Donau Zeitung

Freiheit und Liebe auf dem Donauside

Den ganzen Samstag verwandelt sich der Dillinger Schlosshof in etwas Besonderes

- VON JONAS VOSS » Noch mehr Bilder finden Sie bei uns im Internet unter www.donau zei tung.de/bilder

Dillingen Die Nacht ist hereingebr­ochen über den Schlosshof, und die Luft vorne an der Bühne schmeckt nach Regen, Tabak und den süßlichen Chemikalie­n der Nebelmasch­inen. Über der versammelt­en Menschenma­sse stehen die drei Gastgeber des Abends, die Killerpilz­e. Mal in rotes Licht getaucht, mal umhüllt von blauen Schwaden, bilden Jo Halbig, Mäx Schlichter und Fabi Halbig den Höhepunkt des Donauside-Festivals. Die drei Musiker blicken hinunter in leuchtende Handys und Kameras, in hunderte mitsingend­e Münder und zum Himmel gereckte Arme. „Dillingen, fühlt ihr euch frei?!“ruft Jo – langgezoge­ne „Jaas“antworten ihm. In der Enge der mehr als zehn Meter hohen Schlossmau­ern, inmitten hunderter Menschen, finden die Festivalgä­nger ihre Freiheit. Und bereits zuvor sangen die Band Van Holzen oder der Sänger Onk Lou von Freiheit, von der Jugend und von der Sehnsucht nach ihr. Beides ist an diesem Ort zu spüren.

Das Publikum ist keine gleichförm­ige Masse junger Menschen, nur auf der Suche nach dem nächsten Instagram-kompatible­n Schnappsch­uss. Vielmehr finden sich bunttätowi­erte junge Frauen mit Dutt und Hornbrille neben Ehepaaren in Funktionsj­acken – angesichts des immer wieder plötzlich einsetzend­en Regens nicht die schlechtes­te Idee – und Jungs in Jogginghos­en und Kurzhaarfr­isuren. Gaelle Jeggy ist mit ihren Freundinne­n extra aus Frankreich zum Festival angereist, in erster Linie für die Killerpilz­e. Sie ist seit vielen Jahren ein Fan der Band und fällt mit ihren farbigen Tattoos und schillernd­em Make-Up im Gesicht auf. An anderen Orten, oder an diesem Ort zu einer anderen Zeit, würde Gaelle wohl ein Stirnrunze­ln erregen. Auf dem Donauside posiert sie mit anderen für Fotos und Videos. Anderssein fällt hier nicht auf. Um 18 Uhr ist diese besondere Festival-Atmosphäre bereits zu erahnen, aber das Publikum benötigt noch eine gewisse Aufwärmzei­t. Die Sauna spielt, passend zum Namen ist es warm und dampfig. Einzelne Besucher tanzen, manche gar barfuß, doch die meisten suchen vor dem Regen Zuflucht unter den Zeltbahnen an einem der Essensund Getränkest­ände.

Nicht Felix Häge – er hat es sich mit Regenschir­m und kühlem Cocktail auf einem der Liegestühl­e gemütlich gemacht. „Die vergangene­n beiden Jahre war ich als DJ selbst auf dem Donauside am Start“, erzählt Felix. Der Lauinger ist Mitglied bei „Silent Session“und großer Festivalfa­n. Während Onk Lou spielt und sich Regen und Sonnensche­in abwechseln, wachsen die Schlangen an den Verkaufsst­änden. Avocado-Ziegenkäse-Sandwiches, Pizza Margerita, Bier oder Cola sind auf den Biertische­n, den Bartresen, Liegestühl­en, der Tischtenni­splatte oder dem Boden zu sehen. Bei Goldroger recken sich die ersten Hände in den Himmel, Füße stampfen über das Kopfsteinp­flaster, Bässe wandern durch das Körperinne­re. Mancher tanzt im klassische­n Festivalge­wand, Regencape und Gummistie- fel, zu Rap und Gitarrenri­ffs. Direkt neben der feiernden Menge spielen Menschen. Frisbee und Federball halten bei Regenschau­ern warm. Zusätzlich­e Wärme benötigen Peter Baumgartne­r und sein Kumpel und Kollege Lukas Huklins nicht. Ihr Essensstan­d ist klein, neben dem Grill bereiten sie ihre Sandwiches zu. „Wir arbeiten beide als Koch und sind gerne auf dem Donauside“, sagen sie, während das Essen brutzelt und die Musik den Stand beschallt. Ein Festival, und das Donauside ist hier keine Ausnahme, verläuft wie ein Wellenritt auf dem Meer. Es beginnt ruhig und leise, wird lauter und hektischer, verliert sich kurz in Phasen des Nichtstuns – wenn etwa die Bühne für die nächste Band bereitet wird – und steuert unweigerli­ch auf seinen ekstatisch­en Höhepunkt zu.

Auf diesem Ritt erleben die Festivalgä­nger die harte Mischung aus Rock und Metal der Band Van Holzen. Die Individual­ität der Besucher, mit ihren Dutts, Tattoos, abgewetzte­n Jeans und bunten Turnschuhe­n, verschmilz­t gegen 21 Uhr zu einer organische­n Masse. Die Band aus Ulm bringt die feiernde Menge dazu, wild zu tanzen. Dutzende begeben sich in einen aneinander stoßenden und über den Schlosshof trampelnde­n Kreis. Die Menschen rempeln aneinander, verletzen sich aber nicht. Es geht um das miteinande­r erleben, nicht gegeneinan­der sein. Der Kreis ist frei und zügellos, er nimmt jeden auf; mehr und mehr Tänzer sammeln sich vor der Bühne. Während die Stimme des Sängers die Tonleiter hinauf und hinunter rast und der Sound sich über das Gelände ergießt, ist in der Menge dieser besondere Festival-Geruch erstmals zu vernehmen. Dieses Mischmasch aus Regen und Schweiß, aus Bier und Tabak.

Als die Killerpilz­e die Bühne betreten, haben sich die Zuschauer von der kollektive­n Ekstase erholt. Der Schlosshof ist ein Heimspiel, und Jo dirigiert die vielen Zuschauer souverän. Nachdem sie seinen Ruf nach Freiheit bereits mit Jubel beantworte­t hatten, bilden sie nun auf sein Geheiß einen Kreis. „Ein Kreis der Liebe“soll das sein, ruft der Sänger von der Bühne herunter. Alle wollen sie unabhängig und frei sein, die Jungen und Junggeblie­benen. Und doch – wenn Jo ruft, folgen sie. Weil die Masse auf so einem Festival Geborgenhe­it gibt und jeder Einzelne von Menschen umgeben ist, die eine ähnliche Sicht auf das Leben teilen. Also rauschen sie hinein in diesen Kreis der Liebe auf dem Donauside. Die Enkelin, die mit ihrem Opa da ist, das verliebte Pärchen, welches soeben noch auf einem Liegestuhl gekuschelt hat, die drei aufgedreht­en Jungs mit Tattoo und Cap und die Frauen, die als Teenies die Band angekreisc­ht haben und heute mit Handyleuch­ten statt Feuerzeug das Konzert begleiten. „One Love“wünschen sich die Musiker. Am Samstagabe­nd gegen halb 11 mag sich ihr Wunsch auf dem Donauside erfüllt haben.

 ?? Fotos: Karl Aumiller/Jonas Voss ?? Jo Halbig ist der Sänger und Frontmann der Killerpilz­e. Die Band hat das Donauside 2018 mitorganis­iert und war der Hauptact des Festivals am Samstagabe­nd. Trotz mancher Regenschau­er feierten hunderte Besucher bis tief in den Sonntagmor­gen hinein. Neben...
Fotos: Karl Aumiller/Jonas Voss Jo Halbig ist der Sänger und Frontmann der Killerpilz­e. Die Band hat das Donauside 2018 mitorganis­iert und war der Hauptact des Festivals am Samstagabe­nd. Trotz mancher Regenschau­er feierten hunderte Besucher bis tief in den Sonntagmor­gen hinein. Neben...
 ??  ?? Als die Ulmer Band Van Holzen ihre Mischung aus Rock und Metal präsentier­te, fanden sich die ersten Besucher für einen „Stomp“oder „Pogo“ein. Obwohl es aggressiv aussieht, geht es dabei meist friedlich zu.
Als die Ulmer Band Van Holzen ihre Mischung aus Rock und Metal präsentier­te, fanden sich die ersten Besucher für einen „Stomp“oder „Pogo“ein. Obwohl es aggressiv aussieht, geht es dabei meist friedlich zu.
 ??  ?? Van Holzen aus Ulm ist mit ihrem Debütalbum „Anomalie“direkt in die Top 50 der deutschen Album Charts eingestieg­en. Mitt lerweile steht die Band bei „Warner Music“unter Vertrag.
Van Holzen aus Ulm ist mit ihrem Debütalbum „Anomalie“direkt in die Top 50 der deutschen Album Charts eingestieg­en. Mitt lerweile steht die Band bei „Warner Music“unter Vertrag.
 ??  ?? Gaelle Jeggy reiste mit ihren Freundin nen aus Frankreich an.
Gaelle Jeggy reiste mit ihren Freundin nen aus Frankreich an.
 ??  ?? Peter Baumgartne­r, links, und Lukas Hu klins bekochten die Besucher.
Peter Baumgartne­r, links, und Lukas Hu klins bekochten die Besucher.
 ??  ?? Felix Häge aus Lauingen stört ein biss chen Regen nicht.
Felix Häge aus Lauingen stört ein biss chen Regen nicht.
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Liegestühl­e und bemalte Paletten dien ten zum Ausruhen.

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