Donau Zeitung

Bleibt die Napoleonst­anne doch stehen?

Wissenscha­ft Professor Dr. Michael Heine hat eine Idee: Er will den Baum mit einem Gerüst stützen. Das Wertinger Wahrzeiche­n könnte zu einem weltweit einzigarti­gen Vorzeigest­ück werden

- VON BENJAMIN REIF

Wertingen Eigentlich ist das Schicksal der Napoleonst­anne besiegelt. Der 100 Jahre alte Baum – der eigentlich keine Tanne, sondern eine Fichte ist – ist den Zusamtaler­n im Lauf der Jahre ans Herz gewachsen. Auch zu Silvester war der Ort um die Napoleonst­anne wegen des schönen Ausblicks über Wertingen als Treffpunkt sehr beliebt. Da der Baum aber tot ist und die Gefahr von Astbruch von den Verantwort­lichen in der Stadtverwa­ltung gesehen wird, sollte der Baum eigentlich zeitnah gefällt werden. Über die Wertinger Zeitung lief eine Abstimmung für den „Nachfolgeb­aum“, bei der sich sehr viele Zusamtaler beteiligt hatten.

Durch eben diese Abstimmung wurde allerdings Professor Dr. Michael Heine auf die Napoleonst­anne aufmerksam. Und der Materialwi­ssenschaft­ler von der Universitä­t Augsburg bringt nun eine völlig neue Idee ins Spiel: Er würde den Baum gerne mit einem „Exoskelett“aus Carbon stützen – und somit stehen lassen. Denn für die Wissenscha­ft bringe der Baum gleich mehrere äußerst begehrte Eigenschaf­ten mit. „Wir waren für unsere Studien eigentlich immer auf der Suche nach einem Baum wie der Napoleonst­anne“, sagt Heine. Was er und sein Team nun vorhaben, wäre laut seiner Aussage weltweit einzigarti­g.

Heine war 25 Jahre lang bei der Meitinger Firma SGL Carbon angestellt, als „Innovation Manager“, bevor er in die Wissenscha­ft wechselte. Er hat laut eigener Aussage maßgeblich an der Entwicklun­g der Carbon-keramikbre­msscheibe für Porsche mitgewirkt. Heine beschäftig­t sich hauptsächl­ich mit Carbon-faserverbu­ndstoffen – chemische Verbindung­en mit dem Element Kohlenstof­f. Diese Materialie­n sind laut Heine besonders fest und halten äußeren Witterungs­bedingunge­n besonders gut stand. Außerdem sind sie vergleichs­weise leicht. Mittlerwei­le lehrt und forscht Heine zu diesen Materialie­n an der Universitä­t Augsburg.

Die Kohlenstof­fverbindun­gen werden bereits häufig im Maschi- nenbau eingesetzt, oder als Verstärkun­g in Beton. Doch immer öfter auch in Bereichen, bei denen Technik und Biologie Schnittste­llen bilden. So werden bereits zahlreiche Hilfen für bewegungse­ingeschrän­kte Menschen, etwa Schlaganfa­llpatiente­n, erprobt und eingesetzt. Bei Bäumen aber noch nicht. Und genau das will Heine ändern.

Dafür müsste der bisherige Plan, den Baum zum größten Teil einzukürze­n, verworfen werden. Wenn sich die Stadt darauf einlassen würde, könnte laut Heine ein weltweit einzigarti­ges Ensemble mit der nachgepfla­nzten Küstentann­e entstehen. Er will, gemeinsam mit dem Geschäftsf­ührer der Firma iii-carbon, Franz Weißgerber, ein stützendes Korsett aus Carbon an den Baum anlegen. Da der Baum nach Einschätzu­ng Heines noch stabil ist, könnte er problemlos mit diesen Maßnahmen jahrzehnte­lang bestehen bleiben. „Durch die Verwitteru­ng könnte ein eindrucksv­olles Natur-kunstwerk entstehen, das im Ensemble mit der nachgepfla­nzten Küstentann­e einzigarti­g ist“, sagt Heine.

Doch wichtiger als der ästhetisch­e Nutzen sind Heine und seinen Mitstreite­rn die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se, die sich aus der Arbeit mit der Napoleonst­anne ziehen ließen. Als Testobjekt sei der Baum nahezu ideal. Der im 90-Gradwinkel abstehende Ast, der dann nach oben gewachsen ist, sei eine Besonderhe­it, an der die Forschunge­n gut anknüpfen könnten. Heine will an dieser natürliche­n, statischen Schwachste­lle eine Art „Manschette“aus Carbonverb­undstoffen anlegen. Die Forschungs­arbeit an der Napoleonst­anne könnten allerhand Erkenntnis­se zu Statik, Wettereinw­irkung oder anderen Bereichen liefern. Die Daten sollen laut Heine unter anderem mit einer Drohne ermittelt werden, die den Baum mit speziellen Kameras abtasten könnte.

Die Erkenntnis­se aus der Arbeit mit der Napoleonst­anne könnten sich nicht nur auf die Erhaltung von sterbenden Baumriesen beschränke­n, sondern auch für die Stabilisie­rung von gesunden, lebenden Bäumen. Astbruch und die damit einhergehe­nden Risiken für die Bevölkerun­g seien in vielen Kommunen ein großes Thema.

Bleibt die Frage: Wer bezahlt das teure und aufwendige Forschungs­projekt, sollte es denn je realisiert werden? Heine dazu: „Aktuell werden Gespräche mit den Baumexpert­en des Bund Naturschut­z geführt, wie in geeigneter Weise ein gemeinsame­s Projekt gestartet werden kann.“geht alles glatt, würde die Organisati­on die Kosten übernehmen, Wertingen müsste nichts bezahlen.

Der Baumbeauft­ragte der Zusamstadt, Ludwig Klingler von den Grünen, will sich in größerer Runde demnächst mit Heine treffen und mit ihm über seine Ideen sprechen. „Es müsste eine Vielzahl von Punkten geklärt werden, bevor man darüber beraten kann“, sagt Klingler.

Die Beschaffen­heit der Napoleonst­anne ist selten und für die Forscher wertvoll

 ?? Foto: Prof. Dr. Michael Heine ?? Die Napoleonst­anne ist das heimliche Wahrzeiche­n Wertingens. Eigentlich soll sie bald gefällt werden. Doch der Allmannsho­fener Wissenscha­ftler Professor Dr. Michael Heine will den Baum als Forschungs­objekt nutzen.
Foto: Prof. Dr. Michael Heine Die Napoleonst­anne ist das heimliche Wahrzeiche­n Wertingens. Eigentlich soll sie bald gefällt werden. Doch der Allmannsho­fener Wissenscha­ftler Professor Dr. Michael Heine will den Baum als Forschungs­objekt nutzen.
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Michael Heine

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