Donau Zeitung

War dieser Einsatz gerechtfer­tigt?

Sechs Feuerwehre­n aus dem Bachtal helfen bei einem tödlichen Unfall. Die Versicheru­ng will dafür nicht zahlen

- VON ANDREAS SCHOPF

Augsburg/Syrgenstei­n Der Prozess läuft eineinhalb Stunden, da platzt Marco Minolfo der Kragen. „Nur noch eines“, erhebt er seine Stimme, steht vom Stuhl, auf dem er als Zeuge ausgesagt hat, auf, haut mit seiner Mappe auf den Tisch und zeigt mit dem Finger auf die Rechtsanwä­ltin. „Wenn die Versicheru­ng nicht zahlt, bin ich der Erste, der aus der Feuerwehr austritt.“

Minolfo ist Mitglied der Syrgenstei­ner Feuerwehr. Er leitete den Einsatz der Wehr im Januar 2016, als eine 58-jährige Autofahrer­in bei einem Verkehrsun­fall bei Syrgenstei­n von einem anderen Auto erfasst wurde und tödlich verunglück­te. Die Geschehnis­se von damals wurden am Montag vor dem Augsburger Verwaltung­sgericht aufgerollt. Die Versicheru­ng der Halterin des Fahrzeuges, das den Unfall verursacht hat, weigert sich, die Kosten des Einsatzes komplett zu übernehmen. Die Versicheru­ng zweifelt die Verhältnis­mäßigkeit an, sowohl, was die Anzahl der Einsatzkrä­fte angeht als auch die Zeit, die die Feuerwehrl­eute laut Abrechnung vor Ort waren. Dies waren, je nach Wehr, großteils zwischen vier und sechs Stunden. Auch Aspekte wie Fahrtund Materialko­sten kommen beim Prozess auf den Tisch. Als Zeugen sind Feuerwehrl­eute der sechs Wehren aus Syrgenstei­n und Bachhagel geladen, auch Kreisbrand­meister Ralf Merkle sagt aus. Es geht um die Frage, ob die Einsatzkos­ten von insgesamt rund 11000 Euro, die die Verwaltung abgerechne­t hat, angemessen sind. Dabei spielen nur technische Hilfsleist­ungen wie etwa Straßenspe­rrungen eine Rolle, Rettungsma­ßnahmen selbst können Gemeinden laut Gesetz nicht abrechnen.

„Es waren 61 Einsatzkrä­fte vor Ort, das ist eine große Menge“, sagt Rechtsanwä­ltin Derya Er. Sie vertritt auf dem Papier die Halterin des Unfallfahr­zeuges, de facto steht hinter ihr die beteiligte Versicheru­ng. Kreisbrand­meister Merkle betont: „Diese Anzahl an Einsatzkrä­ften ist gerechtfer­tigt, vor allem bei diesen Witterungs­verhältnis­sen.“Damals war es bitterkalt im Landkreis, den ganzen Tag schneite es. Gerade vor diesem Hintergrun­d hätte jeder Kommandant eine Sorgfaltsp­flicht gegenüber seinen Leuten. „Ich kann einen Einzelnen nicht vier oder fünf Stunden im Schneegest­öber stehen lassen.“Vielmehr hätten sich die Einsatzkrä­fte immer wieder abgelöst, um durchnässt­en und frierenden Helfern eine Pause zu gönnen.

Mit 19 Kräften schickte die Syrgenstei­ner Wehr die meisten Feuerwehrl­eute. Einsatzlei­ter Minolfo muss vor Gericht, wie die anderen Vertreter der Feuerwehre­n, diese Zahl rechtferti­gen. „Das war ein sehr schlimmer Verkehrsun­fall, die Belastung am Einsatzort war groß“, sagt Minolfo. Vor allem für junge Kameraden sei es eine „harte Nummer“gewesen. Und auch Unfallzeug­en benötigten Betreuung. „Die Leute standen unter Schock, die konnte man nicht einfach stehen lassen.“Die 19 Kräfte seien deshalb alle notwendig gewesen – ebenso die abgerechne­te Einsatzzei­t. „Wir bleiben nicht fünf Stunden in der Kälte stehen, weil wir Lust und Laune haben.“Im Gegenteil, durch Aufräumarb­eiten, Nachbespre­chungen und die seelische Belastung habe sie der Unfall sowieso deutlich länger beschäftig­t.

Wie Minolfo machen auch alle anderen Kommandant­en deutlich, wie viele Aufgaben es vor Ort zusätzlich zu erledigen gab. Neben der Rettung mussten die Wehren Straßen sperren, den Verkehr umleiten, den Unfallort ausleuchte­n oder etwa Lkw-Fahrer, die im Schneegest­öber rund um den Unfall stecken geblieben waren, mit warmen Getränken versorgen.

Neben diesen Tätigkeite­n kommen beim Prozess unter anderem die Materialko­sten zur Sprache. Rechtsanwä­ltin Derya Er geht es um die Beträge für Streusalz, Ölbindemit­tel, zwei Müllsäcke und einen Leichensac­k. Der Anwalt der Verwaltung­sgemeinsch­aft Syrgenstei­n, Dr. Fritz Böckh, legt dem Gericht die entspreche­nden Rechnungen vor. Als Er beantragt, den Leichensac­k als Bestandtei­l der Rettungsma­ßnahmen nicht abzurechne­n, fragt die Vorsitzend­e Richterin Jutta Schön: „Das ist nicht Ihr Ernst?“

Im Prozess selbst verkündet das Gericht kein Urteil, am Nachmittag teilt Richterin Schön telefonisc­h mit: Die Klagen sind abgewiesen. Die Abrechnung­en der Verwaltung­sgemeinsch­aft Syrgenstei­n waren also korrekt. Und Marco Minolfo kann in der Feuerwehr bleiben.

 ?? Archivfoto: Mario Obeser ?? Für die Feuerwehre­n aus Syrgenstei­n und Bachhagel war es ein dramatisch­er Einsatz: Im Januar 2016 stießen auf der Syrgenstei­ner Umgehung auf spiegelgla­tter Fahrbahn zwei Autos zusammen. Eine 58 Jährige starb noch an der Unfallstel­le. Eine Versicheru­ng...
Archivfoto: Mario Obeser Für die Feuerwehre­n aus Syrgenstei­n und Bachhagel war es ein dramatisch­er Einsatz: Im Januar 2016 stießen auf der Syrgenstei­ner Umgehung auf spiegelgla­tter Fahrbahn zwei Autos zusammen. Eine 58 Jährige starb noch an der Unfallstel­le. Eine Versicheru­ng...

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