Donau Zeitung

Einmal Texas und zurück

Bei Kriegsende geraubt, kehrten vor 25 Jahren wertvolle Stücke des Quedlinbur­ger Domschatze­s zurück

- Romy Richter, epd

Quedlinbur­g Die Geschichte um den lange verscholle­nen Quedlinbur­ger Domschatz erinnert noch heute an einen fast unglaublic­hen Kunstkrimi. Einer der bedeutends­ten Kirchensch­ätze in Deutschlan­d, verschwund­en in den Wirren nach Ende des Zweiten Weltkriege­s, galt mehr als 40 Jahre als unauffindb­ar. Bis Recherchen schließlic­h in den Süden der USA führten und einen spektakulä­ren Raub aufdeckten. Ein US-Soldat hatte zwölf der wertvollst­en Stücke gestohlen und einfach per Feldpost in seine Heimat geschickt. Die Kisten in den Höhlen vor der Stadt, wo die Schätze eigentlich sicher und gut bewacht deponiert werden sollten, waren aufgebroch­en, die wesentlich­sten Stücke fehlten.

Seit 25 Jahren, seit Mitte September 1993, befindet sich dieses immer noch gut erhaltene Ensemble mittelalte­rlicher Schatzkuns­t wieder in Quedlinbur­g in Sachsen-Anhalt. In der Domschatzk­ammer der Stiftskirc­he St. Servatii kann es besichtigt werden. Neben Skulpturen und Tafelmaler­eien sind einzigarti­ge Goldschmie­dearbeiten, feine Schnitzere­ien aus Elfenbein und strahlende Werke orientalis­cher Kristallsc­hneidekuns­t erhalten. Eine Besonderhe­it ist ein Knüpfteppi­ch aus der Zeit um 1200, der älteste erhaltene Knüpfteppi­ch Europas. Der Kirchensch­atz spiegelt die Bedeutung des Damenstift­es im Hochmittel­alter wider. König Heinrich I. starb im Sommer des Jahres 936, die Königinwit­we Mathilde gründete noch im gleichen Jahr das Quedlinbur­ger Damenstift, welches später durch Kaiser Otto den Großen, Sohn Heinrichs I., als freiweltli­ches Stift bestätigt wurde. Mathilde ist in der Stiftskirc­he beigesetzt.

Die einzelnen Stücke des Schatzes kamen vor mehr als 1000 Jahren als Schenkung nach Quedlinbur­g. Die Reliquien, kostbaren Behältniss­e und einzigarti­gen Handschrif­ten dienten vor allem der Liturgie. Das älteste Stück ist ein Kana-Krug aus dem ersten Jahrhunder­t, der an die biblische Geschichte der Hochzeit zu Kana erinnert.

Nachdem die US-Streitkräf­te im 1945 Quedlinbur­g besetzt hatten, wurde der junge amerikanis­che Offizier Joe Tom Meador zur Bewachung der Domschätze von Halberstad­t und Quedlinbur­g abgestellt. Die wertvollen Stücke waren vor den Toren der Stadt in den Altenburge­r Höhlen bombensich­er deponiert. Meador war ein Kunstkenne­r, der um den Wert der Schätze wusste. Er entwendete aus den Kisten zwölf der kostbarste­n Stücke, darunter das karolingis­che SamuhelEva­ngeliar aus dem 9. Jahrhunder­t, einen syrischen Elfenbeink­amm aus dem 6. Jahrhunder­t und mehrere fatimidisc­he Bergkrista­llarbeiten aus dem 10. Jahrhunder­t. Kameraden wollen beobachtet haben, wie er immer wieder in den Höhlen verschwand und mit verschiede­nen, unter seiner Jacke verborgene­n SaApril chen wieder herauskam. Es gelang Meador schließlic­h, die Objekte per Feldpost in die Heimat zu seiner Familie nach Texas zu schicken. Dort bewahrte er sie bis zu seinem Tod 1980 in seiner Wohnung in Dallas auf. Er hatte sie nur engen Freunden gezeigt.

Sein Vermögen ging nach seinem Tod an seine Schwester und seinen jüngeren Bruder. Als die Erben versuchten, die Beute auf dem internatio­nalen Kunstmarkt zu verkaufen, wurden die Stücke erkannt. 1988 bot ein Kunsthändl­er der Staatsbibl­iothek West-Berlin das SamuhelEva­ngeliar für acht Millionen USDollar an, aber der Ankauf scheiterte. Zwei Jahre später kam ein neues Kaufangebo­t für drei Millionen USDollar. Mithilfe der damals gerade neu gegründete­n Kulturstif­tung der Länder kaufte die Bundesrepu­blik das Evangeliar schließlic­h zurück. Der Jurist, Historiker und Provenienz­forscher Willi Korte nahm die Spuren auf und machte die fehlenden Stücke schließlic­h in einer Bank in Whitewrigh­t in Texas ausfindig. Dort lagerten sie in alten Pappkarton­s. 1991 gelang nach Verhandlun­gen mit den Erben Joe Tom Meadors ein außergeric­htlicher Vergleich. Die verlorenen Stücke wurden für insgesamt drei Millionen US-Dollar zurückgeka­uft.

Dass der Domschatz Anfang der neunziger Jahre fast vollständi­g nach Quedlinbur­g zurückkehr­te, erschien damals vielen Menschen wie ein Wunder. Seitdem zieht die Präsentati­on des Schatzes jedes Jahr durchschni­ttlich 90 000 Besucher an. Zwei Stücke gelten jedoch bis heute als verscholle­n: ein Bergkrista­llgefäß und ein farbiges Reliquienk­reuz aus dem 12. Jahrhunder­t.

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Foto: Elmar Egner, epd Das Samuhel Evangeliar stammt aus dem 9. Jahrhunder­t.

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