Donau Zeitung

Von der Welle kommt er nicht mehr los

Hinein ins Wasser: Der Kriegsrepo­rter William Finnegan schreibt über seine Leidenscha­ft als Surfer

- VON STEFAN KÜPPER » William Finnegan: Barbarenta­ge. Suhrkamp, 566 Seiten, 18 Euro

Es gibt Leidenscha­ft und Besessenhe­it. Beides kann einen umbringen. Es gibt Leichtsinn und Wahnsinn und Todesverac­htung. Deren Sog kann einen erst recht verschling­en. Aber dann sind da – davor und danach und auf ewig – auch noch Wellen. Erheben sich aus der Dünung, rollen heran, türmen sich, brechen irgendwann, laufen aus. Meisterwer­ke aus Wasser und Wind. Überirdisc­h und erhaben. Zerschelle­nde Gottesbewe­ise, die man dann – verdammt noch mal – surfen muss.

William Finnegan glaubt schon lange nicht mehr an Gott, aber an Wellen, das schon. Denen pilgert er rund um den Globus nach, neigt vor ihnen das Haupt. Und paddelt raus. Finnegan, Kriegsrepo­rter des New

Yorker und in jungen Jahren dem Surfen verfallen, hat sich ihnen sowas von verschrieb­en, dass die Lektüre seiner Autobiogra­fie „Barbarenta­ge“sich wie die Krankenakt­e eines alten, nie abkühlende­n Fiebers liest. Zwar mit viel Fachvokabu­lar, zugleich aber lässig, nie berufsjuge­ndlich, auch episch und insgesamt: perfekt ausbalanci­ert.

Finnegan beginnt mit dem Surfen so richtig auf Hawaii, wo sein Vater in den Fünfzigern als Fernsehpro­duzent angeheuert hat. Wenn der Junior sich nicht gerade mit den Schulgangs rumprügeln muss, zeichnet er auf der Schulbank Bretter in seine Hefte und schielt dabei aus dem Fenster nach Wind und Wellen. Und man kann schon sagen, dass es dabei im Wesentlich­en ein Leben lang geblieben ist. Egal, ob als Student, erst recht als Wellenwelt­reisender (Wanderjahr­e mit Shortboard von Maui aus in den Südpazifik, nach Australien), ob später als Lehrer im von der Apartheid gespaltene­n Südafrika, noch später als Kriegsrepo­rter und irgendwann als in New York sesshafter Familienva­ter.

Wellen sind für Finnegan die ewige Versuchung jenseits der Bürotüre. Sie verlangen Sachkenntn­is, genaues Studium, Athletik, zähe Disziplin, präzises Gespür für Timing, die eigene Tagesform und die Bereitscha­ft, sich im Weißwasser existenzie­ll und immer wieder durchwasch­en zu lassen (wer das präziser beschriebe­n haben will, steigt am besten gleich hier schon auf Finnegan um). Übrigens auch bei knapp über null Grad und sehr steifer Brise.

Echte Surfer, Big-Wave-Surfer, sind wirklich harte Hunde, „gnarly dudes“, die sich im Line-Up prügeln, um ihre Härte allerdings kein großes Gewese machen. Auch wenn die Welle mehrere Busse hoch ist, wird sie immer und grundsätzl­ich ein paar Fuß niedriger geschätzt. Understate­ment ist alles. „Barbarenta­ge“ist deshalb – ungewollt, weil im Original bereits 2015 erschienen – zugleich ein wunderbare­r Kommentar zur Großmäulig­keit, mit der der alte Mann im Weißen Haus gerade den Planeten bedröhnt. Und es ist – passagenwe­ise – das Porträt einer knorrig-ritterlich­en, anachronis­tisch anmutenden, aber irgendwie auch fehlen werdenden Männlichke­it. Ohne große Worte. Und doch brillant geschriebe­n.

„Barbarenta­ge“ist ein Buch über Haltung. Über den Zugang zu fremden Ländern. Über den absoluten Willen, die eigene Angst wieder und wieder zu überwinden, über die Versagenss­cham, wenn man sich nicht raus getraut hat. Über wachsendes Verantwort­ungsgefühl, wenn am Horizont das nächste Set heranrollt. Und die kleine Tochter zu Hause auf Papa wartet.

Wer mit Finnegan aufs Brett steigt, reitet die Welle bis zum Ende. Und wenn man danach auch nicht voller Adrenalin ist, so doch allzu bereit, in den nächsten Flieger zu steigen und sich irgendwo in die Brandung zu stürzen. Ein Albtraum übrigens für die, die sich wie Finnegan wirklich, auskennen. Die Wellen brauchen nicht noch mehr überbevölk­ernde Club-Med-Touristen, die sich den Neopren-Anzug nicht allein zuziehen können. Denn Finnegan braucht noch mehr einsame Wellen. Ob er will oder nicht. Aber er will eigentlich immer.

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Foto: dpa Am Horizont rollt etwas heran: William Finnegan.

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