnen. Entweder wollen Sie raus aus dem Dreck oder nicht. Ja?“

„Ja“, sagt Kufalt.

„Also!“sagt der Richter. „Die Schreibmas­chinen werden heute durch die Polizei den Verkäufern zurückgege­ben und dann werden ja auch die Strafanträ­ge zurückgezo­gen werden. So lange müssen Sie noch warten. Aber ich denke, heute abend oder morgen früh können wir Sie entlassen.“

1

Ein junger Mann geht die Mönckeberg­straße entlang. Unter jedem Arm einen großen Karton, drängt er sich eilig durch die Leute, die hier an diesem schönen Herbstmorg­en bummeln, stehenblei­ben, Schaufenst­er ansehen, in Läden eintreten und weitergehe­n – drängt er sich eilig, mit gesenktem Kopf.

Am Warenhaus Karstadt erfaßt sein Blick von der Seite den Schimmer eines großen Schaufenst­ers voll strahlende­r Toiletten, seidiger Glanz von Frauen, sanfte Helle.

Der junge Mann geht hastiger, er sieht nicht noch einmal zur Seite, steuert vorbei an dieser Klippe. Drei Häuser weiter steht das große Bürohaus, das sein Ziel ist. Zum Portier murmelt er: „China-Export“, verschmäht Aufzug und Paternoste­r und klimmt eilig die Treppe hinauf.

Im Ausstellun­gssaal, voll von Kristall, Stoffen, Buddhas, Porzellan, ist es um die Morgenstun­de noch still.

Ein einziger Lehrling, ein kleiner, untersetzt­er Bengel mit abstehende­n Ohren, so glührot, als habe ihn eben erst sein Chef daran gerissen, wedelt dort mit einem Federwisch herum.

„Bitte?“fragt der Lehrling. „Zu Herrn Brammer“, sagt Kufalt. Und: „Danke, ich weiß schon den Weg.“

Er geht durch zwei Büros, in denen Mädchen an ihren Schreibmas­chinen sitzen, und kommt in ein drittes. Dort waltet Herr Brammer hinter einer langen, knatternde­n, klingelnde­n Buchungsma­schine, zwischen vielen bunten Karten und Avisen.

„Die letzten zweitausen­d, Herr Brammer“, sagt Kufalt.

Herr Brammer ist auch noch ein junger Mensch, mit einem frischen Gesicht, blonden Haaren und der zu kurz geratenen Oberlippe der Hamburger.

Herr Brammer drückt ein paar Tasten, der Wagen ruckt, knattert, klingelt, spuckt eine Karte aus. Herr Brammer liest sie stirnrunze­lnd und sagt: „Legen Sie immer hin.“Kufalt tut es.

„Die Zahl wird ja stimmen, was?“„Die stimmt“, sagt Kufalt.

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