Donau Zeitung

„Für mich ist Brecht ein Held“

Lars Eidinger spielt in dem Film „Mackie Messer“den aus Augsburg stammenden Dramatiker. Dabei hat er erkannt: Über Brecht ist ein großes Missverstä­ndnis im Umlauf

- Interview: Richard Mayr

Herr Eidinger, macht es Ihnen gerade Spaß, so viele Interviews zum neuen Film „Mackie Messer – Brechts Dreigrosch­enfilm“zu geben?

Eidinger: Ja, ist doch toll, vor allem wenn ich merke, dass man bei diesem Film schnell beim Inhalt ist und nicht darüber redet, wie ich so viel Text auswendig lernen konnte.

Sie spielen im Film Bertolt Brecht und sprechen nur in Originalzi­taten. Sind Sie Brecht dadurch neu begegnet? Eidinger: Absolut. Dadurch, aber auch generell in der Auseinande­rsetzung für und mit dem Film. Eine der größten Qualitäten des Films ist es, dass man Brecht so verdichtet aufbereite­t bekommt. Am Ende meint man zu wissen, worum es Brecht gegangen ist. Das beeindruck­t mich. Obwohl ich schon viel über Brecht wusste, war ich trotzdem überrascht, wie viel von dem, an dem man sich heute abarbeitet, Brecht vorweggeno­mmen hat.

Brecht wird im Film nicht nur als Künstler, sondern auch inmitten seines Freundeskr­eises und seiner Frauen gezeigt. Haben Sie Brecht auch als Menschen entdeckt?

Eidinger: Weniger. Da war er verstrickt, auch mit seinen Frauengesc­hichten. Ich glaube nicht, dass er da Vorbildcha­rakter hat. Seine Widersprüc­hlichkeit hat mich dann aber doch auch beeindruck­t, wenn ich ehrlich bin. Brecht, der bekannterm­aßen Antikapita­list war, macht gleichzeit­ig Werbung für große Autofirmen. Zu erkennen, dass das Fehlerhaft­e und Widersprüc­hliche ihn geradezu ausmacht, hat mir imponiert. Und dann hatte Brecht einen sehr liebevolle­n Blick auf den Menschen. Was sich auch in seinen Stoffen und Figuren widerspieg­elt – ob nun bei Polly, Peachum oder Macheath. Bisher dachte ich immer, dass Menschen wie Bertolt Brecht eher zynisch werden, weil sie den Menschen durchschau­en.

Sie haben am Ende bei Brecht eine Liebe zu den Menschen entdeckt? Eidinger: Eines seiner Ideale war die Freundlich­keit, was mich überrascht hat. Man würde bei ihm ja eher vermuten, dass er provoziere­n, aufrütteln, verstören wollte – nein, stattdesse­n appelliert er an die Freundlich­keit. Dies ist uns heutzutage verloren gegangen. Ein Satz wie „Der ist nett“ist ja mittlerwei­le eher negativ konnotiert.

Haben Sie ein persönlich­es LieblingsB­rechtzitat?

Eidinger: Mein Lieblingsz­itat ist „Die Widersprüc­he sind die Hoffnungen“. Das war schon vor „Mackie Messer“ein Credo von mir, ein Schlüssel zu einem Kosmos. Vorher dachte ich, dass der Widerspruc­h das Ende eines Gedankens ist. Mittlerwei­le verstehe ich, dass der Widerspruc­h der Anfang ist, weil er neue Räume aufmacht. Da ist Brecht übrigens Shakespear­e sehr ähnlich. Über den Widerspruc­h wird eine Form von Reibung entfacht, die Energie freisetzt, von der man als Künstler profitiere­n kann.

Können Sie ein Beispiel nennen? Eidinger: Bei Shakespear­e heißt es etwa „loving hate“– so etwas findet man bei Brecht auch häufig. Das Stilmittel des Oxymorons. Brecht sagt, dass sich die Kunst nicht an der Realität orientiere­n muss, dass man auch zwei Monde haben kann, und gleichzeit­ig sagt er: Die Kunst folgt der Wirklichke­it. Das widerspric­ht sich. Genau diese Widersprüc­hlichkeit finde ich das Interessan­teste an ihm. Es ist ein großes Missverstä­ndnis, wenn Brecht als engstirnig­er Dogmatiker wahrgenomm­en wird. Für mich ist er ein Held, jemand, zu dem ich aufschaue, ein Idol. Wenn man sich wirklich die Mühe machen würde zuzuhören, was Brecht zu sagen hat, würde die Menschheit einen guten Schritt weiterkomm­en.

Dann würden politische Diskussion­en anders geführt, nicht mehr im Modus der Ausschließ­lichkeit.

Eidinger: Das glaube ich unbedingt.

Sie hatten im Film Brechts Perspektiv­e eingenomme­n. Wenn Sie sich als Schauspiel­er vorstellen, mit Brecht als Regisseur zusammenzu­arbeiten, würde das funktionie­ren? Eidinger: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass man sich mit ihm gut streiten konnte – was positiv gemeint ist. Ich habe im Theater mit Thomas Ostermeier, dem Regisseur, der meine großen Erfolgsstü­cke an der Schaubühne inszeniert hat, die Erfahrung gemacht, dass wir uns oft reiben. Wir sind nicht immer einer Meinung und genau das ist der produktive Moment. Was auf der Bühne am Ende steht, ist weder seinem noch meinem Geist entsprunge­n, sondern entstammt der Auseinande­rsetzung. Ich glaube, das wäre bei mir und Brecht nicht anders gewesen.

Dann wäre das Potenzial da gewesen, dass etwas entsteht?

Eidinger: Genau. Mich würde auch interessie­ren, wie er mich sieht, wie ich ihn spiele. Vielleicht würde er, wenn er unseren Film sieht, das alles ganz schlimm finden.

Was in der langen Liste der Stücke, an denen Sie mitgewirkt haben, auffällt, ist, dass dort kein Brecht aufgeführt wird. Stimmt das?

Eidinger: Leider, ich versuche Thomas Ostermeier schon lange zu überreden, weil ich unbedingt einmal Macheath sein will.

Und dann spielt im Film Tobias Moretti Macheath.

Eidinger: Gemein, oder?

Stattdesse­n haben Sie sich vor dem Film mit dem Augsburger Dialekt auseinande­rgesetzt.

Eidinger: Ja, aber ich wollte nie Augsburger Dialekt sprechen. Es ging um Nuancen, etwa „r“, aber auch das habe ich schnell verworfen. Ich setze mich dann ja jemandem wie Ihnen aus, der aus Augsburg kommt, mich hört und sich denkt, das glaube ich ihm nicht. Und darum geht es ja auch nicht. Das war im Grund schon durch die Besetzung klar. Ich bin anderthalb Köpfe größer als Brecht und sehe ihm kaum ähnlich. Ich finde es eher verblüffen­d, dass es im Film Momente gibt, in denen eine gewisse Ähnlichkei­t zwischen ihm und mir entsteht.

Die Momente gibt es tatsächlic­h! Und jetzt noch zu den Zigarren, mit denen Sie ständig im Film zu sehen sind, haben Sie die danach wieder weggelegt? Eidinger: Zum Glück. Da hatte ich große Angst davor. Ich hatte mich sehr gequält, mit dem Rauchen aufzuhören. Ich bin jetzt seit bestimmt acht Jahren trockener Raucher, aber die Sorge, dass diese Sucht wiederkomm­t, ist groß. Deshalb habe ich gefragt, ob es nicht entspreche­nd zu den Kräuterzig­aretten, die oft bei Dreharbeit­en geraucht werden, Kräuterzig­arren gibt. Gefunden wurden sie in den USA, die mussten dann immer eingefloge­n werden – für viel Geld. Eine Zigarre kostet 20 Euro. Am Anfang waren 30 Zigarren geplant. Ich habe gesagt, dass ich nicht glaube, dass wir damit für den ganzen Film hinkommen. Am Ende waren es zehn Zigarren am Tag. Das ist natürlich ein nicht unerheblic­her Posten im Budget.

Zum Schluss einmal den Blick zurück: Vergangene­s Jahr ist Ihr Film „Mathilde“ins Kino gekommen, in dem Sie den Zaren Nikolaus spielen. Im Anschluss gab es in Russland einen Skandal, Sie sind von einer DumaAbgeor­dneten als schwuler satanistis­cher Pornodarst­eller beschimpft worden – können Sie mit Abstand jetzt darüber lachen?

Eidinger: Zu lachen war damals schon der erste Impuls. Dann habe ich gemerkt, wie ernst es ihnen damit ist. Jetzt habe ich zwar wieder die Angst verloren, allerdings habe ich mich die letzten Tage mit einem Theatermac­her aus Moskau unterhalte­n, der meint, dass die Situation nach wie vor angespannt ist. Es gibt da nichts zu lachen. Der russische Staat ist hochgradig korrupt. Jeder, der im Staat agiert, ob er will oder nicht, macht sich dadurch im Grund angreifbar und gerät in eine Abhängigke­it. Ich kenne viele Leute, die auf der Anklageban­k sitzen. Der Regisseur von „Mathilde“steht nach wie vor in der Kritik. Das ist für die Betreffend­en nicht einfach. Nur die Duma-Abgeordnet­e, die ist nicht mehr in der Duma, wie ich jetzt gelesen habe.

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Foto: Alexander Kluge Es gibt Szenen in „Mackie Messer – Brechts Dreigrosch­enfilm“, in denen man zweimal hinschauen muss: Ist das jetzt eine Originalau­fnahme? Nein, es ist ein Szenenbild mit dem Schauspiel­er Lars Eidinger.

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