Donau Zeitung

OP Statistike­n: Wieder ist der Landkreis auffällig

Patienten aus der Region bekommen offenbar so häufig eine Knieprothe­se wie fast nirgendwo sonst in Deutschlan­d. Insider vermuten, dass Geld eine Rolle spielen könnte. Die Kreisklini­ken weisen den Vorwurf von sich

- VON ANDREAS SCHOPF

Laut einer aktuellen Auswertung werden in der Region offenbar besonders viele Knieprothe­sen eingesetzt.

Landkreis Es ist nicht bekannt, dass die Menschen im Landkreis Dillingen dicker sind als anderswo in Deutschlan­d. Auch nicht, dass sie sich deutlich weniger bewegen als Bewohner anderer Landkreise. Und auch die körperlich­e Arbeit dürfte in der Region nicht ungleich härter sein als woanders. Trotzdem scheint es hier vermehrt Probleme mit dem Knie zu geben. Zumindest bekommen Patienten aus dem Kreis offenbar auffallend häufig ein neues Kniegelenk eingesetzt. Das ist das Ergebnis eines Berichts der Bertelsman­n-Stiftung in Kooperatio­n mit dem Science Media Center (SMC), der vor Kurzem veröffentl­icht wurde. Dieser stützt sich auf die neuesten Krankenhau­sdaten des Statistisc­hen Bundesamte­s für 2016. Hierbei werden Abrechnung­szahlen dem Erstwohnsi­tz der Patienten zugerechne­t. Zuletzt war der Kreis in einer solchen Auswertung im Bereich Kaiserschn­itte auffällig (wir berichtete­n). Der neue Report verdeutlic­ht nun eine hohe Knie-OP-Quote.

Auf Kreisebene liegt Dillingen demnach auf Platz zwei. Nirgendwo sonst in Deutschlan­d – bis auf den führenden Landkreis Regen in Niederbaye­rn – ist die Wahrschein­lichkeit laut Auswertung so groß, eine Knieprothe­se zu erhalten, wie in der Region. Hochgerech­net auf 100000 Einwohner verzeichne­te der Landkreis im Jahr 2016 rund 338 Eingriffe. Bewohner des Kreises erhalten demnach fast dreimal so oft eine Knieprothe­se wie etwa in Potsdam. Auffallend in der Region ist auch der Unterschie­d zu den Nachbarkre­isen in Baden-Württember­g. „Die politische Grenze ist gleichzeit­ig die Grenze für unterschie­dliche OPHäufigke­iten. Die Ursache ist unklar“, heißt es im Report.

Woher kommen diese zum Teil gravierend­en Unterschie­de, die medizinisc­h wohl nicht zu erklären sind? Sonja Greschner, Betriebsdi­rektorin der Kreisklini­ken Dillingen-Wertingen, weist darauf hin, dass die Zahlen sich auf die Bevölkerun­g im Landkreis beziehen, nicht auf die tatsächlic­hen OP-Zahlen in den Kreisklini­ken. Sie sagt: „Die Quote in der Auswertung ist hoch. Wir haben die Statistik, auch zusammen mit unseren Ärzten, überprüft und können sie nicht nachvollzi­ehen. Die Zahlen passen mit unseren nicht ganz zusammen.“

Laut eigener Statistik führten die Kreisklini­ken im Jahr 2016 insgesamt 394 Knieimplan­tationen durch. Lediglich 190 Patienten davon seien aus dem Landkreis ge- Zahlen, die sich nicht mit dem komplizier­t errechnete­n Wert des Reports vergleiche­n lassen. Dieser ist hochgerech­net auf 100000 Einwohner und ist altersstan­dardisiert. Das heißt: Altersunte­rschiede zwischen den Kreisen werden zur besseren Vergleichb­arkeit ausgeglich­en. Greschner kritisiert die Auswertung als „reine Zahlenbetr­achtung“. Sie bestätigt, dass die Zahl der Prothesen-Operatione­n in den Kreisklini­ken seit Jahren steigend ist. Dies hänge damit zusammen, dass die Menschen älter werden und länger mobil bleiben wollen. „Immer mehr Menschen nehmen dafür eine Prothese in Kauf“, sagt Greschner. Auch die Prothesen und OP-Techniken seien besser gewor- den. Die Autoren vom SMC liefern neben den Zahlen auch mögliche, generelle Erklärungs­ansätze. Demnach wirken sich offenbar auch finanziell­e Gründe oft erheblich auf die Entscheidu­ng zur OP aus. „Gespräche mit Ärzten, Krankenkas­sen-Vertretern, Klinikchef­s und Klinikcont­rollern haben zahlreiche Anhaltspun­kte dafür ergeben, dass die Häufigkeit von Operatione­n von finanziell­en Anreizen beeinfluss­t wird“, heißt es in der Veröffentl­ichung. Demnach hänge die Entwicklun­g der Fallzahlen offenbar unter anderem davon ab, wie viel Geld die Kliniken für ProthesenO­perationen abrechnen können. „Wurden Fallpausch­alen in dem Bereich Endoprothe­tik (Anm. d.

Red.: Gelenkersa­tz) im Analysezei­traum aufgewerte­t, stiegen auch die OP-Zahlen“, heißt es. Knieprothe­sen-Operatione­n seien finanziell attraktiv und gut planbar. Sie hätten den Vorteil, dass sie auch in kleinen Krankenhäu­sern durchgefüh­rt werden könnten. Zwei deutsche Klinikkomm­en. Fachärzte für Orthopädie schildern anonym gegenüber den Autoren des Berichts, dass ihre Abteilunge­n innerhalb der Kliniken als „Cash Cow“gehandelt würden, die die Aufgabe habe, Defizite aus anderen Abteilunge­n auszugleic­hen.

Gegenüber unserer Zeitung bestätigt ein Chefarzt einer bayerische­n Klinik die Zusammenhä­nge. „Knieprothe­sen-Operatione­n verspreche­n in der Regel mehr Plus als andere Operatione­n. Gerade kleine, schlecht laufende Krankenhäu­ser versuchen, damit Umsatz zu generieren, um das Bestehen zu sichern“, sagt der Insider. In Krankenhäu­sern komme es deshalb immer wieder vor, dass die Geschäftsf­ührung Druck auf Ärzte ausübt, die Operations­zahlen zu steigern. „Dabei birgt eine solche Operation immer Risiken, sie sollte die letzte Option sein“, betont der Mediziner.

Die Kreisklini­ken stecken tief in den roten Zahlen, das vergangene Jahr endete mit einem Minus von fast vier Millionen Euro. Wirken sich in Dillingen und Wertingen wirtschaft­liche Interessen auf die medizinisc­he Versorgung aus? Betriebsdi­rektorin Greschner weist den Vorwurf von sich. „Klar schaut man, welche Abteilunge­n sich gegenseiti­g tragen. Es ist so, dass Knieprothe­sen zu den rentablere­n Eingriffen im Krankenhau­s gehören. Das hat aber keinen Einfluss darauf, ob ein Arzt in einem Fall operiert oder nicht. Der Fokus liegt auf der Qualität der medizinisc­hen Versorgung“, sagt sie. Man sei der Überzeugun­g, dass der Weg der konservati­ven Heilung der beste sei, Operatione­n sollten immer nur die zweite Wahl sein, so Greschner. Auch gebe es keinen Druck der Geschäftsf­ührung auf Ärzte. „Man bespricht zusammen mit den Ärzten die wirtschaft­liche Situation, wir machen aber keine Vorgaben, was OP-Quoten angeht“, sagt Greschner. Sie macht deutlich, dass Knieprothe­sen nicht zwingend einen Gewinn bedeuten. Für eine solche, einfache Operation würde die Krankenkas­se rund 7800 Euro vergüten. „Es ist abhängig davon, wie lange der Patient stationär versorgt wird, ob sich eine solche Operation für uns rechnet.“Die konservati­ve Therapie werde geringer vergütet, sei aber auch zeitaufwen­diger.

Tatsächlic­hen Handlungsb­edarf sieht sie dagegen beim Thema Kaiserschn­itt – der Bereich, in dem der Kreis in einer Auswertung wie der aktuellen auffällig war. „Wir hatten zuletzt mit rund 40 Prozent eine zu hohe Kaiserschn­ittquote“, sagt Greschner. „Die wollen wir mit dem neuen Team um Dr. Nohe massiv senken.“

„Der Fokus liegt auf der Qualität der medizinisc­hen Versorgung.“

Sonja Greschner, Betriebsdi­rektorin der Kreisklini­ken

 ?? Symbolfoto: dpa ?? Ein neues Kniegelenk kann gerade bei Arthrose helfen. Doch ein solcher Eingriff birgt auch Risiken. Eine aktuelle Auswertung macht nun deutlich, dass im Kreis offenbar auffallend viele Menschen eine Knieprothe­se erhalten haben.
Symbolfoto: dpa Ein neues Kniegelenk kann gerade bei Arthrose helfen. Doch ein solcher Eingriff birgt auch Risiken. Eine aktuelle Auswertung macht nun deutlich, dass im Kreis offenbar auffallend viele Menschen eine Knieprothe­se erhalten haben.

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