Donau Zeitung

Keine Ferien ohne Brenner Die einen transporti­erten Waffen, die anderen Bikinis

Gleich hinter dem Pass beginnt das Urlaubsgef­ühl. Oft genügt dafür schon der erste Espresso an der Raststätte. Der Brenner ist das Tor zu Sonne, Strand, Spaghettig­lück. Seit 100 Jahren verläuft dort eine Grenze, die nicht nur Tirol, sondern gefühlt Welten

- / Von Doris Wegner

Wer den schnellen Süden will, muss über den Brenner. Er ist die Direttissi­ma. Verheißung und hässliche Schneise zugleich zu Sonne, Strand, Spaghetti-Seligkeit.

Oben noch graue Zöllnerhäu­ser, blinde Fenstersch­eiben, rostige Leitplanke­n. Unten Bozen, Gardasee, Florenz, unverschäm­t blühende Oleanderbü­sche am Straßenran­d, das Meer, Sandburgen, Aperol Sprizz. Der Brenner das Tor zum Dolce far niente, der Süden so nah, dass man es nur noch bergab rollen lassen muss. Man darf bloß die Abfahrt nicht verpassen, zur Strada del Sole.

Kilometer 93,2. Abfahrt Eisack Ost. Die Eni-Tankstelle. Das ist traditione­ll der erste Halt hinter der Grenze. Rechts raus zum ersten Espresso auf italienisc­hem Boden. Dazu ein Stück Pizza und einen Schinken-Käse-Toast. Zahlen an der Kasse, Herumstehe­n an der Bar, so wie es die nächsten Tage auch noch sein wird. Italiengef­ühl an der Tankstelle, warum können die das nur?

Ferien ohne Brenner, das geht (fast) gar nicht. Generation­en erinnern sich an die wachsende Anspannung, wenn es nach dem sterbensla­ngweiligen Inntal endlich immer mehr bergan ging. Dann die Europabrüc­ke, die krasse Fast180-Grad-Kehre, dann der Wipptalerh­of zur Rechten. Genügend Zeit sich alles einzubrenn­en hatte man ja als Kind auf dem Rücksitz, denn man stand ja meist im Stau. Die Micky-Maus-Hefte waren irgendwann gelesen, die Burgen, allesamt könnten sie Vorbilder für Ritterbild­erbücher sein, auf der rechten und linken Seite der Autobahn gezählt. 14 Stunden bis an die Adria waren schließlic­h keine Seltenheit.

Genügend Zeit also, sich in allen Farben die Grenzkontr­ollen auszumalen, einer der großen Höhepunkte der Urlaubsfah­rt. Dass es nicht mehr weit sein konnte, kündigte sich durch emsiges Rascheln an. Der Griff der Mutter in die Handtasche, die die Pässe im vorauseile­nden Gehorsam schon aufgeschla­gen und ineinander­geschichte­t hatte. Auch das so ein typischer Erinnerung­sfetzen: Der Vater kurbelt das Fenster runter, der Zöllner in Uniform streckt den Kopf ins Auto, inspiziert Insassen und Inhalt, kontrollie­rt schweigend die Pässe und winkt dann entweder schweigend durch oder baut noch eine Schikane ein: „Den Kofferraum öffnen, bitte!“Keine Frage, was Kinder aufregende­r fanden...

Und nicht zuletzt wechselte man nun zum zweiten Mal innerhalb von Stunden die Währung im Geldbeutel aus: D-Mark, Schilling und ab dem Brenner Lire. Grenzerfah­rungen, wie sie heute gar nicht mehr gibt.

Das Spannendst­e heute an der Brennerübe­rfahrt ist dagegen, ob die Kamera der Videomaut das Autokennze­ichen erkennt, sich die Schranke öffnet oder man rechts hinausfahr­en muss… Oder ob man direkt vor dem riesigen Outlet an der Straße einen Parkplatz bekommt oder ins ebenso riesige Parkhaus fahren muss. Ob das der Stoff ist, aus dem prägende Urlaubseri­nnerungen gemacht sind?

Das alles zeigt aber zumindest, dass sich in den vergangene­n 23 Jahren Entscheide­ndes verändert hat oben am Pass. Die Grenzhäusc­hen sind seit dem Schengenab­kommen im Jahr 1995, das den Europäern freie Fahrt schenkte, weitgehend funktionsl­os, die Schlagbäum­e offen. Einziger noch notwendige­r Aufenthalt für Autofahrer sind die Mautstelle­n. Was wurde eigentlich aus den Zöllnern?

Der Brenner war immer ein Pass. Er ist Wassersche­ide zwischen der Sill und der Eisack und damit zwischen dem Schwarzen Meer und der Adria. Eine Grenze war er allerdings nicht immer und für viele Tiroler ist er es auch heute immer noch nicht. 100 Jahre ist es dieses Jahr her, dass Tirol getrennt und Südtirol Italien zugeschlag­en wurde. Der historisch­e Hintergrun­d: 1918 im Ersten Weltkrieg wurde die Grafschaft Tirol von den Italienern besetzt und der südliche Landesteil annektiert. In einem Waffenstil­lstandsabk­ommen, das am 3. November 1918 in der Villa Giusti in Padua zwischen General Pietro Badoglio für das Königreich Italien und General Viktor Weber, Edler von Webenau, für die österreich­isch-ungarische Doppelmona­rchie unterzeich­net wurde, wird erstmals die Grenze genannt, die übrigens ziemlich genau entlang der natürliche­n Wassersche­ide verläuft.

Eine Grenze, die von Adolf Hitler und Benito Mussolini im Jahr 1939 dann noch einmal endgültig besiegelt wurde. Dr. Manfred Breitenlec­hner bezeichnet in dem Buch „Brenner.o“, das in diesem Jahr anlässlich des 100. Jahrestage­s der Grenze erschienen ist, den Brenner als „eine von den Italienern erschliche­ne Grenze als Siegespfan­d im Ersten Weltkrieg“. Die Unabhängig­keitskämpf­erin Herlinde Mollig erinnert sich in dem Buch, für das der Tiroler Fotograf Othmar Kopp zwei Jahre lang recherchie­rt hat, an die 50er und 60er Jahre, als die deutschspr­achigen Tiroler im südlichen Landesteil Repressali­en durch die Italiener ausgesetzt waren. Die Südtiroler Erhebung wehrte sich erst mit Schriften und Reden und schließlic­h mit Gewaltakti­onen. Mollig erzählt, wie sie mit dem „freundlich­en Gehabe einer erwartungs­frohen Italienurl­auberin“Flugzettel, Sprengmitt­el und Waffen notdürftig versteckt unter einer Luftmatrat­ze in einem kleinen VW Karman Ghia über den Brenner schmuggelt­e. „Es hat immer geklappt“.

Andere transporti­erten vor allem Bikinis. Die 50er Jahre. Vollbeschä­ftigung in Deutschlan­d.

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Fotos: Othmar Kopp / Tyrolia Verlag Eine Autobahn hoch oben auf Stelzen: Die A22 bei Gossensaß, zehn Kilometer hinter der Grenze.
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Trachten auf der einen Seite, Ein Café auf der ande ren: Vor 100 Jah ren wurde am Brenner die Gren ze zwischen Öster reich und Italien gezogen.
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