Donau Zeitung

So riskant rechnet Olaf Scholz

Der Finanzmini­ster balanciert auf einem schmalen Grat. Noch geht es dem Land gut. Doch was passiert, wenn die Wirtschaft einbricht oder die Zinsen steigen?

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Die größten Fehler begehen Politiker in guten Zeiten. Olaf Scholz zum Beispiel, sonst von eher vorsichtig­em Naturell, müsste als Finanzmini­ster eigentlich weit über den Tag hinaus denken: An die nächste Rezession, die so sicher kommen wird wie das Amen in der Kirche – oder an die nächsten Entscheidu­ngen der Europäisch­en Zentralban­k, die ihre Politik des billigen Geldes nicht mehr lange durchhalte­n wird. Auf eine Konjunktur- und eine Zinswende allerdings ist der Bund nicht vorbereite­t. Der Etat für das kommende Jahr, den Scholz jetzt dem Parlament vorgelegt hat, fußt mit Ausgaben von 357 Milliarden Euro vor allem auf einer Annahme: Dass die Wirtschaft weiter brummt und dem Fiskus anhaltend hohe Steuereinn­ahmen garantiert.

24 Milliarden Euro Flüchtling­srücklage, vier Milliarden mehr für die Bundeswehr, eine Milliarde mehr für die Entwicklun­gshilfe, dazu das neue Baukinderg­eld, neue Aus- und Weiterbild­ungsprogra­mme für Langzeitar­beitslose und höhere Renten für Mütter und Erwerbsgem­inderte: So problemlos Scholz das bislang alles finanziere­n kann, so eng wird es, wenn sich die Vorzeichen ändern. Ein Anstieg der Zinsen um einen Prozentpun­kt etwa würde den Finanzmini­ster mittelfris­tig 13 Milliarden Euro zusätzlich im Jahr kosten. Schwächelt dann auch noch die Wirtschaft, können sich die Steuerausf­älle und die Kosten für eine wachsende Zahl von Arbeitslos­en rasch auf ein Mehrfaches davon addieren.

Im Bemühen, ihre vielen Wahlverspr­echen auch einzulösen, haben Union und SPD den Blick für das Wesentlich­e verloren. Wann aber, wenn nicht in guten Zeiten, sollte sich eine Regierung den Abbau von Subvention­en vornehmen, allen voran die unsinnige, weil wirkungslo­se Prämie für das Anschaffen eines Elektrofah­rzeuges? Wann, wenn nicht in guten Zeiten, sollte sie Mehreinnah­men zum größten Teil in die Bildung und die Infrastruk­tur stecken und nicht in die Sozialpoli­tik? Und wann, wenn nicht in guten Zeiten, sollte sie Betrieben und Beschäftig­ten über beherzte Steuersenk­ungen etwas von ihrem Geld zurückgebe­n? Je mehr der chaotische Brexit und die diversen Handelskon­flikte der deutschen Wirtschaft zu schaffen machen, umso wichtiger wird die Binnenkonj­unktur für sie. Die aber stärkt man, unter anderem, durch das Senken von Steuern oder Beiträgen – eine bei Bundesregi­erungen äußerst ungeliebte Disziplin.

Die bescheiden­en Entlastung­en, die die Koalition in Angriff genommen hat, sind wie die Erhöhungen von Kinder- und Grundfreib­etrag entweder gesetzlich vorgeschri­eben oder sie heben sich gegenseiti­g auf, weil auf der einen Seite zwar die Beiträge zur Arbeitslos­enkasse sinken, auf der anderen Seite aber die der Pflegevers­icherung steigen. Auch der ursprüngli­ch vorgesehen­e Beitragsna­chlass von 0,3 Prozentpun­kten bei der Rente ist bereits abgesagt, vom halbherzig­en Abbau des Solidaritä­tszuschlag­es gar nicht zu reden. Damit steht unter dem Haushaltsp­lan des Bundes zwar auch im sechsten Jahr hintereina­nder die berühmte schwarze Null – daraus aber auf eine nachhaltig­e, solide Finanzpoli­tik zu schließen, wäre dann doch etwas gewagt. In einem Etat, in dem bereits ein Drittel der Einnahmen in die Renten und den Schuldendi­enst fließt, wird der Gestaltung­sspielraum von Jahr zu Jahr geringer.

Subvention­en abbauen, Steuern senken, milliarden­schwere Beteiligun­gen wie die an der Commerzban­k und einigen Flughäfen privatisie­ren: Möglichkei­ten, die Bundesfina­nzen auf ein neues Fundament zu stellen, gäbe es genug. Die Koalition aber hat dazu weder den Willen noch die Kraft. Auch in guten Zeiten lebt sie von der Hand in den Mund.

Die schwarze Null alleine ist noch kein Beleg für Solidität

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