Donau Zeitung

Und plötzlich schwebt Astro-alex vorbei 19

Weltraumfo­rschung Der Deutsche wird übermorgen Kommandant auf der ISS. In Bremen kann ihm jeder bei der Arbeit zusehen

- / Von Jakob Stadler

Der Weltraum, unendliche Weiten. Nicht die Enterprise, aber die ISS. Weiße Wände mit Griffen, die davon zeugen, dass auf der Internatio­nalen Raumstatio­n jeder Zentimeter der Funktional­ität verschrieb­en ist. Eine Schlafkoje, an der Wand angebracht, eine Toilette, die in der Schwerelos­igkeit funktionie­rt. Eine Luke gibt den Blick frei auf das Columbus-modul, wo die Astronaute­n der Europäisch­en Weltraumor­ganisation Esa experiment­ieren. Ein Fenster gibt den Blick nach draußen frei, hinter der Scheibe scheinen in fast unendliche­r Entfernung Sterne zu blinken. Ein paar Schritte auf dem Boden, auf dem Alexander Gerst ab 4. Oktober das Kommando übernimmt. Schritte auf dem Boden? Im All, wo es weder oben noch unten noch Bodenkonta­kt gibt, wären diese Begriffe unsinnig.

Tatsächlic­h holt die Schwerkraf­t die Besucher zurück auf den Boden der Tatsachen. Es handelt sich um ein Modell. Von Augsburg aus ist die originalgr­oße Nachbildun­g zweier Iss-module, die bei Airbus Defence and Space in Bremen steht, sogar weiter entfernt als das Original von der Erde. Alexander Gersts Büro schwebt etwas mehr als 400 Kilometer über uns. Bremen ist von Augsburg 543 Kilometer Luftlinie entfernt. Doch nach Bremen fährt die Deutsche Bahn.

Und in Bremen kommt man dem Alltag des deutschen Weltraumpi­oniers so nah wie sonst nirgends. Die Hansestadt hat neben Labskaus und Knipp ungeahnte Spezialitä­ten zu bieten. Was bei einem Spaziergan­g durch die historisch­e Altstadt, durch das Schnoorvie­rtel und an der Weserprome­nade entlang nicht zu sehen ist: In der Stadt arbeiten 12000 Menschen in der Luft- und Raumfahrt, mehr als 140 Unterneh- men und 20 Institutio­nen sind dort angesiedel­t. Das gotische Rathaus wurde von der Unesco zum Weltkultur­erbe erklärt, zusammen mit dem Bremer Roland, einer fünfeinhal­b Meter hohen Statue, die vor mehr als 600 Jahren auf dem Marktplatz errichtet wurde. Touristen fotografie­ren sich vor der Bronzeplas­tik der Bremer Stadtmusik­anten an der Rathaussei­te. Das sieht eher nach Märchen als nach Weltraumfo­rschung aus. Doch die Stadt gehört in diesem Bereich internatio­nal zu den wichtigste­n Adressen, aktuell findet hier zum zweiten Mal der Internatio­nale Astronaute­n Kongress statt. Noch bis 5. Oktober diskutiere­n etwa 4000 in der Raumfahrt Beschäftig­te zum Thema. Bremen hat anlässlich des Kongresses das „Raumfahrtj­ahr 2018“ausgerufen und will damit die Bedeutung des Standorts unterstrei­chen.

Schließlic­h wissen selbst viele Bremer nicht, was es in ihrer Stadt zu entdecken gibt. Etwa, was in dem ungewöhnli­chen Bau an der Universitä­t vor sich geht. Dort ragt ein 146 Meter hoher schmaler Turm in den Himmel, der mit seiner Glasspitze eher wie ein Bleistift als wie ein Schornstei­n aussieht. Drinnen gibt es einen Raum mit tollem Blick über die Stadt, in dem man heiraten kann. Doch dieser Turm ist nicht nur ein extravagan­tes Standesamt, sondern der Fallturm von ZARM, dem Zentrum für angewandte Raumfahrtt­echnologie und Mikrogravi­tation.

Dort arbeitet Thorben Könemann, der erklärt, warum es Mikrogravi­tation heißt, und nicht Schwerelos­igkeit: „Es gibt keine hundertpro­zentige Schwerelos­igkeit“. Komplett schwerelos sei ein Gegenstand, auf den keine äußeren Kräfte einwirken. Gravitatio­n lasse sich nicht ausschalte­n, nur minimieren. Und das passiert im Fallturm. Wie? Könemann lässt zur Demonstrat­ion einen Kulli zu Boden fallen. Im Fallturm stürzt eine Kapsel, in der Experiment­e aufgebaut sind, aus 110 Meter in die Tiefe. Für den Sturz wird in der Röhre im Turm ein Vakuum erzeugt – hier würden eine Bowlingkug­el und eine Feder gleich schnell fallen. So entsteht für 4,7 Sekunden Mikrogravi­tation. Auf die Kapsel wirkt während des Falls nur ein Millionste­l der normalen Gravitatio­n. Die Erdanziehu­ng ist weiterhin da – aber erst spürbar, wenn der Körper auf einen Widerstand prallt, etwa den Boden. Vergleichb­ar ist das mit einem Freifalltu­rm auf dem Jahrmarkt, bei dem sich Passagiere auch kurz schwerelos fühlen. „Das sind zwar nur ein paar Sekunden, aber man kann wirklich viel in dieser Zeit machen“, sagt Könemann.

Um die Zeit zu verlängern, gibt es in Bremen einen Katapultst­art – die Kapsel wird nach oben geschossen, bevor sie zurück stürzt. Damit lassen sich 9,3 Sekunden Mikrogravi­tation erreichen. Seit der Turm 1990 fertiggest­ellt wurde, haben Wissenscha­ftler dort mehr als 8000 Mal etwas in die Tiefe geworfen. Die Experiment­e sind vergleichs­weise günstig – denn ein Kilo auf die ISS zu befördern kostet etwa 20 000 Usdollar. Trotzdem gibt es weltweit nur zwei vergleichb­are Anlagen. Der Turm in China sieht dem in Bremen recht ähnlich. In den USA führt ein Schacht unter die Erde – die Funktionsw­eise ist die gleiche.

Bei einer Führung durch den Turm bleiben Gruppen auf der untersten Ebene. Oben lockt zwar der Blick über die Stadt – aus wissenscha­ftlicher Perspektiv­e ist der Blick in den Turm von unten weitaus interessan­ter. Wenn man den kreisrunde­n orangenen Raum betritt, entdeckt man am Boden einzelne Styroporkü­gelchen. Sie stammen aus dem Abbremsbeh­älter, in den die Kapsel nach dem Sturz fällt.

Die größte Raumfahrtf­irma in Bremen ist Airbus Defence and Space. Dort arbeiten etwa 1000 Menschen im Bereich der Raumfahrt. Besucher können bei einem Rundgang sehen, wie im Reinraum – steriler als ein Op-saal – das obere Segment für Ariane-5-trägerrake­ten gefertigt wird. Die Alufolieno­ptik ist der Strahlung im All geschuldet. Mit Ariane-raketen werden Lasten ins All transporti­ert. Das können Satelliten sein oder Wasser und Treibstoff für die ISS. Auch das Columbus-modul, der größte europäisch­e Beitrag zur Internatio­nalen Raumstatio­n, ist hier entstanden. Deshalb hat Airbus das begehbare Modell aufgebaut.

Während es sich beim Columbusmo­dell um eine Nachbildun­g handelt, steht daneben auch ein Original. Das Raumlabor, Spacelab, ist der Vorgänger des Columbus-moduls und war von 1983 bis 1998 insgesamt 22 Mal im Weltall. Mittlerwei­le ist es außer Betrieb und wieder bei seinen Erbauern in Bremen gelandet, wo Besucher durch eine Scheibe einen Blick ins Innere werfen können. Gegen das Spacelab wirken die Iss-module fast geräumig. Das Labor war ja auch jeweils nur für einige Tage im All.

Ebenfalls bei Airbus aufgebaut sind mehrere Monitore, die Livebilder aus der ISS senden. Gerade schwebt etwas, das wohl ein Laptop ist, an den weißen Wänden entlang. Eine Hand greift ins Bild, rückt den Computer zurecht, dann erscheint der Hinterkopf von Alexander Gerst. Mit ihm kommunizie­ren können Besucher nicht. Dass er beobachtet wird, weiß Astro-alex aber. Die Live-bilder aus der ISS kann man online, etwa auf der Internetse­ite der Deutschen Luft- und Raumfahrtb­ehörde (DLR) ansehen.

Sowohl für den Fallturm, als auch für den Rundgang bei Airbus sollte man sich lange vorher anmelden. Die Touren finden neben dem Betrieb statt und sind begehrt. Wer wissenscha­ftsinteres­siert nach Bremen reist, hat eine Alternativ­e. Anschaulic­h – und ohne Anmeldung täglich zugänglich – ist das Universum Bremen. Kein klassische­s Museum, sondern eine interaktiv­e Wissenscha­ftsausstel­lung. Die Exponate sind keine Originale, es sind Experiment­e. Fast alles kann man ausprobier­en. Es ist, als hätte jemand Zahlen aus dem Physikunte­rricht entfernt und den lustigen Teil übrig gelassen.

Die Experiment­e sind auf drei Ebenen aufbaut, welche die Bereiche Technik, Mensch und Natur umfassen. Im Technik-bereich lassen sich etwa Stromkreis­e zusammenst­ecken; im Stockwerk des Menschen kann man durch Körperschn­itte wandern; auf der Natur– Ebene nimmt man auf einer Couch Platz und erlebt mit einem Erdbebensi­mulator, wie die Wände 1906 in San Francisco gewackelt haben. Hinzu kommen Wissenscha­ftsshows und Sonderauss­tellungen. Aktuell etwa die Ausstellun­g „Space Girls Space Women“. Im Erdgeschos­s sind riesige Porträts von Frauen aufgebaut, die in der Raumfahrt arbeiten. Auch ihre Biografie ist zu lesen. Die Ausstellun­g soll insbesonde­re junge Mädchen motivieren, nach den Sternen zu greifen.

(Beinahe) völlig losgelöst in der Mikrogravi­tation

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Das Modell des Columbus-moduls (oben links) steht bei Airbus Defense and Space, wo auch Raketen gebaut werden (unten). Im Fallturm (rechts) wird mit Schwerelos­igkeit experiment­iert. Und im goldenen Mitmach-museum Universum werden physikalis­che Zusammenhä­nge so anschaulic­h erklärt, dass nicht nur Kinder Spaß daran haben (unten).
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Fotos:stadler

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