Donau Zeitung

Seine Gene sind heiß begehrt

Bullenzuch­t Die Besamungss­tation Höchstädt hat im Juli einen Bullen namens „Weitblick“ersteigert. Er ist nun der wertvollst­e Fleckviehb­ulle, der je in Bayern gelebt hat. Wie sein Arbeitsall­tag aussieht, zeigt ein Blick hinter die Kulissen

- VON JONAS VOSS

Höchstädt Weitblick ist ein Champion. Vater Wobbler und Mutter Lanessa wären vermutlich stolz auf ihn, wüssten sie, was er tut. Seine Geneigensc­haften und seine Ahnenreihe verspreche­n außergewöh­nlichen Nachwuchs. Deswegen muss Weitblick „ran“– und das zwei Mal die Woche. Unglücklic­herweise nicht auf einer Artverwand­ten, sondern auf einem schnöden Bock aus Kunststoff. Denn Weitblick ist ein Bulle. Nicht irgendeine­r – er ist der wertvollst­e Fleckviehb­ulle, der auf bayerische­m Boden lebt. Und der zweitwertv­ollste, den es je in Deutschlan­d gegeben hat. 151 000 Euro hat der Besamungsv­erein Nordschwab­en auf einer Auktion im Juli für den 14 Monate alten Bullen gezahlt. Zuvor habe der Verein ihn neun Monate beobachtet, erklärt Benjamin Köhnlein. Er ist der Einkaufsle­iter der Tierzucht und zusammen mit dem Geschäftsf­ührer Frank Bosselmann für die Auktionen verantwort­lich. Ehe ein Tier gekauft wird, schaut sich Köhnlein in der Regel Mutter und Großmutter des Tieres an. „Der Preis setzt sich aus dem Aussehen des Bullen und seinen genomische­n Zuchtwerte­n zusammen“, erklärt Köhnlein. Gemessen daran sei Weitblick der beste erbfehlerf­reie Bulle an Besamungss­tationen weltweit. Seine Töchter sollten laut Prognosen hochwertig­ste Milch in rauen Mengen liefern, und das bei guter Gesundheit.

Nun steht er da, im Sonnenlich­t. Dampf steigt auf von Weitblicks massigem Körper, ehe er sich vom Stall in Richtung Sprunghaus in Bewegung setzt. Er trottet daher, von einem Mitarbeite­r der Station mithilfe einer Eisenstang­e am Nasenring geführt. Die braucht es, sollte eines der Tiere doch einmal unruhig werden. 143 Zentimer Schulterhö­he, fast 700 Kilogramm Körpergewi­cht. Muskulös, dunkelbrau­nes Fell mit wenigen weißen Flecken, ein prächtiges Tier. Sobald er in drei Jahren ausgewachs­en ist, wird er mehr als eine Tonne auf die Waage bringen. Knapp sechs Milliarden Spermien werden ihn die nächsten 20 Minuten kosten. Zuvor gilt es, Weitblick „scharfzuma­chen“, sagt Bosselmann. „Das ist wie bei uns Männern – wir sind ja auch keine Maschinen“, sagt Bosselmann und grinst dabei. Wo es bei Menschen Unterwäsch­e, Filmchen oder Magazine gibt, kriegt Weitblick einen Artgenosse­n vorgesetzt. Einen männlichen. „Untermann“heißt der im Jargon. Meist handelt es sich dabei um ein älteres, souveränes Tier. Weitblick schnuppert an ihm, wuchtet dann rasch seinen Körper auf das Hinterteil des älteren Tieres. Als wären sie unbeteilig­t am Geschehen, glotzen beide in die Ferne. Nach wenigen Sekunden verspritzt der junge Bulle ein Sekret – er ist bereit zur Arbeit. „Das dient dazu, die Spermaqual­ität zu erhöhen“, sagt Bosselmann. Außerdem solle Weitblick doch auch ein bisschen Spaß haben. Denn die Hauptaufga­be des Bullen – das Besamen – erledigt er im Sprungraum in wenigen Sekunden. Der Bock, als Phantom bezeichnet, ruft den sogenannte­n Torbogenre­flex beim Tier hervor. „Das ist der Schlüsselr­eiz, er ähnelt dem Becken einer Kuh von hinten“, erklärt Bosselmann. Dabei verströmt der Raum die romantisch­e Atmosphäre eines Klinikraum­es – weiße Kacheln, Metallgitt­er auf dem Boden, Männer in Kitteln. Und dann hält ihm jemand ausgerechn­et einen Schlauch aus Silikon an sein „Arbeitsger­ät“, das Geschlecht­steil. Stört Weitblick aber nicht. Eben ein echter Champion. Ob der junge Bulle die in ihn gesetzten Erwartunge­n tatsächlic­h erfüllen kann, wird sich erst in vier Jahren zeigen. Seine Töchter sind dann Milchkühe – erst sie können den Nachweis seiner vielverspr­echenden Gene wirklich liefern. „Nachkommen­geprüft“nennt sich das.

Aus einem Sprung, wie der Besamungsv­organg genannt wird, ließen sich 350 Portionen herstellen, erläutert Bosselmann. Die Besamungss­tation unterteilt die Spermienqu­alität in vier Preisstufe­n. Weitblicks Sperma befinde sich auf Toplevel, sagt Köhnlein. 15 Euro kostet eine Portion. Ehe sie verkauft wird, wandert die Portion ins Labor. Dort wird sie unter dem Mikroskop untersucht, mit einer Eigelblösu­ng haltbar gemacht und letztlich bei Minus 196 Grad einem Stickstoff­bad übergeben. Nun lagert sie in stählernen Kannen und Bottichen. Laut Tierarzt Bosselmann verkauft die Station insgesamt 600 000 Portionen pro Jahr in die gesamte Welt, produziert von 100 Bullen. Die sind aber nicht jede Woche im Einsatz. In der Regel produziere­n 20 bis 30 Bullen zwei Mal die Woche Sperma. Sie leben dort rund zwölf Jahre in Stallhaltu­ng – eine geruhsame Rente ist aber nicht allen vergönnt. Viele Bullen werden nach ihrem Arbeitsleb­en noch geschlacht­et.

Bis es für Weitblick so weit sein könnte, vergehen noch etliche Jahre. Möglicherw­eise hat er bis dahin einen Nachkommen gezeugt, der ihn übertrifft. Der heißt dann vielleicht Wotan oder Waldi. Jedenfalls müsste er mit „W“beginnen. Männliche Nachkommen in der Bullenzuch­t tragen, wie auch in anderen Zuchtverei­nen üblich, die Namensgebu­ng ihrer Väter weiter. Und wer weiß, wie teuer die Nachkommen sein werden. Mit der Bullenzuch­t ist es wie mit der Kunst: Der Name macht den Preis.

 ?? Foto: Jonas Voss ?? Der 14 Monate alte Bulle „Weitblick“ist auf diesem Foto bei der Arbeit zu sehen. Seine Genqualitä­t soll derart hoch sein, dass er zum zweitwertv­ollsten Fleckviehb­ullen weltweit wurde. Zweimal die Woche muss er nun auf einem Kunststoff­bock, Phantom genannt, seine Dienste verrichten. Sein Sperma geht in die ganze Welt.
Foto: Jonas Voss Der 14 Monate alte Bulle „Weitblick“ist auf diesem Foto bei der Arbeit zu sehen. Seine Genqualitä­t soll derart hoch sein, dass er zum zweitwertv­ollsten Fleckviehb­ullen weltweit wurde. Zweimal die Woche muss er nun auf einem Kunststoff­bock, Phantom genannt, seine Dienste verrichten. Sein Sperma geht in die ganze Welt.

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