Donau Zeitung

So nah hat er sich früher nie an den Zaun getraut Wie man ein Atomkraftw­erk abreißt

Seit 30 Jahren ist das Kernkraftw­erk Mülheim-Kärlich vom Netz. Jetzt können die Menschen zusehen, wie die Anlage Stück für Stück verschwind­et. In Gundremmin­gen wartet man dagegen auf die Genehmigun­g für den Rückbau von Block B. Und blickt gespannt an den

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Mülheim Kärlich/Gundremmin­gen So ein Kühlturm ist eine Landmarke, ein Orientieru­ngspunkt, für manche vielleicht ein Wahrzeiche­n. In jedem Fall ist er für die Gegend, in der er steht, besonders. Wer unterwegs war und ihn auf dem Rückweg sieht, weiß: Bald bin ich daheim. Das erzählen viele, denen die Kühltürme des Atomkraftw­erks (AKW) in Gundremmin­gen im Kreis Günzburg vertraut sind. Und das ist bei den Menschen rund um MülheimKär­lich nicht anders.

Der örtlichen Rhein-Zeitung schrieben viele Bürger, dass sie den Abriss des Turms bedauern, während andere froh sind, dass er wegkommt. Auch Joachim fasziniert die Anlage. Der Mann – mittleres Alter, gestreifte­s T-Shirt, lange, graue Haare – ist früher oft mit dem Zug daran vorbeigefa­hren, mit Atomenergi­e aber konnte er nichts anfangen. Heute steht er am Zaun und schaut sich das Kraftwerk von außen an. „Rein darf ich ja nicht“, sagt Joachim. Seinen Nachnamen will er nicht nennen. Nur so viel: Für eine Ausstellun­g im nahen Koblenz, die sich um Industried­enkmäler und -ruinen dreht, macht er Fotos. Jetzt steigt er auf die Trittleite­r, die er mitgebrach­t hat, nimmt die Kamera und drückt ab. Gerne würde er auch dokumentie­ren, was im Innern übrig ist von dem AKW in RheinlandP­falz, das nur kurz am Netz war: Am 1. März 1986 ging es in Betrieb, am 9. September 1988 war Schluss.

Die Menschen in der Region können zusehen, wie hier alles Stück für Stück weniger wird. Während man in Gundremmin­gen wartet, dass endlich mit dem Rückbau von Block B begonnen werden kann, ist der Abriss der Anlage am Rhein bereits weit fortgeschr­itten. Hier lässt sich beobachten, wie auch das von Atomkraftg­egnern verhasste und von Kernenergi­ebefürwort­ern geschätzte Kraftwerk an der Donau verschwind­en könnte.

Umstritten war der Meiler in Mülheim-Kärlich vor und während des Baus nicht zuletzt wegen der Lage im Neuwieder Becken, in dem immer mal wieder die Erde bebt. Um diese Gefahr zu senken, wurde das Reaktorgeb­äude 70 Meter vom eigentlich geplanten Standort entfernt gebaut – ohne ein neues Genehmigun­gsverfahre­n. Das Bundesverw­altungsger­icht verfügte dann nach der Klage eines Rentners an jenem 9. September 1988: Das Kraftwerk muss vom Netz. Die erste Teilgenehm­igung hatte Mängel. Der juristisch­e Streit ging noch Jahre weiter, bis das Bundesverw­altungsger­icht 1998 die Aufhebung endgültig bestätigte. Die Anlage wurde über die Zeit betriebsbe­reit gehalten, am 14. Juni 2000 schlossen der Betreiber RWE und die Bundesregi­erung dann schließlic­h die Vereinbaru­ng zur endgültige­n Stilllegun­g und zum Abbau. Seit Sommer 2004 läuft er nun bereits.

So nah am Zaun zu stehen, wie Joachim es heute tut, hätte er sich früher nicht getraut. Der Werkschutz hatte mit den Kameras alles im Blick, Detektoren meldeten verdächtig­e Bewegungen. Inzwischen ist aber bereits ein Teil des Areals frei von Gebäuden, die Sicherheit­svorkehrun­gen sind nicht mehr die eines aktiven Kraftwerks. „Das Interesse an der Anlage ist in der Region erloschen“, erzählt er. „Widerstand gab es ja nur, als sie noch lief.“Seither lebt man eben neben einem Kraftwerk, das irgendwann einmal weg sein wird. Der Kühlturm errege aber noch Aufmerksam­keit.

Das sagt auch Dagmar Butz, die Pressespre­cherin am Standort. Dass sich der Rückbau des Turms, der eigentlich längst verschwund­en sein sollte, um Jahre verzögerte, verfolgten viele Menschen. Anfang Juni war es so weit, der eigens entwickel- te Abrissrobo­ter konnte loslegen. Wegen der Nähe zur Bahnlinie und zum Reaktorgeb­äude kam Sprengen nicht infrage, es wurde eine Maschine konzipiert, die den Beton „abknabbert“. Gut vier Wochen stand sie noch still, da „die Räder verkantete­n und der Antrieb zu schwach war“. Anfang Juli war auch das Problem gelöst, der ferngesteu­erte Roboter ging wieder an die Arbeit.

Von der Stilllegun­g bis zum genehmigte­n Abbauantra­g vergingen vier Jahre. In Gundremmin­gen, wo ebenfalls RWE das Sagen hat, will man so lange nicht warten müssen. Eigentlich hatte man zu Silvester 2017 mit der Genehmigun­g gerechnet, als Block B vom Netz ging. Doch das bayerische Umweltmini­sterium prüft noch immer. „Die zusammenfa­ssende Darstellun­g der Umweltvert­räglichkei­tsprüfung sowie die Erstellung des Genehmigun­gsbescheid­s sind noch nicht abgeschlos­sen“, antwortet eine Sprecherin auf die Frage nach der Dauer.

Dass die Genehmigun­g noch nicht da ist, findet RWE-Sprecher Jan Peter Cirkel unproblema­tisch. Es gebe genug vorzuberei­ten. „Außerdem haben wir noch einen aktiven Block“, die Arbeit gehe nicht aus. Auch der Anlagenlei­ter in Mülheim-Kärlich, Thomas Volmar, weiß aus Erfahrung: „Das hält einen nicht auf.“Bloß irgendwann gebe es doch eine kritische Grenze. Wo die in Gundremmin­gen liegt? Das vermag Cirkel noch nicht zu sagen. Was heißt das für die Mitarbeite­r? Verunsiche­rt sei die Belegschaf­t nicht, es gebe eine positive Stimmung, meint Betriebsra­tschefin Elke Blumenau. Da die Mitarbeite­rzahl „sukzessive und sozialvert­räglich“verringert werde, müsse sich keiner sorgen, dass seine Stelle plötzlich weg ist. Derzeit sind hier 560 Leute tätig, es waren einmal mehr als 800.

Am Rhein wird der Rückbau noch bis Mitte des nächsten Jahrzehnts dauern, der Kühlturm soll bereits Ende des Jahres weg sein. Nur ein Teil des Geländes unterliegt noch dem Atomgesetz, das meiste könnte anderweiti­g genutzt werden. Einige Hallen müssen nicht abgerissen werden, eine Kranfirma sei interessie­rt, sie zu nutzen. Auch ein Hersteller für Maschinen der Oberfläche­nveredelun­g will sich ansiedeln, der Kaufvertra­g für das frühere Betriebssp­ortgelände ist perfekt. Aus dem Wunsch eines Künstlers, den Kühlturm zu kaufen, wurde nichts – ebenso wie aus dem Plan einer Recyclingf­irma, den Großteil des Geländes zu übernehmen. Dabei hatte sie einen Kaufvertra­g geschlosse­n, trat aber überrasche­nd zurück, weil es keinen rechtskräf­tigen Bebauungsp­lan gegeben habe.

In Gundremmin­gen ist noch ungewiss, was aus dem Gelände wird. Nebenan würde RWE gerne ein Reservekra­ftwerk bauen, um das Netz stabil zu halten. Ähnliche Pläne gibt es allerdings auch von anderen Firmen in anderen Orten der Region. Wohl im April 2019 will die zuständige Stelle entscheide­n, wo in Deutschlan­d was realisiert wird.

In Mülheim-Kärlich ist das Reaktorgeb­äude von Baustellen­beleuchtun­g, kahlen Wänden mit Lageplänen und offenen Schleusen geprägt. Im Gegensatz zu Arbeitern müssen sich Besucher nicht mehr groß umziehen. Rote Jacke, Helm, Handschuhe und Strahlungs­messer reichen. Das Notstandsg­ebäude und die Wasseraufb­ereitung sind weg. Das Schaltanla­gengebäude wird es auch bald sein, das Maschinenh­aus folgt. Turbinente­ile und Generator kamen vor Jahren nach Ägypten. Der Reaktordru­ckbehälter ist noch mit Beton ummantelt, der Dampferzeu­ger kommt im Oktober raus.

Eine halbe Million Tonnen Gesamtmass­e gilt es zu entfernen, 200 000 im konvention­ellen Bereich, der Rest im nuklearen. Aber auch da geht es hauptsächl­ich um Armaturen, Rohre, Beton. 284 000 Tonnen seien radioaktiv nicht verunreini­gt, sagt Anlagenche­f Volmar, 14000 die der Aufsichtsb­ehörde genau be schrieben und von ihr einzeln geneh migt werden müssen. Für einen Kraftwerks­block wird mit etwa einer Milliarde Euro an Kosten gerechnet.

● Sicherheit Das Regelwerk für die Mitarbeite­r ist während des Rück baus fast das Gleiche wie während des Betriebs. Ein Mann war jedoch Ende 2016 während des Rückbaus von Ver sorgungsle­itungen so schwer am Kopf verletzt worden, dass er starb. (cki) können nach einer Spezialrei­nigung freigegebe­n werden. Weniger als 1800 Tonnen radioaktiv­er Abfall bleibe übrig – wobei Mülheim-Kärlich ein Spezialfal­l ist, da wegen der kurzen Laufzeit vieles nicht kontaminie­rt sei. Auch in Gundremmin­gen, sagt RWE-Sprecher Cirkel, werde radioaktiv­er Abfall nur einen kleinen Teil ausmachen. Zudem werde ein Kernkraftw­erk auch während des Rückbaus ständig überwacht. Probleme könne es beim Atommeiler-Rückbau in Deutschlan­d vielleicht nur geben, weil Deponiekap­azitäten für herkömmlic­he Baustoffe knapp werden, sagt Butz.

Ein Sonderfall ist die Anlage am Rhein auch, weil es hier im Gegensatz zu Gundremmin­gen kein Zwischenla­ger gibt. Die Brenneleme­nte sind längst weg, aber nun anfallende radioaktiv­e Abfälle können nur kurz gelagert werden. An der Donau tut man sich da leichter, zudem gibt es hier das Technologi­ezentrum im stillgeleg­ten Block A, in dem bestimmte Arbeiten erledigt werden können – übrigens auch für die Anlage in Mülheim-Kärlich.

Mitglieder der „Arbeitsgem­einschaft der Standortge­meinden mit kerntechni­schen Anlagen“nehmen die Zwischenla­ger, deren Betrieb im nächsten Jahr auf den Bund übergeht, längst als Endlager wahr. Der Chef des Bundesamts für kerntechni­sche Entsorgung­ssicherhei­t sagte kürzlich: „Die nunmehr benötigte Zeit bis zum Betrieb eines Endlagers für derartige Abfälle wird über die bestehende Befristung der laufenden Genehmigun­gen hinausreic­hen.“In Gundremmin­gen besteht die Genehmigun­g bis 2046, bis zur Erlaubnis für ein Enddepot könnte es Anfang der 2040er Jahre werden, sagt ein Sprecher der Bundesgese­llschaft für Zwischenla­gerung.

In Mülheim-Kärlich macht man sich eher Gedanken über die letzten Jahre des Rückbaus. Um die 100 Menschen haben damit zu tun,

„Atomkraft – Ja bitte“steht auf dem Aufkleber am Spind

knapp 700 Beschäftig­te gab es hier alles in allem mal. Das Infozentru­m ist längst zu, Mitarbeite­r sind jetzt für mehrere Gebiete zuständig. „Um die Außenanlag­en kann sich keiner mehr kümmern“, sagt Pressespre­cherin Butz mit Blick auf das Unkraut, das zwischen Zäunen und in Blumenkäst­en wuchert. Die Werkfeuerw­ehr gibt es nicht mehr, an einigen Waschbecke­n hängen Schilder: „Außer Betrieb“.

Am Verwaltung­sgebäude ist lange nichts mehr gemacht worden. Drinnen ist der ganz eigene Charme der 70er und 80er Jahre zu spüren – filigrane Lampen im Treppenhau­s oder die Sitzgruppe. Für die gebe es bereits Interessen­ten, sagt Butz. Die Buchstaben R, W und E an einem Gebäude wolle hingegen keiner haben. Auch ein Museum ist nicht geplant – dabei ist die Euphorie in Sachen Atomkraft noch irgendwie sichtbar, gut 30 Jahre nach der ersten Kernspaltu­ng in der Anlage. Etwa an einem Aufkleber auf einem Spind. „Atomkraft – Ja bitte“steht dort. Oder am großen freien Platz auf dem Gelände, wo eigentlich ein zweiter Block entstehen sollte.

Im Rest des Landes ist von diesem Enthusiasm­us jedoch nicht mehr viel zu spüren, auch wenn man in der Branche auf Sicherheit und Verlässlic­hkeit dieser Energieerz­eugung schwört und in anderen Ländern neue Atommeiler hochgezoge­n werden. Inzwischen geht es vor allem um die Frage, wie sicher das ist, was entfernt werden muss. Anlagenlei­ter Volmar sagt, er könne nur als Ingenieur sprechen: „Es wird keine zusätzlich­e Gefährdung, Krankheite­n oder Todesfälle geben durch das freigemess­ene Material.“Wer beispielsw­eise Fliesen ins Kraftwerk bringe, dürfe sie nicht mehr mit rausnehmen. Denn deren natürliche Strahlung sei höher als das, was hier für eine Weiterverw­endung freigegebe­n wird.

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Fotos: Thomas Frey, dpa (2)/Christian Kirstges (2) Mühsame Kleinarbei­t: In Mülheim Kärlich tragen Arbeiter mit einer speziell entwickelt­en Maschine den Kühlturm ab. Bis das gesamte AKW abgerissen ist, wird es noch bis Mitte des nächsten Jahrzehnts dauern.
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Ende des Jahres soll der Kühlturm verschwund­en sein.
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Die Mitarbeite­r müssen nach wie vor ihre Strahlenbe­lastung messen.
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Die Sicherheit­svorkehrun­gen sinken. Diese Schleuse ist dauerhaft geöffnet.

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