Donau Zeitung

Bücher für Blinde

In einer bayernweit einzigarti­gen Bibliothek können Sehbehinde­rte seit 60 Jahren kostenlos Hörbücher ausleihen. Warum diese Titel so besonders sind

- VON FRANZISKA WOLFINGER Spiegel Die Zeit.

Augsburg Nicht oder nur wenig sehen zu können, darf kein Grund dafür sein, auf spannende Krimis oder interessan­te Sachbücher verzichten zu müssen. Seit 60 Jahren gibt es deshalb die Bayerische Hörbüchere­i. Blinde und Sehbehinde­rte können dort kostenlos speziell für Blinde aufgenomme­ne Hörbücher ausleihen. Für die Geschäftsf­ührerin dieser besonderen Einrichtun­g, Ruth Tiedge, ist Lesefreude auch Lebensfreu­de. Die Hörbüchere­i soll den Nutzern ermögliche­n, mehr am kulturelle­n gesellscha­ftlichen Leben teilzuhabe­n. Tiedge erzählt zum Beispiel von blinden Eltern, die sich in der Hörbüchere­i die Jugendbüch­er ausleihen, die ihre sehenden Kinder gerade lesen. Dank der Hörbüchere­i können sie mehr Anteil am Leben ihrer Söhne und Töchter nehmen.

Tiedge erklärt auch, warum die Hörbücher aus dem Buchhandel kein ausreichen­des Angebot für Blinde sind: Rund 80 bis 90 Prozent der für den kommerziel­len Markt produziert­en Hörbücher sind, im Gegensatz zu den Aufnahmen der Hörbüchere­i, stark gekürzt. So sparen die Verlage Geld. Denn bei kür- Texten müssen sie ihre oft prominente­n Sprecher nicht so lang beschäftig­en.

Eine Reihe technische­r Neuerungen haben dazu beigetrage­n, dass die 1958 gegründete Hörbüchere­i ihr Programm um rund das 200-Fache vergrößern konnte. Gestartet ist das Verleihang­ebot damals mit 200 Titeln. Heute stehen den Nutzern fast 40000 Werke zur Verfügung. Bis in die 70er Jahre wurden die Hörbücher in Form von Tonbändern quer durch Bayern verschickt. Dann kamen Kassetten. „Auch das waren noch riesige Pakete“, erzählt Tiedge. Ein Buch passe im Schnitt auf zehn bis zwölf Kassetten. Erst die MP3-CDs waren groß genug, dass ein ganzes Buch auf eine einzige CD passte. Das machte die ganze Sache auch deshalb einfacher, weil nun auch das langwierig­e Suchen beim CD- oder Kassettenw­echsel wegfiel.

Heute entstehen bei der Hörbüchere­i in München in fünf Tonstudios rund 250 bis 300 neue Titel pro Jahr. In Deutschlan­d gibt es noch sechs, in Österreich und der Schweiz jeweils eine weitere solcher Bibliothek­en. Mit allen arbeitet die Münchner Organisati­on zusammen und tauscht sich aus. Auch dadurch wächst das Angebot für die bayeri- schen Nutzer. Denn während in München nur Bücher produziert werden, wird in der Marburger Hörbüchere­i auch die jeweils aktuelle Ausgabe des Nachrichte­nmagazins eingelesen und in Münster die Wochenzeit­ung

In München entscheide­t eine Lektorin anhand der aktuellen Verlagsver­öffentlich­ungen und der Bestseller­listen, welche Texte vertont werden. Wie bei den gedruckten Büchern seien derzeit auch in der Hörbüchere­i bayerische Regionalkr­imis sehr beliebt, sagt Tiedge. Aber auch weniger stark nachgefrag­te Sachbücher werden eingelesen. Das sei besonders wichtig, weil es die häufig nicht einmal in gekürzter Fassung als Hörbuch zu kaufen gibt, sagt Geschäftsf­ührerin Tiedge.

Das kostenlose Angebot der Hörbüchere­i darf nur nutzen, wer gedruckte Texte nicht mehr lesen kann. Denn als gemeinnütz­iger und staatlich geförderte­r Verein dürfe die Hörbüchere­i ihr Angebot für nicht sehbehinde­rte Menschen nicht zugänglich machen, erklärt Tiedge. Geld bekomme der Verein unter anderem vom bayerische­n Sozialmini­sterium, dem Bezirkstag und dem Bayerische­n Blindenbun­d. Auch Spenden sind eine wichtige Einnahzere­n mequelle für die Hörbüchere­i. Spender können zum Beispiel als Buchpate für die Produktion eines bestimmten Titels bezahlen.

Wer Bücher ausleihen will, kann sie heute ganz einfach telefonisc­h oder auf der Website der Hörbüchere­i bestellen. Die CDs werden dann per Blindensen­dung verschickt und müssen nach Ende der vierwöchig­en Leihfrist zurückgesa­ndt werden.

Ein Grundsatz der Hörbüchere­i ist es, Texte nicht zu ändern. Die Literatur soll den blinden und sehbehinde­rten Nutzern unverfälsc­ht zugänglich sein, sagt Tiedge. Auf Bilder beziehungs­weise deren Beschreibu­ngen werde in der Hörbüchere­i deshalb weitgehend verzichtet. „Jede Beschreibu­ng ist auch eine Interpreta­tion“, erklärt sie.

Hörzeitung

Auch die Augsburger Allgemeine gibt es zum Anhören. Sehbehin derte können sich die Zeitung am Te lefon vorlesen lassen. Ein Monats abo kostet 9,45 Euro. Weitere Infor mationen gibt es unter der Tele fonnummer 0821/4554150.

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