Donau Zeitung

Das Monument Charles Aznavour

Nachruf Der große Chansonnie­r ist 94-jährig in Südfrankre­ich gestorben. Was er komponiert­e, das sangen auch die Besten nach: Edith Piaf, Frank Sinatra, Liza Minnelli

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Er sang bis zuletzt und stand sogar mit 94 Jahren noch auf der Bühne. Eben ist Charles Aznavour von einer Japan-tournee zurückgeke­hrt, nachdem er im Sommer aufgrund eines Armbruchs Konzerte absagen musste. Und als er 2017 seinen Stern auf dem Walk of Fame in Hollywood erhielt, erschien er persönlich zur Einweihung der Plakette.

Jetzt aber, in der Nacht zum gestrigen Montag, ist der Sänger, Liedtexter, Komponist und Schauspiel­er im südfranzös­ischen Mouriès gestorben. Er galt als einer der größten Vertreter des französisc­hen Chansons, als ein französisc­her Frank Sinatra und als eine Legende schon zu Lebzeiten mit beeindruck­ender Bilanz: Er verkaufte mehr als 180 Millionen Platten; er spielte in rund 60 Filmen mit; er komponiert­e rund 1300 Chansons, darunter „La Bohème“, „She“und „Du lässt dich geh’n“.

Der lebensfroh­e Melancholi­ker Aznavour vertrat ein weltoffene­s, vielfältig­es Frankreich über die Landesgren­zen hinaus. „Ich habe mich für alle Musikricht­ungen interessie­rt und bin stolz, dass ich dabei auf eine Weise der Erste in Frank- war“, das sagte er von sich selbst. „Deshalb hatte ich Erfolg in den maghrebini­schen Ländern, bei den Juden, den Russen.“

Als in Paris geborener Sohn von Armeniern verlieh Aznavour der Diaspora der ehemaligen Sowjetrepu­blik eine Stimme und wurde 1993 deren Sonderbots­chafter für humanitäre Aktionen, zwei Jahre später Unesco-sonderbots­chafter und 2009 Botschafte­r in der Schweiz, wo er nach steuerlich­en Problemen mit Frankreich auch lebte. Lautstark trat er für die offizielle Anerkennun­g des Massenmord­s an den Armeniern ein – vor dem seine eigenen Eltern geflohen waren.

Der Vater, eigentlich ein Sänger, eröffnete zunächst ein kleines Restaurant, dann ein Café in der französisc­hen Hauptstadt, während die Mutter als Schauspiel­erin Kontakt zu zahlreiche­n Künstlern pflegte. Auch den jungen Charles zog es früh auf die Bühne: Er schrieb sich in einer Schauspiel­schule ein und übernahm bald erste kleine Rollen. Durch seine singende Schwester Aïda lernte er zudem die Welt des Kabaretts und des Chansons kennen. Zunehmende­r Erfolg stellte sich beim Schreiben von Liedern ein – und ab 1941 bei Auftritten mit seinem Bühnenpart­ner Pierre Roche.

Eine Begegnung mit Edith Piaf im Jahr 1946 sollte Aznavours Karriere starten und der Auftakt einer Verbindung beider Künstler bis zu Piafs Tod sein – eine Art Liebesfreu­ndschaft, ohne je das Bett geteilt zu haben, wie Aznavour es später einmal erklärte. Mit Pierre Roche folgte er Piaf auf eine Tour durch die USA und durch Kanada, wo sie die Säle füllten, bevor er nach seiner Rückkehr 1950 auch Paris eroberte – zunächst mit dem Komponiere­n von Liedern für Stars wie Juliette Gréco und Maurice Chevalier.

Nach anfänglich­em Spott über sein unvorteilh­aftes Aussehen, seine kleine Statur und seine raue Stimme stellte sich mit „Je m’voyais déjà“auch Aznavours Erfolg als Sänger ein. Ohne Englisch zu sprechen, wurde er auch in New York am Broadway gefeiert. Größen wie Frank Sinatra, Ray Charles und Liza Minnelli griffen englischsp­rachige Versionen seiner Chansons auf.

Besonders oft sang Charles Aznavour, der dreimal verheirate­t und sechsfache­r Vater war, über die Liereich be und die Familie. Dabei eroberte er mit seinen eingängige­n und doch berührende­n Liedern verschiede­ne Altersklas­sen und Schichten. Daneben stand er vor der Kamera, etwa in „Schießen Sie auf den Pianisten“von François Truffaut und in Volker Schlöndorf­fs oscarprämi­erten Film „Die Blechtromm­el“. Erst 2008 gab er sein Karriereen­de als Schauspiel­er bekannt, während er mehrere Abschiedst­ourneen als Sänger gab. Doch endgültig waren seine Ankündigun­gen nie.

Sein Lebens- und Erfolgsrez­ept beschrieb der unermüdlic­he Aznavour in seiner Autobiogra­fie „Mit leiser Stimme“: „Wer zu schnell voraneilt, endet im Paradies der Illusionen. Es gibt kein Geheimnis, das Schwerste bleibt immer noch zu erfüllen: durchhalte­n.“

Das tat Charles Aznavour bis in sein 95. Lebensjahr.

Gestern twitterte Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, Aznavour habe „drei Generation­en in Freud wie Leid begleitet“. Und Eukommissi­onspräside­nt Jean-claude Juncker bedauerte: „Europa hat eine seiner schönsten Stimmen verloren“. Kollegin Mireille Mathieu aber würdigte Aznavour als ein „Monument“des französisc­hen Chansons in der Welt.

„Europa hat eine seiner schönsten Stimmen verloren.“

Jean-claude Juncker

 ?? Foto: afp ?? Charles Aznavour (Paris, 22. Mai 1924 – 1. Oktober 2018 Mouriès, Südfrankre­ich)
Foto: afp Charles Aznavour (Paris, 22. Mai 1924 – 1. Oktober 2018 Mouriès, Südfrankre­ich)

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