OP Statistiken: Wieder ist der Landkreis auffällig
Patienten aus der Region bekommen offenbar so häufig eine Knieprothese wie fast nirgendwo sonst in Deutschland. Insider vermuten, dass Geld eine Rolle spielen könnte. Die Kreiskliniken weisen den Vorwurf von sich
Laut einer aktuellen Auswertung werden in der Region offenbar besonders viele Knieprothesen eingesetzt.
Landkreis Es ist nicht bekannt, dass die Menschen im Landkreis Dillingen dicker sind als anderswo in Deutschland. Auch nicht, dass sie sich deutlich weniger bewegen als Bewohner anderer Landkreise. Und auch die körperliche Arbeit dürfte in der Region nicht ungleich härter sein als woanders. Trotzdem scheint es hier vermehrt Probleme mit dem Knie zu geben. Zumindest bekommen Patienten aus dem Kreis offenbar auffallend häufig ein neues Kniegelenk eingesetzt. Das ist das Ergebnis eines Berichts der Bertelsmann-Stiftung in Kooperation mit dem Science Media Center (SMC), der vor Kurzem veröffentlicht wurde. Dieser stützt sich auf die neuesten Krankenhausdaten des Statistischen Bundesamtes für 2016. Hierbei werden Abrechnungszahlen dem Erstwohnsitz der Patienten zugerechnet. Zuletzt war der Kreis in einer solchen Auswertung im Bereich Kaiserschnitte auffällig (wir berichteten). Der neue Report verdeutlicht nun eine hohe Knie-OP-Quote.
Auf Kreisebene liegt Dillingen demnach auf Platz zwei. Nirgendwo sonst in Deutschland – bis auf den führenden Landkreis Regen in Niederbayern – ist die Wahrscheinlichkeit laut Auswertung so groß, eine Knieprothese zu erhalten, wie in der Region. Hochgerechnet auf 100000 Einwohner verzeichnete der Landkreis im Jahr 2016 rund 338 Eingriffe. Bewohner des Kreises erhalten demnach fast dreimal so oft eine Knieprothese wie etwa in Potsdam. Auffallend in der Region ist auch der Unterschied zu den Nachbarkreisen in Baden-Württemberg. „Die politische Grenze ist gleichzeitig die Grenze für unterschiedliche OPHäufigkeiten. Die Ursache ist unklar“, heißt es im Report.
Woher kommen diese zum Teil gravierenden Unterschiede, die medizinisch wohl nicht zu erklären sind? Sonja Greschner, Betriebsdirektorin der Kreiskliniken Dillingen-Wertingen, weist darauf hin, dass die Zahlen sich auf die Bevölkerung im Landkreis beziehen, nicht auf die tatsächlichen OP-Zahlen in den Kreiskliniken. Sie sagt: „Die Quote in der Auswertung ist hoch. Wir haben die Statistik, auch zusammen mit unseren Ärzten, überprüft und können sie nicht nachvollziehen. Die Zahlen passen mit unseren nicht ganz zusammen.“
Laut eigener Statistik führten die Kreiskliniken im Jahr 2016 insgesamt 394 Knieimplantationen durch. Lediglich 190 Patienten davon seien aus dem Landkreis ge- Zahlen, die sich nicht mit dem kompliziert errechneten Wert des Reports vergleichen lassen. Dieser ist hochgerechnet auf 100000 Einwohner und ist altersstandardisiert. Das heißt: Altersunterschiede zwischen den Kreisen werden zur besseren Vergleichbarkeit ausgeglichen. Greschner kritisiert die Auswertung als „reine Zahlenbetrachtung“. Sie bestätigt, dass die Zahl der Prothesen-Operationen in den Kreiskliniken seit Jahren steigend ist. Dies hänge damit zusammen, dass die Menschen älter werden und länger mobil bleiben wollen. „Immer mehr Menschen nehmen dafür eine Prothese in Kauf“, sagt Greschner. Auch die Prothesen und OP-Techniken seien besser gewor- den. Die Autoren vom SMC liefern neben den Zahlen auch mögliche, generelle Erklärungsansätze. Demnach wirken sich offenbar auch finanzielle Gründe oft erheblich auf die Entscheidung zur OP aus. „Gespräche mit Ärzten, Krankenkassen-Vertretern, Klinikchefs und Klinikcontrollern haben zahlreiche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Häufigkeit von Operationen von finanziellen Anreizen beeinflusst wird“, heißt es in der Veröffentlichung. Demnach hänge die Entwicklung der Fallzahlen offenbar unter anderem davon ab, wie viel Geld die Kliniken für ProthesenOperationen abrechnen können. „Wurden Fallpauschalen in dem Bereich Endoprothetik (Anm. d.
Red.: Gelenkersatz) im Analysezeitraum aufgewertet, stiegen auch die OP-Zahlen“, heißt es. Knieprothesen-Operationen seien finanziell attraktiv und gut planbar. Sie hätten den Vorteil, dass sie auch in kleinen Krankenhäusern durchgeführt werden könnten. Zwei deutsche Klinikkommen. Fachärzte für Orthopädie schildern anonym gegenüber den Autoren des Berichts, dass ihre Abteilungen innerhalb der Kliniken als „Cash Cow“gehandelt würden, die die Aufgabe habe, Defizite aus anderen Abteilungen auszugleichen.
Gegenüber unserer Zeitung bestätigt ein Chefarzt einer bayerischen Klinik die Zusammenhänge. „Knieprothesen-Operationen versprechen in der Regel mehr Plus als andere Operationen. Gerade kleine, schlecht laufende Krankenhäuser versuchen, damit Umsatz zu generieren, um das Bestehen zu sichern“, sagt der Insider. In Krankenhäusern komme es deshalb immer wieder vor, dass die Geschäftsführung Druck auf Ärzte ausübt, die Operationszahlen zu steigern. „Dabei birgt eine solche Operation immer Risiken, sie sollte die letzte Option sein“, betont der Mediziner.
Die Kreiskliniken stecken tief in den roten Zahlen, das vergangene Jahr endete mit einem Minus von fast vier Millionen Euro. Wirken sich in Dillingen und Wertingen wirtschaftliche Interessen auf die medizinische Versorgung aus? Betriebsdirektorin Greschner weist den Vorwurf von sich. „Klar schaut man, welche Abteilungen sich gegenseitig tragen. Es ist so, dass Knieprothesen zu den rentableren Eingriffen im Krankenhaus gehören. Das hat aber keinen Einfluss darauf, ob ein Arzt in einem Fall operiert oder nicht. Der Fokus liegt auf der Qualität der medizinischen Versorgung“, sagt sie. Man sei der Überzeugung, dass der Weg der konservativen Heilung der beste sei, Operationen sollten immer nur die zweite Wahl sein, so Greschner. Auch gebe es keinen Druck der Geschäftsführung auf Ärzte. „Man bespricht zusammen mit den Ärzten die wirtschaftliche Situation, wir machen aber keine Vorgaben, was OP-Quoten angeht“, sagt Greschner. Sie macht deutlich, dass Knieprothesen nicht zwingend einen Gewinn bedeuten. Für eine solche, einfache Operation würde die Krankenkasse rund 7800 Euro vergüten. „Es ist abhängig davon, wie lange der Patient stationär versorgt wird, ob sich eine solche Operation für uns rechnet.“Die konservative Therapie werde geringer vergütet, sei aber auch zeitaufwendiger.
Tatsächlichen Handlungsbedarf sieht sie dagegen beim Thema Kaiserschnitt – der Bereich, in dem der Kreis in einer Auswertung wie der aktuellen auffällig war. „Wir hatten zuletzt mit rund 40 Prozent eine zu hohe Kaiserschnittquote“, sagt Greschner. „Die wollen wir mit dem neuen Team um Dr. Nohe massiv senken.“
„Der Fokus liegt auf der Qualität der medizinischen Versorgung.“
Sonja Greschner, Betriebsdirektorin der Kreiskliniken