Gericht stärkt Arbeitnehmer in der Kirche
Der Europäische Gerichtshof hält die Kündigung eines Chefarztes in einer katholischen Klinik nach seiner Wiederheirat für potenziell diskriminierend. Die Folgen könnten erheblich sein
Luxemburg Kirchen dürfen in Deutschland besonders genau darauf schauen, wie sich ihre Angestellten verhalten. Ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) könnte das System nun ins Wanken bringen: Die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus nach seiner Wiederheirat könne eine verbotene Diskriminierung darstellen, urteilten die Luxemburger Richter am Dienstag. Das deutsche Gericht müsse nun prüfen, ob die Religion bei der ausgeübten Tätigkeit eine maßgebliche Anforderung sei.
Im vorliegenden Fall hatte der Chefarzt nach der Scheidung von seiner ersten Frau erneut standesamtlich geheiratet. Weil die erste Ehe nicht annulliert wurde, ist die zweite nach Kirchenrecht ungültig. Die Klinik in Düsseldorf kündigte ihm mit der Begründung, er habe damit gegen Loyalitätspflichten laut Arbeitsvertrag verstoßen. Das Lebenszeugnis leitender Mitarbeiter müsse der katholischen Glaubensund Sittenlehre entsprechen. Der Rechtsstreit darüber läuft seit 2009. Die obersten EU-Richter widersprachen nun der Kirchenauffassung. „Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“, erklärte das Gericht. Ähnliche Stellen seien zudem an Beschäftigte vergeben worden, die nicht katholischer Konfession und damit nicht denselben Anforderungen unterworfen seien.
Im konkreten Fall muss nun das Bundesarbeitsgericht in Erfurt auf der Grundlage des EuGH-Urteils entscheiden. Einen tiefen Einschnitt bringt die EuGH-Entscheidung nach Ansicht des Leiters der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht an der Uni Tübingen, Hermann Reichold: „Das individuelle Arbeitsrecht, also Einstellung und Kündigung von kirchlichen Arbeitnehmern, wird sich in Zukunft stärker nach weltlichen Maßstäben richten müssen, egal, was in der Grundordnung der katholischen Kirche derzeit noch drinsteht.“
Das Grundgesetz garantiert den Kichen in Deutschland ein Selbstbestimmungsrecht, das auch Auswirkungen auf ihre Rolle als Arbeitgeber hat. Die Sonderrechte fußen auf Gesetzen der Weimarer Republik. Dies betrifft über eine Million Menschen, darunter hauptberuflich Angestellte bei den öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften, aber auch bei Wohlfahrtsverbänden wie der Diakonie oder der Caritas. Reichold zufolge ist die Sonderstellung der Kirchen in Deutschland europaweit einmalig.
Die Deutsche Bischofskonferenz äußerte sich unzufrieden zum Urteil. Die verfassungsrechtliche Position der Kirchen sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, erklärte Konferenzsekretär Hans Langendörfer. Man werde nun die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abwarten. „Anschließend muss geprüft werden, ob die Entscheidungen mit den Vorgaben des Grundgesetzes in Einklang stehen.“Erfreut äußerte sich Johannes Grabmeier, Sprecher bei der katholischen Reformbewegung „Wir sind Kirche“. „Kaum jemand akzeptiert und versteht mehr, dass der Staat den Kirchen das Recht zugesteht, in dieser Weise zu diskriminieren“, erklärte er.
Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte das Urteil. Es bekräftige den Diskriminierungsschutz der Beschäftigten bei Kirchen und kirchennahen Arbeitgebern, sagte der kommissarische Leiter Bernhard Franke. Ein loyales Verhalten im Sinne des kirchlichen Selbstverständnisses dürfe nicht pauschal für alle Tätigkeiten gefordert werden. „Es ist vielmehr im Einzelfall anhand der konkreten Tätigkeit zu begründen und es unterliegt der gerichtlichen Kontrolle.“Auch aus der CDU kam Zustimmung: „Dass ein Chefarzt geschieden und wiederverheiratet ist, hindert ihn nicht daran, seine Arbeit gut zu machen“, sagte der EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU). Er forderte einen „klügeren“und „menschlicheren“Umgang der Kirche mit Betroffenen.
„Das individuelle Arbeitsrecht (...) wird sich in Zukunft stärker nach weltlichen Maßstäben richten müssen.“Arbeitsrechtler Hermann Reichold