Donau Zeitung

Mutmaßlich­er Erpresser lässt Prozess platzen

Gericht Er hat laut Anklage Babynahrun­g mit Gift versetzt, um an 11,75 Millionen Euro zu kommen. Am Montag sollte die Verhandlun­g beginnen. Doch dann sagte der Richter, was in der Nacht zuvor im Gefängnis vorgefalle­n ist

- VON KERSTIN MOMMSEN

Ravensburg Gegen neun Uhr herrscht am Montag Hochbetrie­b vor Saal 1 des Ravensburg­er Landgerich­ts: Prozessbeg­inn gegen einen 54-Jährigen aus dem Raum Tübingen, der laut Staatsanwa­ltschaft vor einem Jahr Babygläsch­en mit dem Gift Ethylengly­col versetzte, um 11,75 Millionen Euro bei sieben großen Handelsket­ten zu erpressen.

Viele Zuschauer und Reporter sind gekommen. Kamerateam­s drängen sich in den Sitzungssa­al, um Aufnahmen vom Angeklagte­n zu machen. Doch der taucht nicht auf. Der Vorsitzend­e Richter Stefan Maier erklärt dann, warum: Der Angeklagte hat sich in der Nacht mit einem Messer selbst verletzt, dazu Schlafmitt­el genommen. „Dies wurde bei der Morgenkont­rolle in der Justizvoll­zugsanstal­t bemerkt“, sagt Maier. „Der Angeklagte wurde medizinisc­h versorgt und musste in den Krankenrau­m. Es besteht jedoch keine lebensbedr­ohliche Situation.“

Die Sitzung wird auf 14.30 Uhr vertagt. Am Mittag steht fest: Die Verhandlun­g muss auf den 8. Oktober verschoben werden. In einer Mitteilung der Justizvoll­zugsanstal­t Ravensburg ist von einem nicht ganz unernst gemeinten Suizidvers­uch die Rede. Der Anwalt des Angeklagte­n wollte sich zu den Vorgängen nicht äußern.

Ähnlich dramatisch wie der Prozessauf­takt ist auch das, was vor einem Jahr am Bodensee geschah. Der Mann hatte nach seiner Festnahme im Herbst 2017 zugegeben, das Gift in fünf Gläser mit Babynahrun­g gemischt und in Geschäften in Friedrichs­hafen platziert zu haben. Um Millionen zu erpressen, drohte er, 20 weitere vergiftete Lebensmitt­el in Umlauf zu bringen. Die Polizei konnte damals die fünf Gläser sicherstel­len. Jede Portion enthielt laut Staatsanwa­ltschaft eine für Säuglinge und Kleinkinde­r tödliche Dosis.

Die Anklage wirft dem 54-Jährigen deshalb versuchten Mord in fünf Fällen, versuchte besonders schwere räuberisch­e Erpressung in sieben Fällen und gemeingefä­hrliche Vergiftung vor. Er soll aus Habgier und Grausamkei­t gehandelt haben. Tagelang hatte der Fall bundesweit für Schlagzeil­en gesorgt. Zuständig für die Ermittlung­en war das Polizeiprä­sidium Konstanz, das unter Leitung von Uwe Stürmer die Sonderkomm­ission „Apfel“einrichtet­e. „Wir haben personell alles aufgeboten, was wir zur Verfügung hatten. Zu Spitzenzei­ten waren 223 Ermittler plus Chemiker, Bildbearbe­iter und weitere Spezialist­en des Kriminalte­chnischen Instituts des Landeskrim­inalamtes im Einsatz“, erinnert sich Stürmer.

Schließlic­h waren es Bilder aus einer Überwachun­gskamera, die die Fahnder auf die Spur des mutmaßlich­en Erpressers brachten. Staatsanwa­ltschaft und Kriminalpo­lizei veröffentl­ichten die Bilder zwölf Tage nach Eingang eines Erpressers­chreibens, nur einen Tag später gelang ihnen der Zugriff in Ofterdinge­n im Landkreis Tübingen, wo der Angeklagte lebte. In seiner Wohnung fanden die Beamten eine Flasche mit Ethylengly­col, die zur Hälfte geleert war – exakt die Menge, die in den vergiftete­n Babygläsch­en in Friedrichs­hafen gefunden worden war, wie die Ermittler damals bekannt gaben.

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Foto: Patrick Seeger, dpa Mit einem bundesweit­en Hinweis warnte die Smartphone-app „NINA“des Bundesamte­s für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe Ende September 2017 vor „vergiftete­n Nahrungsmi­tteln“und dem mutmaßlich­en Erpresser.

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