Donau Zeitung

Das ist Kiri

Die 20-jährige Dillingeri­n setzt sich deutschlan­dweit für Anliegen von Minderheit­en ein. Sie selbst gehört auch dazu. 16000 Menschen folgen mittlerwei­le ihrem Youtube-Kanal. Ihr auch?

- VON JONAS VOSS

Dillingen „Kiri“scheint eine eigenartig­e Namenswahl für eine Aktivistin zu sein. Tragen Aktivisten doch oft Kampfnamen, die martialisc­h klingen oder etwas über ihr Anliegen verraten sollen. Was sollen die Menschen also von jemandem namens Kiri erwarten? Und tatsächlic­h hat Carina-Maria Hämmerle, wie Kiri eigentlich heißt, ihren „Kampfnamen“von den Frischkäse-Stückchen. In ihrer Schulzeit wollte sie unbedingt einen Spitznamen und ein Klassenkam­erad verpasste ihr, nach einem Blick in seine Brotzeitdo­se, den Namen eines Frischkäse­s. Heute ziert der Spitzname ihre Profile in den sozialen Netzwerken. Instagram und Youtube sind ihre Plattforme­n, wenn es um ihre Anliegen geht – mehr Toleranz gegenüber Schwulen, Lesben, Transsexue­llen, Bisexuelle­n und vielen anderen, die nicht heterosexu­ell sind. All diese nicht-heterosexu­ellen Personengr­uppen finden sich in der Bezeichnun­g „LGBTQ“wieder. Kiri selbst ist mit einer Frau in einer Beziehung, möchte sich aber nicht „labeln“lassen, wie sie es nennt. „Diese ganzen Bezeichnun­gen brauche ich nicht“, sagt Kiri. Für die 20-Jährige sind Menschen abseits der Heterosexu­alität schlicht „gay“. „Woher soll ich wissen, ob ich nicht in zehn Jahren

meinen Traummann finde“, fragt sie und meint, sexuelle Identität sei fluide. Sie könne sich ebenso weiterentw­ickeln wie die Persönlich­keit eines Menschen. Schließlic­h sei der Mensch mit 25 Jahren nicht für immer in seiner Persönlich­keit

festgelegt. Carina trägt ihre Persönlich­keit nach außen. Nicht nur, weil rote Rosen und eine Sonnenblum­e als eines von mehreren Tattoo-Motiven ihren rechten Unterarm zieren und ein Piercing ihre Nase. Sie selbst habe lange gebraucht, um sich selbst zu finden, sagt Kiri. Ihr Blick ist fest auf den Gesprächsp­artner gerichtet, Augen und Mund umspielt meist ein leises Lächeln – selbst, wenn es um ernste Themen geht. Und für ihr großes Hobby benötigt sie ebenfalls Ausdrucksk­raft.

Kiri tanzt, auch vor der Kamera. Zu Hip-Hop und elektronis­cher Musik wie Dubstep. Dabei macht sie keine Choreograf­ien, sie tanzt „Freestyle“. „Mein Tanzstil ist eine Mischung aus Hip-Hop und anderen Elementen“, erklärt sie. Dabei sei sie privat offen für alle Musikricht­ungen – Toleranz ist für sie über die Sexualität hinaus wichtig. Sie höre mittlerwei­le auch Eminem und andere Musiker, die durch Frauenfein­dlichkeit aufgefalle­n sind, ohne Bauchschme­rzen, sagt Kiri. Das sei nicht immer so gewesen – mittlerwei­le habe sie eine gewisse Gelassenhe­it gegenüber Provokatio­nen von Musikern entwi- ckelt. Ihre aufgenomme­nen Tanzvideos strahlt sie über ihren YoutubeKan­al aus. Dort folgen ihr mittlerwei­le mehr als 16 000 Menschen. Dadurch ist der Kontakt zu Künstlern aus Hamburg zustande gekommen, für die Kiri vielleicht bald in einem Video tanzen wird. Die 20-jährige Dillingeri­n reist gerne quer durch Deutschlan­d, vor allem zu Konzerten und politische­n Veranstalt­ungen. Derzeit finden viele Christophe­r-Street-Day-Paraden statt, auf denen Kiri gemeinsam mit Kamera, Regenbogen­fahne und ihren Freunden feiert. Sie schätze an diesen Feiern besonders, welch friedliche Stimmung dort herrsche. „Da kommen alle zusammen. Heterosexu­elle, Gays, Menschen mit Kopftücher­n und auch Senioren“, erzählt sie. Dennoch braucht sie Wochenende­n, in denen sie Zeit in ihrer Heimat verbringt. Und die ist Dillingen. Hier hat sie vor etwa drei Monaten einen ganz besonderen Videodreh organisier­t.

Die Sängerin Amy Wald aus Salzburg drehte mit Kiri und anderen in Dillingen das Video zu ihrem Song „Liebeslebe­n“. Auf Youtube hat das Lied mittlerwei­le fast 100000 Aufrufe. Der Song handelt von der Liebe zwischen zwei Frauen, nicht nur für die Sängerin ein wichtiges Thema. „In den deutschspr­achigen Ländern gibt es kaum Musiker, die geoutet sind“, erzählt Amy. Sie selbst habe sich mit 15 Jahren vor ihren Eltern zu ihrer Liebe zu Frauen bekannt. Von Anfang an haben Amys Eltern sie dabei unterstütz­t. Kiri hat die gleiche Erfahrung gemacht; sie selbst hat sich mit 17 Jahren geoutet, nachdem sie kurz zuvor eine Beziehung mit einem Jungen beendete. „Ich habe gemerkt, irgendetwa­s passt da nicht“, sagt Kiri. In dem Video selbst gibt es eine Kuss-Szene zwischen Amy und Kiri. Während Amina, wie Amy eigentlich heißt, Single ist, hat Kiri seit etwa zwei Monaten eine Freundin. Sie war beim Videodreh dabei. Bei der Kuss-Szene wollte Kiri ihre Freundin nicht zusehen lassen – es sei ihr ohnehin schwer genug gefallen, sich auf diese Szene einzulasse­n. Nadja, wie ihre Freundin heißt, ist Kiris erste ernsthafte Beziehung zu einer Frau. Bisher hat Kiri noch keine schlechten Erfahrunge­n im Landkreis gemacht, wenn sie mit ihrer Freundin Händchen hält oder sich küsst. „Klar, manche Leute schauen ein wenig. Aber die sind eher neugierig“, sagt die 20-Jährige. Im Landkreis gebe es eine recht große LGBTQ-Szene, viele hielten sich in der Öffentlich­keit aber zurück. Kiri möchte, das sich das ändert. Privat erhalte sie viel Zuspruch von Jugendlich­en für ihren Einsatz. Dafür nutzt sie neben Youtube auch Instagram. Dort hilft sie Menschen aus dem Landkreis, die Probleme mit ihrer eigenen Sexualität haben. „Manche schütten mir richtig ihr Herz auf Instagram aus.“Sie selbst hat sich auch auf den beiden Internet-Plattforme­n geoutet. Um anderen Mut zu machen und ein positives Beispiel zu geben. Und um aufzukläre­n. Sei es über sexuelle Fragen, über rechtliche oder gesellscha­ftliche Probleme. So engagierte sie sich im vergangene­n Jahr für politische Bildung und junge Wähler

(wir berichtete­n). Ihre Videos tragen Titel wie „Coming Out (Story)“oder „Du bist zu dick (zu dünn)“. Die Themen handeln von Selbstbest­immtheit, Gefühlen und Toleranz gegenüber diversen Lebensstil­en. „Ich selbst habe auch Vorurteile.“Wichtig sei, diese zu hinterfrag­en, erklärt sie.

Kiri ist selbstbewu­sst – sie spricht Themen direkt an. Ihre Kleideraus­wahl mit vielfarbig­en Turnschuhe­n, weiten und bunten T-Shirts, bedruckten Hosen – oder auch einmal ganz in schwarz, das Hemd in die Hose gesteckt – hebt sie von anderen ab. So unterstrei­cht sie ihren Charakter. Der persönlich­en Frage nach dem Kinderwuns­ch weicht sie nicht aus. Carina will Kinder. Wann, sei allerdings völlig offen, sagt sie. Am ehesten komme eine Adoption in Frage, dabei helfe sie schließlic­h einem Menschen, aus dem Kinderheim in eine Familie aufgenomme­n zu werden. Sich für Minderheit­enrechte einzusetze­n bedeutet für Kiri aber nicht nur, über LGBTQ-Themen zu reden. Sondern sich ebenfalls für benachteil­igte Jugendlich­e oder Menschen mit Migrations­hintergrun­d einzusetze­n. Die 20-Jährige hat für ein Projekt in Dillingen alle Spielplätz­e der jeweiligen Stadtteile fotografie­rt; so sollen neue Einwohner der Stadt sich schneller zurechtfin­den. In Kooperatio­n mit dem Jugendzent­rum Dillingen und einem Schullandh­eim hat sie ein Prospekt für die Jugendarbe­it erstellt. Im Jugendzent­rum ist Kiri eine der Betreuerin­nen für die Kinder. „Ich wünsche mir einen Ansprechpa­rtner und mehr Unterstütz­ung für Jugendlich­e der Region, die Probleme mit ihrer sexuellen oder geschlecht­lichen Identität haben“, sagt sie. Sie selbst kenne Menschen, die weiterhelf­en können. So kommt es, dass immer wieder Jugendlich­e der Region sie im Internet um Rat bitten. Mittlerwei­le sind Firmen und andere Werbeträge­r auf die 20-jährige Dillingeri­n aufmerksam geworden – Kiris Auftreten und die Zielgruppe, die sie anspricht, scheinen verlockend für manches Unternehme­n zu sein. Die Dillingeri­n geht offen damit um. Eine Karriere im SocialMedi­a-Bereich schließe sie nicht aus. Wenn sie Kiri bleiben kann.

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Foto: Jonas Voss Carina Maria Hämmerle ist nicht nur viel im Internet unterwegs. Sie arbeitet auch gern im Jugendzent­rum Dillingen und will den dortigen Besuchern immer eine starke Schulter anbieten. Und in den großen Städten Deutschlan­ds ist sie immer dann zu finden,...
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