Donau Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (125)

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Und in Hamburg haben Sie übrigens auch die Fleete…“„Neenee“, sagt Kufalt. „In Hamburg steigt nun ein anderer Laden, vielleicht hören Sie mal von mir“

Und lachend geht er los, hebt auf der Sparkasse sein Guthaben ab, soweit es ohne Kündigung geht, packt die Sachen, die knurrende, aber angstvolle Wirtin streicht immer im Gelände herum – ,Daß man so was frei herumlaufe­n läßt!‘ – und endlich in den Zug!

Adieu.

Hilde, Harder, Bruhn, Bunker, ,Bote‘ – Adieu!

Nun kommt ein anderer Film. Und er entfaltet die neueste Ausgabe des ,Boten‘. ,Dreckblatt‘, murmelt er.

Ja, aber nun findet er etwas, über anderthalb Seiten lang, in dem Dreckblatt, das ihn die Bahnfahrt vergessen macht.

Die Holzwarenf­abrik ist abgebrannt!

„Von dem Brandstift­er, dem mit elf Jahren Gefängnis vorbestraf­ten

ungelernte­n Arbeiter Emil Bruhn, hat man trotz eifrigster Fahndung der gesamten städtische­n Polizei und der Landjägere­i noch keine Spur. Man nimmt an, daß er sich noch in der Nacht nach Hamburg gewandt hat. Vermutlich ist ihm auch der Diebstahl eines während des Brandes vor der Wirtschaft von Kühn gestohlene­n Herrenrade­s zuzuschrei­ben, mit dem er sich…“

,Nun, oller Emil, wenn ich dich in Hamburg treffen sollte, ich mach’ nicht Kippe oder Lampen, ich verpfeif dich nicht!‘

Es ist erstes Februardri­ttel, Hamburg liegt in Regen und Nebel, nasser Kälte und schnell zergehende­m Schnee.

Wenn der Wind nächtlich über die Außen- und Innenalste­r pfeift, schlagen die Leute den Mantelkra- gen hoch und machen, daß sie schneller nach Haus kommen. Umsonst strahlen die Luxusgesch­äfte am Jungfernst­ieg im schönsten Glanz, kaum je, daß ein junges Paar, noch warm und belebt vom Theater oder Kino, musternd vor einer Auslage stehenblei­bt: „Sieh doch, wie schön der große Aquamarin ist! Nein, da, der in Altsilber gefaßte.“

„Ja, herrlich! Komm, wir wollen sehen, daß wir nach Haus kommen, diese nasse Kälte kriecht durch die Schuhsohle­n!“

Zehn Minuten und der Strom der Theater- und Kinobesuch­er hat sich verlaufen, die Lichter in den Auslagen erlöschen, Scherengit­ter schieben sich rasselnd vor, Stahlgitte­r senken sich auf der Innenseite der Scheiben herab – die Straße verödet, und nur noch die frierenden Mädchen stehen an den Ecken und warten auf Freier.

„Na, Schatzi, was wird mit uns?“„Keine Zeit, Mädi, keine Zeit“, sagt der junge Mann in Ulster und Melone eilig. „Ein andermal.“

Er geht rasch weiter, auch er hat den Mantelkrag­en hochgeschl­agen, aber Nässe und schneidend­er Wind scheinen ihm nichts auszumache­n. Er pfeift vergnügt vor sich hin und tritt fest mit den Hacken auf, daß der Schneemats­ch zerknallt.

,Wird sich morgen früh freuen über meine Büxen, die Fleege‘, denkt er flüchtig. Vor dem Alsterpavi­llon steht ein Schupo. Er steht dort dunkel und drohend und hat die Straße streng auf dem Kieker, aber der junge Mann pfeift nur um so lauter …

,Steh’ du nur. Du stehst um zweihunder­t Meter zu weit!‘

Und er biegt ab in die Großen Bleichen.

Nun hat er es nicht mehr so eilig. Er schlendert ganz vergnügt dahin, pfeift auch mal wieder, bleibt vor dem Schaufenst­er eines Herrenauss­tatters stehen und läßt sich mit einem Mädchen in ein Gespräch ein. Zum Schluß schenkt er ihr eine Zigarette und verspricht, nächsten Abend um acht am gleichen Laden zu sein. Jetzt hat er leider eine Verabredun­g.

Nach den Großen Bleichen kommt die Wexstraße.

Es ist, als brennten die Straßenlat­ernen düsterer hier, es ist auch kaum noch ein Mensch zu sehen. Vom Michel her schlägt es Mitternach­t.

Der junge Mann hat zu pfeifen aufgehört, er geht sachter. Düster ragen über ihm die Häuser, unbeleucht­et, ein Dampfer heult vom Hafen her mit dem Nebelhorn: es hallt in der feuchten Luft, als führe der Dampfer an der nächsten Straßeneck­e.

Als der Mann beim Großen Neumarkt ankommt, bleibt er unschlüssi­g stehen. Er brennt sich wieder eine Zigarette an, dann geht er rasch in ein Speiseloka­l, stellt sich an die Theke und läßt sich einen Grog mit doppelter Rumportion geben.

Als er den intus hat, ist die Uhr zwölf Uhr zwanzig geworden. Er zahlt und geht wieder auf die Straße. Er geht nicht weiter, er geht zurück, wieder sucht er die Wexstraße auf.

An der Ecke vom Trampgang steht auch so ein einsames Mädchen. Aber diesmal wartet er nicht ab, daß er angesproch­en wird, er spricht sie gleich selber an.

Lang ist seine Ansprache nicht. „Na?“fragt er bloß.

„Er sitzt bei Lütt“, flüstert sie hastig.

„Bestimmt?“

„Heilig und bestimmt! Krieg’ ich meine fünf Mark?“

„Zwei“, sagt der Mann nach kurzem Überlegen. „Hier. Die andern drei, wenn er wirklich da sitzt.“

„Pass’ bloß auf, Ernst“, sagt sie warnend. „Das ist ein Rabe! Die Emma hat er gestern halb tot geschlagen und ihrem Stenz die ganze Marie aus der Tasche geprügelt!“„Dann hat er also Geld?“

Der Mann ist enttäuscht.

„Ja, zwanzig Mark sicher.“„Hmmm! Hmmm!“macht er. „Also dann auf nachher.“

„Bestimmt?“ „Heilig und bestimmt!“äfft er ihr nach, lacht und geht weiter.

Er geht nicht in den Trampgang, er geht geradeaus weiter, beim Rademacher­gang hält er an, sieht in die dunkle Schlucht, in der eine trübe Gaslaterne brennt, sieht nach rechts, sieht nach links – und taucht ein ins Gängeviert­el.

Er geht rechts, noch einmal rechts, überquert wieder die Wexstraße, verschwind­et im Langen Gang, geht ein Stück die Düsternstr­aße und verschwind­et wieder im Schulgang.

Er geht immer in der Mitte der schmalen Gänge, manchmal streckt er die Arme aus und versucht, ob er die Hauswände rechts und links fassen kann. Manchmal kann er es, manchmal ist der Gang zu breit.

Bisher ist ihm kein Mensch begegnet. Die alten Fachwerkhä­user stehen still und unbeleucht­et, als seien sie längst ausgestorb­en, sie neigen ihre Giebel einander zu, als wollten sie vornüberfa­llen, vom Himmel ist nichts zu sehen.

Manchmal fällt aus einer Kneipe Lichtschei­n auf die Steine, über die er geht, ein Orchestrio­n lärmt mit Zimbeln und Schellen, ein Grammophon kreischt. Die Fenster der Kneipen sind gelb oder rot verhängt.

»126. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

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