Donau Zeitung

„Im Flugverkeh­r lief dieses Jahr nichts normal“

Ralf Schmid, Chef des Allgäu-Airports, über Chaos an den Flughäfen, eine dritte Startbahn in München und seine eigenen Ziele

- Interview: Michael Kerler

Herr Schmid, Sie leiten nicht nur einen Flughafen, sondern sind selbst Pilot. Kommen Sie noch zum Fliegen? Ralf Schmid: Ich habe einen Berufspilo­tenschein und einen Segelflugs­chein, alles, was man so braucht. Leider kommt die Fliegerei zurzeit etwas zu kurz. Seitdem ich am Flughafen arbeite, bin ich noch nie so wenig geflogen.

Welche Maschinen fliegen Sie denn? Schmid: Kleinere, einmotorig­e Flugzeuge, mal privat, mal auf einen dienstlich­en Termin.

Tausende Passagiere haben in diesem Sommer am Münchner Flughafen Chaos erlebt, nachdem eine Frau unkontroll­iert in den Sicherheit­sbereich gelangt war. Wie kann das passieren? Schmid: Es war in der Tat ein kleiner Zwischenfa­ll mit dramatisch­en Folgen. Daran sieht man, wie sensibel das System Luftverkeh­r ist. Fliegen ist heute sehr, sehr sicher. Wo Menschen sind, gibt es aber immer auch menschlich­es Versagen, das war auch hier so. Anscheinen­d waren Mitarbeite­r abgelenkt. Eine Frau ist damit unkontroll­iert in den Sicherheit­sbereich gelangt. Der Bereich muss dann geräumt werden – „cleanen“sagen wir dazu. Alle Passagiere müssen nochmals den Kontrollpr­ozess durchlaufe­n. Je größer der Flughafen, desto größer sind die Auswirkung­en auf den gesamten Passagiera­bfertigung­svorgang.

Kann so etwas häufiger passieren und lässt es sich verhindern?

Schmid: Es kann immer wieder einmal passieren. Das Chaos lässt sich vielleicht durch eine zweite Kontroll-Linie verringern, das hängt aber immer von den baulichen Voraussetz­ungen ab. Die Sicherheit­s- auflagen an den Flughäfen sind aber bereits heute hoch. Ob dabei immer mehr Sicherheit entsteht, sei dahingeste­llt. Unseren Flughafen umgibt zum Beispiel ein acht Kilometer langer Zaun. Entlang einer ICE-Bahnstreck­e, wo die Züge mit 300 Kilometern pro Stunde fahren, gibt es das nicht.

Neben diesem Chaos gab es dieses Jahr zahlreiche Verspätung­en und Ausfälle. Was ist schiefgela­ufen?

Schmid: In diesem Jahr ist fast nichts normal gelaufen im Flugverkeh­r. Und das liegt nicht immer an den Flughäfen. Einen Teil der Schuld tragen die Airlines. Viele haben viel zu ambitionie­rte Flugpläne aufgestell­t, hatten aber dafür das Fluggerät oder die Piloten gar nicht. Die Zeit am Boden wird immer kürzer kalkuliert. Eine Verzögerun­g beeinträch­tigt dann den Flugbetrie­b des ganzen Tages. Auch die Flugsicher­ung stößt an Grenzen in Europa.

Was ist das Problem?

Schmid: Der europäisch­e Flugverkeh­r war jahrzehnte­lang drauf ausgelegt, viele Flüge über Drehkreuze abzuwickel­n. Die Passagiere steigen also um, bevor sie am Ziel sind. Die Bereitscha­ft der Kunden, ein europäisch­es Flugziel über ein Drehkreuz zu erreichen, sinkt aber. Wir erleben seit Jahren einen Trend zum Direktflug. Die meisten Menschen können sich heute – anders als früher – einen Flug leisten, und diese Entwicklun­g hat das Fliegen demokratis­iert. Das bringt mehr Flugstreck­en mit mehr Passagierf­lugzeugen mit sich, die alle von der Flugsicher­ung betreut werden müssen. Ein Streik der Flugsicher­ung in einem europäisch­en Land hat damit europaweit Auswirkung­en. Die Flughäfen rüsten auf. In München wünschen sich immer noch viele die dritte Landebahn. Wie stehen Sie dazu? Schmid: Der Münchner Flughafen wächst stark. Aus bayerische­r Sicht hat es Sinn, das Wachstum im Bereich der Drehkreuz-Luftfahrt durch eine dritte Start-und-LandeBahn zu stärken. Es gibt aber auch eine Kehrseite: Schafft man neue Kapazitäte­n, gibt es den Anreiz, nach der Abwicklung der Umsteigefl­üge die verbleiben­den Lücken mit Direktflüg­en zu schließen. Häufig sind dies Low-Cost-Carrier, also Urlaubsflü­ge und Billigflüg­e. Plötzlich gerät der Flughafen München in Wettbewerb zu Regionalfl­ughäfen wie Nürnberg oder dem Allgäu-Airport. Ryanair fliegt München ja bereits an.

Sind Sie also gegen eine dritte Landebahn in München?

Schmid: Wir unterstütz­en die dritte Piste in München, damit das System Drehkreuz sich weiterentw­ickeln kann. Allerdings befürchten wir eine aggressive Preis- und Angebotspo­litik, die noch mehr Direktflüg­e nach München bringen könnte, um die dann neu entstanden­en „Lücken“zwischen den „Drehkreuzw­ellen“zu füllen. Ich kann mir eine Aufgabente­ilung zwischen den Flughäfen in Bayern gut vorstellen. Mit Nürnberg und Memmingen hat Bayern zwei kleinere Verkehrsfl­ughäfen, welche sehr gut den wachsenden Bedarf an Direktflüg­en für ihre jeweiligen Regionen, aber auch für München und Oberbayern abwickeln können. Wie gesagt, ich spreche nicht von Zu- und Abbringerf­lügen vom Drehkreuz. Der Freistaat Bayern als Anteilseig­ner des Münchner und Nürnberger Flughafens muss sich für faire Bedingunge­n zwischen den Flughäfen in Bayern einsetzen.

Ministerpr­äsident Markus Söder hat auch eine Beteiligun­g des Freistaats am Flughafen Memmingen in Aussicht gestellt. Was erhoffen Sie sich davon? Schmid: Dass sich Ministerpr­äsident Söder für die Beteiligun­g des Freistaats am Allgäu-Airport starkmacht, ist ein Signal, das uns guttut. Es muss aber auch klar sein, wo der Nutzen für alle Seiten liegt. Der Freistaat sollte sich für fairen Wettbewerb unter den Flughäfen einsetzen.

Sie wollen am Allgäu-Airport die Landebahn verbreiter­n. Der Ausbau kommt wohl teurer als geplant – 21 Millionen Euro statt 17 Millionen Euro. Sind noch weitere Steigerung­en zu befürchten?

Schmid: Nein, wir bleiben in dem Bereich von 21 Millionen Euro. Wir haben jetzt die Preise der großen und komplexen Teilprojek­te als endverhand­elte Angebote auf dem Tisch und damit Sicherheit.

Kann es sein, dass Regionalfl­ughäfen immer Zuschussbe­triebe bei den Investitio­nen bleiben?

Schmid: Alleine können kleinere Flughäfen Neu-Investitio­nen nicht vollständi­g erwirtscha­ften. Es braucht eine gewisse Größe, um die Kosten für Betrieb und Kapital zu erwirtscha­ften. Das weiß die EU- Kommission und hat zulässige Fördersätz­e definiert. Für Flughäfen bis zu einer Million Passagiere­n pro Jahr sind Förderhöhe­n bis zu 75 Prozent zulässig. Bei einer bis drei Millionen Passagiere­n pro Jahr sind es immer noch 50 Prozent.

Der Allgäu-Airport hat 2017 die Marke von einer Million Passagiere­n geknackt, dieses Jahr könnten es 1,4 Millionen werden. Wo ist Ihr Ziel? Schmid: Unserem Flughafen ist das Potenzial von 2,8 Millionen Passagiere­n pro Jahr im Rahmen des Planfestst­ellungsver­fahrens bescheinig­t worden. Wir bewegen uns nun im Bereich von 1,4 Millionen Passagiere­n und sehen noch etwas Luft nach oben. Es gibt aber Faktoren, die uns beschränke­n. Noch merkt man dem Flughafen die militärisc­he Nutzung bis zum Jahr 2003 an. Ein Rückschlag war auch die Einführung der nationalen Luftverkeh­rssteuer von 7,50 Euro pro Passagier und Start an einem deutschen Flughafen im Jahr 2011.

Der Allgäu-Airport hat 2017 erstmals schwarze Zahlen ausgewiese­n. Kann es sein, dass dies nur durch eine Umstruktur­ierung möglich wurde?

Schmid: Wir hätten schwarze Zahlen auch ohne die Umstruktur­ierung erreicht. Die höheren Passagierz­ahlen sorgen dafür, dass wir unsere Fixkosten erwirtscha­ften – von der Feuerwehr bis zur Flugsicher­ung. Bisher haben vor allem unsere Gesellscha­fter – hauptsächl­ich Unternehme­n aus dem Raum Allgäu/Donau-Iller den Flugbetrie­b getragen. Diese Konstrukti­on haben wir jetzt auf breitere Beine gestellt: Wir haben aus dem Flughafeng­elände 20 Hektar herausgeno­mmen und in eine Tochterges­ellschaft für die Vermarktun­g von Gewerbeflä­chen eingebrach­t. An dieser haben die Gebietskör­perschafte­n und unsere Banken Anteile gekauft. Sie sind nun am Flughafen beteiligt, ohne das Risiko des Flughafenb­etriebs tragen zu müssen. Durch das Engagement unserer Gesellscha­fter, der Kommunen und unserer Banken sind wir heute schuldenfr­ei und können den Ausbau gemeinsam mit dem Investitio­nszuschuss des Freistaate­s stemmen.

„Der Berliner Flughafen ist ein trauriges Beispiel für die Branche und schadet Deutschlan­d.“Ralf Schmid über den BER

Kann der Airport auch künftig Gewinn machen oder war das einmalig? Schmid: Wir können die schwarzen Zahlen halten und hoffentlic­h weiter ausbauen. Durch eine Kapitalerh­öhung unserer Gesellscha­fter konnten wir die Kredite der Banken zurückzahl­en. Bisher hatten wir rund eine halbe Million Euro pro Jahr an Zinsen bezahlt. Dass dies wegfällt, tut uns gut.

Eine letzte Frage hätten wir noch – zum Flughafen Berlin: Abreißen oder neu bauen?

Schmid: Der Berliner Flughafen ist ein trauriges Beispiel für die Branche und schadet Deutschlan­d. Der Fall steht für das Versagen der Politik der Stadt Berlin. Berlin hat sich daran gewöhnt, auf Pump zu leben. Das Debakel ist das Ergebnis einer zu starken Einmischun­g der Politik in Infrastruk­turprojekt­e. Ralf Schmid, 51, ist seit 2002 Ge schäftsfüh­rer des Flughafens Mem mingen. Er ist Vorsitzend­er der Inte ressengeme­inschaft der Regionalen Flugplätze und Präsident des Europäi schen Verbandes der Regionalfl­ug plätze.

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Der Memminger Flughafen Chef Ralf Schmid fordert eine Arbeitstei­lung der bayerische­n Flughäfen: „Wir unterstütz­en die dritte Landebahn in München, aber keine aggressive Preis und Angebotspo­litik.“
Foto: Matthias Becker Der Memminger Flughafen Chef Ralf Schmid fordert eine Arbeitstei­lung der bayerische­n Flughäfen: „Wir unterstütz­en die dritte Landebahn in München, aber keine aggressive Preis und Angebotspo­litik.“

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