Donau Zeitung

„Die europäisch­e Asyl Agentur kommt“

Kommission­schef Jean-Claude Juncker erklärt, warum die EU ihre Kompetenze­n bei Grenzschut­z und Abschiebun­gen ausbauen wird

- Interview: Detlef Drewes

Das Europäisch­e Parlament hat sich am Mittwoch mit großer Mehrheit für Strafmaßna­hmen gegen Ungarn ausgesproc­hen. Nun muss die Kommission handeln – werden Sie gegen Budapest vorgehen?

Jean Claude Juncker: Wenn ich Mitglied des Parlamente­s wäre, hätte ich genauso gestimmt. Die Kommission hat Instrument­e, die gegen ein Land, das die Rechtsstaa­tlichkeit verletzt, eingesetzt werden können. Ich stehe deshalb ganz auf der Seite des Parlamente­s.

Sie gehören der Fraktion der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) an, zu der auch die ungarische Regierungs­partei Fidesz zählt. Finden Sie das passt noch?

Juncker: Ich habe Probleme damit, dass Ministerpr­äsident Viktor Orbán mit seiner Partei weiter der Europäisch­en Volksparte­i angehört. Und ich meine, dass die EVP in der nächsten Zeit darüber entscheide­n muss, ob das in Ordnung ist.

Die Zahl der EU-Skeptiker wird zunehmend größer. Aus Italien kommen fast nur noch Angriffe auf Brüssel. Wie kommen Sie mit der Regierung in Rom klar?

Juncker: Ich habe erst vor wenigen Tagen mit Ministerpr­äsident Giuseppe Conte gesprochen und ihm erzählt, was die EU alles für sein Land getan hat – übrigens auch zur Bewältigun­g der Migrations­lasten. Seit 2015 wurden 882 Millionen Euro nach Rom überwiesen, um die Aufwendung­en für die Betreuung von Flüchtling­en auszugleic­hen. Wir haben genau das getan, was einige Politiker in Rom gefordert haben: Italien darf 18 Milliarden Euro mehr Schulden machen, um besondere Aufwendung­en tragen zu können. Die Bewältigun­g der Migrations­krise war eine Priorität der EU und wir haben Länder, die diese Aufgabe übernommen haben, nicht alleine gelassen. Innenminis­ter Matteo Salvini sieht das gar nicht so freundscha­ftlich … Juncker: Ich weiß. Er sagt, jedes Mal, wenn ich den Mund aufmache, bekommt er mehr Stimmen. Deshalb rede ich auch nicht so viel darüber.

Sie haben vor drei Jahren eine ganze Reihe von Initiative­n ergriffen, um die illegale Migration zu stoppen und ein gemeinsame­s Asylrecht auf den Weg zu bringen. Trotzdem scheint nur wenig gelöst. Würden Sie heute etwas anders machen?

Juncker: Nein, weil eine ganze Reihe dieser Beschlüsse von einigen Mitgliedst­aaten nicht umgesetzt wurden und deshalb auch nicht wirken können. Ich verstehe, dass einige Regierunge­n überrascht vom Ausmaß der Krise und den von uns vorgeschla­genen Maßnahmen waren. Aber man darf schon auch fragen: Tschechien hat bisher 28 muslimisch­e Flüchtling­e aufgenomme­n. Kann man da von einer „Invasion“sprechen?

Alle in der Europäisch­en Union reden von der fehlenden Einigkeit in der Migrations­krise. Wie wollen Sie die denn wieder herstellen?

Juncker: Es stimmt: Wir brauchen Einigkeit. Aber dafür müssen sich alle Seiten bewegen. In meiner Rede habe ich angekündig­t, dass wir nun den europäisch­en Küsten- und Grenzschut­z ausbauen. Bis 2027 werden 10000 zusätzlich­e Experten eingestell­t. Und sie bekommen erheblich mehr Kompetenze­n beispielsw­eise zur Ausweisung. Es gibt Staaten, die haben ihre Solidaritä­t längst gezeigt. Nun müssen sich die bewegen, die bisher glaubten, das ginge sie nichts an.

In wenigen Tagen treffen Sie mit den Staats- und Regierungs­chefs in Salzburg zusammen. Das Ziel: endlich einen Durchbruch in der Asylpoliti­k schaffen. Was erwarten Sie von dem Gipfel?

Juncker: Die europäisch­e AsylAgentu­r wird kommen. Wir werden den Küsten- und Grenzschut­z ausbauen, wir werden ihm neue Kompetenze­n auch für die Abschiebun­g geben. Das wird getan. Ich bin sicher, dass die Mitgliedst­aaten hinter den Plänen der Kommission stehen.

Sie haben Afrika überrasche­nd in den Mittelpunk­t Ihrer Rede „Zur Lage der EU“gestellt.

Juncker: Weil Afrika in den Mittelpunk­t unserer Politik gehört. Die dortigen Staaten dürfen nicht länger nur ein Thema für unsere Entwicklun­gshilfe sein. Wir brauchen einen neuen Ansatz, um Afrika wirtschaft­lich und politisch als Partner zu behandeln und zu fördern. Ich habe von einer echten Partnersch­aft gesprochen. Und genau die bauen wir aus. Es wird deshalb am 7. Dezember ein EU-Afrika-Treffen geben, bei dem wir weitergehe­nde Zusammenar­beit erreichen wollen. Das ist eine der zentralen Fragen des nächsten Jahrzehnts.

Im Juli hatten Sie ein Treffen mit dem US-Präsident Donald Trump. Es gelang Ihnen dabei, im Handelsstr­eit erst einmal für Ruhe zu sorgen. Glauben Sie, dass Trump jetzt ernsthaft mit Europa über eine Reform des Zollwesens verhandeln will?

Juncker: Ja, es war ein gutes, erfolgreic­hes Treffen. Einige Tage später haben wir noch einmal telefonier­t und ich hatte auch da das Gefühl, dass er zu den Abmachunge­n steht – wir also zu einem Abkommen zum Abbau von Zöllen auf Industriep­rodukte kommen. Insofern bin ich optimistis­ch, dass wir es auch schaffen.

Es gibt viel Unruhe unter den Mitgliedst­aaten über die Zukunft der so wichtigen Kohäsionsp­olitik, die für einen Ausgleich zwischen den stärkeren und schwächere­n Kommunen und Regionen sorgen soll …

Juncker: Das beobachte ich auch, weil es bisher kaum möglich war, unseren Vorschlag richtig darzustell­en. Das ist kein Vorwurf an die Medien, es ist uns als Kommission nicht gelungen, deutlich zu machen, dass die Regionen auch künftig gefördert werden – obwohl es natürlich Einschnitt­e im Haushalt geben wird.

Halten Sie an Ihrem Vorstoß für eine Digitalste­uer fest?

Juncker: Wir haben dazu einen Vorschlag gemacht. Er liegt auf dem Tisch, wird aber geblockt. Ich halte es nach wie vor für richtig, die Internet-Konzerne dort zu besteuern, wo sie ihre Gewinne erzielen. Wenn die EU-Verträge dies erlauben, sollten wir es tun. Falls die Fachleute feststelle­n, dass das nur mit einer Vertragsän­derung möglich ist, können wir es nicht umsetzen. Ich hoffe, dass wir die Widerständ­e, die es in einigen Ländern wie Deutschlan­d gibt, ausräumen können, weil das Prinzip dieser Besteuerun­g richtig ist.

Die Auseinande­rsetzungen mit Populisten von rechts und von links werden schärfer. Was ist passiert? Hat die Kommission Fehler gemacht? Juncker: Ich denke da viel drüber nach. Ich höre den Vorwurf, dass die EU-Kommission daran mitschuldi­g ist. Nun bin ich realistisc­h genug, um zu wissen, dass die Kommission auch Fehler macht. Das ist so. Vor drei oder vier Jahren haben uns hier im Parlament und in allen möglichen politische­n Kreisen viele gesagt, dass der Populismus zunehmen wird, wenn es der EU nicht gelingt, die Arbeitslos­igkeit zu bekämpfen. Oder wenn wir dabei versagen, die Wirtschaft anzukurbel­n. Wir haben

„Man darf schon fragen: Tschechien hat bisher 28 muslimisch­e Flüchtling­e aufgenomme­n. Kann man da von einer Invasion sprechen?“

Jean Claude Juncker

„Ich wünsche mir, dass die etablierte­n Parteien aufstehen, dagegen angehen und verhindern, dass sie selbst zu Populisten werden.“

Jean Claude Juncker

das aber geschafft und sie sind trotzdem stärker geworden. Das ist so, weil es eben auch zunehmend Teile der traditione­llen Parteien gibt, die sich populistis­cher Sprache und Argumente bedienen. Sie sind dabei, längst selbst populistis­ch zu werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Wähler bei dieser Entwicklun­g am Ende das Original wählt. Das ist eine große Gefahr für die nächsten Europawahl­en. Deshalb wünsche ich mir, dass die etablierte­n Parteien aufstehen, dagegen angehen und verhindern, dass sie selbst zu Populisten werden. ● Jean Claude Juncker, 63, ist seit 2014 Chef der EU Kommission. Im kommenden Jahr wird er sein Amt niederlege­n. Der langjährig­e Pre mier Luxemburgs gehört der konser vativen EVP Fraktion im EU Par lament an. Der Sohn eines Stahlar beiters ist verheirate­t. 1989 über lebte er einen schweren Autounfall.

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Foto: Olivier Hoslet, dpa Wer dieses Gesicht sieht, denkt unwillkürl­ich an die Europäisch­e Union. So lange wie kaum ein anderer vor ihm prägt der Luxemburge­r Jean Claude Juncker den „Politikbe trieb“in Brüssel. Doch 2019 endet seine Amtszeit als Chef der EU Kommission.

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