„Ich bin noch untschlossen …“
Nächsten Sonntag wird in Bayern gewählt. Und die Lage ist so unübersichtlich wie nie. Sieben Parteien kn es in den Landtag schaffen und die CSU auf nur mehr ein Drittel der Wählerstimmen kommen. Woran liegt das? Und warum sind so viele Menschen noch unsic
Früher ist das mit der Wahl in Bayern ganz einfach gewesen: Entweder war man für die CSU. Also in der Mehrheit. Oder man hat ein bisschen opponiert – im Wissen, dass das eher symbolischen Wert hatte. Weil: Am Ende haben die meisten Bayern ihr Kreuz doch bei den Schwarzen gemacht. Und heute? Da könnten es sieben Parteien in den Landtag schaffen. Die vermeintliche Staatspartei CSU kommt in Umfragen nur noch auf ein Drittel der Stimmen – ist also quasi eine Minderheit. Und überhaupt ist alles wahnsinnig unübersichtlich geworden. Sogar die Frage, wer wofür steht, ist nicht mehr so leicht zu beantworten. Das Gute daran: Die Leute reden wieder mehr über Politik. Sie diskutieren: Was ist nur mit der CSU los? Sind die Grünen wirklich so stark? Warum ist die AFD für so viele eine Alternative und die SPD eben nicht mehr? Wir haben Leserinnen und Leser (alle bislang unentschlossene Wähler) zum Redaktions-stammtisch eingeladen und mit ihnen diskutiert. Dabei wurde schnell klar: alles nicht mehr so einfach in Bayern. Aber lesen Sie selbst.
Wissen Sie schon, wen Sie wählen werden? Oder ob Sie überhaupt wählen gehen?
Helga Rauch: Ich weiß, dass ich auf jeden Fall wählen werde. Aber wen, das weiß ich noch nicht. Die Entscheidung wird wohl zwischen den Grünen, der SPD und der Linkspartei fallen.
Womit kann Sie eine Partei auf der Zielgeraden noch überzeugen?
Helga Rauch: Das ist schwer, denn ich lasse mich nur durch Taten überzeugen. Und die folgen erst nach der Wahl. Die Schlüsselfrage aber ist: Wem traue ich die Taten am ehesten zu? Wer kann überhaupt etwas umsetzen? Denn in der Opposition kannst du nicht viel bewegen. In einer Koalition aber oft auch nicht, wie man als Spd-mitglied weiß …
Das stimmt doch gar nicht. Die SPD hat in der Bundespolitik schon in der letzten Legislatur und auch in dieser wieder vieles durchgesetzt. Sie spricht nur nicht darüber – sie spricht nur über sich selbst oder streitet sich.
Hermann Skibbe: Die SPD ist aber auch in einer schwierigen Situation in der Großen Koalition. Das ist für die bayerische SPD ein richtiger Hemmschuh. Zum Beispiel die Maaßen-geschichte. Da war die SPD auf unglückliche Art und Weise involviert, das wäre sie als Oppositionspartei nicht gewesen.
Gehen Sie zur Wahl, Herr Skibbe?
Hermann Skibbe: Ich weiß, dass ich zur Wahl gehen werde. Und ich weiß, dass ich nicht die AFD wähle. Aber ich bin noch unentschlossen …
Warum können Sie sich im Moment noch nicht für eine der Parteien entscheiden?
Hermann Skibbe: Ein Teil meiner Unentschlossenheit kommt davon, wie sich die Politik derzeit verkauft. Es geht hauptsächlich um Macht, um Ränkespiele, um Zweikämpfe. Zuerst waren wir in Bayern Zuschauer des Theaterstücks „Wann sagt Seehofer, wann er zurücktritt?“. In Teil zwei ging es um die Frage „Wer wird als Nachfolgekandidat inthronisiert?“. Jetzt hat die CSU einen Teil des Theaters nach Berlin verlagert. Es ist zwar lustig zuzusehen, was sich Seehofer immer wieder ausdenkt, um Angela Merkel zu ärgern. Das erinnert mich an eine Dokusoap auf RTL 2.
Macht das die Politik nicht spannend?
Hermann Skibbe: Nein, denn das ist nicht das, was Politik sein sollte. Diese Spielchen interessieren mich eigentlich nicht. Und es führt zu großem Verdruss bei den Menschen – egal mit wem ich zurzeit rede. Es gäbe so viele wichtige Themen in unserem Land, aber um die geht es in diesem Wahlkampf leider nicht.
Welche Spielregeln meinen Sie?
Woran liegt das? Herr Böcker, Sie waren selbst Politiker, saßen für die CSU eine Legislaturperiode lang im Neuburger Stadtrat. Ist Politik nicht immer ein Stück weit auch Theater?
Tobias Böcker: Das gehört doch zur Politik dazu. Wenn man in die demokratische Tradition hineinschaut, hat es immer Positionskämpfe gegeben, Macht- und Egospiele, Selbstdarstellungen. Ich erinnere an die legendären Dialoge zwischen Herbert Wehner und Franz Josef Strauß seinerzeit im Bundestag – das war super inszeniertes Theater. Heute allerdings haben wir eine Situation, in der alle demokratischen Spielregeln außer Kraft gesetzt werden und die Demokratie als solches gefährdet ist.
Tobias Böcker: Ich meine den Umgang miteinander. Spielregeln, die unsere Gesellschaft seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland tragen. Dass bestimmte Themen einen gesellschaftlichen Grundkonsens beinhalten. Dieser Grundkonsens wird aufgelöst.
Tobias Böcker: Das liegt daran, dass wir völlig hemmungslos geworden sind, was sprachli- che Mittel angeht. Es werden Begriffe benutzt, die bis vor zwei Jahren den demokratischen Konsens verletzt hätten.
Welche Begriffe meinen Sie genau?
Tobias Böcker: Ich war fast 30 Jahre lang Mitglied der CSU und bin diesen Sommer aus der Partei ausgetreten, weil ich das Wort „Asyltourismus“absolut nicht ertragen konnte. Wenn man jetzt mit dem Finger auf eine bestimmte Gruppe Menschen zeigt und sagt, deren Merkmale, nämlich die Migration, ist die Mutter aller Probleme, erinnert mich das an eine Art und Weise, Argumente vorzutragen und miteinander umzugehen, die wir in Deutschland schon einmal hatten. Man hat schon einmal auf eine Bevölkerungsgruppe gezeigt und gesagt, die sind das Problem und die müssen weg. Das ist unglaublich gefährlich. So dürfen wir gar nicht denken.
Helga Rauch: Ich meine auch, dass Sprache sehr wichtig ist. Sie zeigt, wie man denkt, und darum sollte man mit Sprache vorsichtiger umgehen. Heute ist alles bloß noch schlimm, alles ist bloß noch ein Kampf und ein Streit. Im Fernsehen heißt es, „die CDU, die CSU streitet mit der SPD“. Nein, die diskutieren – und das zeichnet eine Demokratie aus.
Hermann Skibbe: Aber ist diese Verrohung der Sprache nicht einfach eine Reaktion auf die AFD, die mit ihrer Sprache Maßstäbe bis ins Bodenlose aufgeweicht hat? Ich erinnere mich an den Abend der Bundestagswahl, als Afd-spitzenmann Alexander Gauland ins Mikrofon krakeelt hat: „Wir werden sie jagen und wir holen uns unser Volk zurück.“Es fängt immer mit Worten an, so hat es bei den Nazis auch begonnen. Schlimm finde ich den Kurs der CSU, damit umzugehen. Die einstige Strauß-parole „Es darf rechts neben der CSU nichts geben“wird umgesetzt, indem man eine ähnlich schlimme Sprache benutzt, um der AFD zu begegnen.
Allerdings hat Ministerpräsident Markus Söder ja mittlerweile klargestellt, das Wort „Asyltourismus“nicht mehr verwenden zu wollen. Nehmen Sie ihm diesen Kurswechsel ab – oder halten Sie das für ein leicht durchschaubares Kalkül, um mit sanfterem Auftreten noch Stimmen zu gewinnen?
Tobias Böcker: Das wäre schon ein wenig glaubhaft, wenn nicht gleichzeitig mit dem verbalen Zurückrudern von Herrn Söder wieder eine andere verbale Generalattacke aus Berlin erklungen wäre – Herr Seehofer sprach dort von der Flüchtlingskrise als „Mutter aller Probleme“. Das ist für mich nicht glaubwürdig, die beiden sprechen sich doch ab. Herr Söder spielt den Guten und Herr Seehofer den Bösen.
Wie kann man als Partei der AFD begegnen?
Tobias Böcker: Wir hatten 2015 das Problem, dass es eine unerwartet hohe Anzahl an Asylbewerbern an den deutschen Grenzen gab. Nun wusste man nicht recht, was man damit anfangen soll. Dann hat die Bundeskanzlerin eine Entscheidung getroffen und diese mit der Zuversicht verbunden: „Wir schaffen das!“Damals war die Befürchtung, wir werden von Asylbewerbern überschwemmt, unsere Sozialsysteme krachen zusammen, wir können die nicht alle integrieren. Wenn ich heute zurückschaue und die ganze Aufgeregtheit um einzelne Straftaten objektiviere, dann könnten sich Frau Merkel und auch die CSU doch ruhig hinstellen und sagen: „Was wir da versprochen haben, haben wir geschafft und wir sind stolz auf die Bevölkerung, die ehrenamtlich viel geleistet, viel geholfen und geackert hat.“Das wäre eine Kommunikationsstrategie. Man muss mit den objektiven Fakten ankommen und erklären, was man an Maßnahmen ergriffen hat. Dann muss man nicht die Parolen der Rechten nachbrüllen.
Haben Sie das Gefühl, wir haben es geschafft? Hat Deutschland, hat Bayern die Flüchtlingskrise ganz gut bewältigt?
Christoph Dobel: Die Flüchtlinge, die jetzt da sind, mit denen kommen wir zurecht. Insofern haben wir es schon geschafft. Aber es ist ein ständiger Prozess, mit dem Migrationsproblem umzugehen, das ein weltweites Problem ist.
Der Name AFD ist nun schon mehrfach gefall Warum ist diese Partei so stark geworden?
Jürgen Lehl: Weil es viele Unzufriedene gi Die wählen aus Protest die AFD. Und Afd-politiker picken sich die Themen raus, mit denen sie sich profilieren könn Die Probleme anzugehen, dazu sind sie a gar nicht in der Lage, weil sie nur Parolen rat haben und keine Lösungen. Gerade du das Auftreten des Afd-vorsitzenden Bundestag ist mir die Partei unsympathis Genauso wie mir die Grünen unsympathi sind, seitdem ein grüner Spitzenpolitiker fentlich gegen SUV gewettert hat, und da auch gegen deren Fahrer. Das klingt für m zu sehr nach einer Verbotspartei. Christoph Dobel: Die AFD ist doch desh entstanden, weil es zu wenig Alternativ gibt. Auch wenn deren plakativen Aussag haarsträubend sind.
Sind die anderen Parteien sich zu ähnlich?
Christoph Dobel: Zumindest die großen P teien, die sogenannten Volksparteien. haben sich zu sehr angeglichen. Die CDU auf viele Themen der SPD aufgesprung Und auch auf die Themen der Grünen. Z Beispiel die sogenannte Klimakatastrop oder die Energiewende.
Lassen sich die Parteien zu sehr von Meinun umfragen und Meinungsforschern leiten?
Helga Rauch: Dieses Schielen auf die Ba meter ist bei uns in der Gesellschaft sch krankhaft geworden. Dabei kann das Sti mungsbild in drei Wochen wieder ein g anderes sein. Aber die Politiker setzen rauf. Das ist nur menschlich, dass man v sucht, in der Popularität zu steigen – egal, das ein Seehofer oder ein Söder ist, die deutlich mehr Augenmerk darauf legen eine Frau Merkel. Sie ist eigentlich die ein ge Politikerin, die einen geraden Weg geh
„Söder hat für mich gar kein Profil. Er sucht noch.“
Grünen haben im Wahlkampf auch immer nt, ihren Kurs beibehalten zu wollen. In den fragen sind die Grünen sehr stark in Bay, sogar zweitstärkste Kraft – stärker als die D und vor allem viel stärker als die SPD.
ias Böcker: Das liegt daran, dass die Grüihre Themen haben, an denen sie festten, die sie auch beharrlich voranbringen. d die Grünen werden stark, ob das nun mmt oder nicht, mit bestimmten Werten ntifiziert. Diese Wertegrundhaltung hatwir eigentlich in den klassischen ParteiDoch die Christlich-soziale Union zum spiel hat mit christlich und auch mit sozial noch mäßig zu tun. Dabei war Seehofer l ein Sozialpolitiker; er war sogar Vorsitder der Christlich-sozialen Arbeitnehrschaft. Er war eigentlich immer ein Polir der kleinen Leute. Auch die SPD als Sodemokratie hat ein Ideologievakuum dach, dass die Linke so stark den klassischen ialistischen Touch vereinnahmt hat. Das ßt, wir erleben im Grunde genommen e ideelle Heimatlosigkeit in den großen teien. Diese längerfristige Perspektive, die Menschen wollen, dieses „Da bin i oam“-gefühl, fehlt. Das hatte ich 30 Jahlang in der CSU. Aber jetzt habe ich es ht mehr.
CSU plakatiert ja gerade die Themen rte und Heimat. Wofür steht Herr Söder?
gen Lehl: Söder hat für mich noch gar kein fil. Er grenzt sich nirgends ab, er sucht h.
r er ist doch voller Tatendrang angetreten. n verliert ja fast den Überblick vor lauter jekte, die er angestoßen und meist auch chgesetzt hat: von der bayerischen Kavallebis zur Raumfahrt oder dem Familiengeld. rkt Söder nicht wie ein Politiker, der mit ldampf für Bayern und die Heimat kämpft?
Christoph Dobel: Er kämpft für seine eigene
Karriere.
Helga Rauch: Er ist ein Stratege. Jürgen Lehl: Jeder Politiker kämpft für die eigene Karriere.
War das früher anders?
Tobias Böcker: Es ist schon klar, dass Politiker vor allem für die eigene Karriere kämpfen, das macht jeder. Jeder, der etwas bewegen will, das ist in der freien Wirtschaft auch so, braucht einen Ego-getriebenen Antrieb, sonst kommt er nicht weiter. Ein Söder unterscheidet sich für mich etwa vom ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder im Grunde genommen maximal durch drei Buchstaben. Für Schröder war das eigentliche Motiv: „Ich will da rein“, also ins Kanzleramt. Genau diese Motivation hatte Söder, auf Bayern bezogen, auch. Er hat schon als ganz junger Parteifunktionär ganz bewusst seine Karriere geplant. Er hat immer sein Fähnchen in den Wind gehängt, eher ein bisschen rechtslastiger als linkslastiger. Weil dieses Image schick ist. Da hat er ein gutes Näschen, dass das ankommt.
Was fehlt ihm als Ministerpräsident?
Tobias Böcker: Eine politische Vision, wie unsere Gesellschaft aussehen könnte, wie wir menschlich, vernünftig, anerkennend, respektvoll miteinander umgehen können. Ich höre nur, wie toll Bayern ist. Was gar nicht stimmt. In vielen Dingen ist Bayern gut und in vielen Dingen macht es Bayern besser als andere, aber es gibt auch genügend Probleme. Das Thema Wohnen zum Beispiel, worauf die SPD aufmerksam macht.
Hermann Skibbe: Mir fehlt bei Söder das Landesväterliche, das Integrative, das ein Ministerpräsident haben muss. Er muss der Ministerpräsident von allen sein. Ich vermisse da einen Wertekompass. Mir kommen die
Parteien mit ihrem Themen-hopping und der fehlenden Unterscheidbarkeit überhaupt ein bisschen so vor, als ob sie in ihren Aussagen und mit ihren Parolen von zweitklassigen Werbeagenturen gesteuert werden, die ihnen Dinge vorgeben wie: Die AFD liegt gerade bei 18 Prozent und die redet über Flüchtlinge. Macht das doch auch so … Will die Gesellschaft überhaupt mehr konsumieren als diese Überschriften und diese Parolen? Ist das ganze politische Geschäft nicht sehr oberflächlich geworden?
Christoph Dobel: Den Eindruck habe ich ganz stark. Ich bin ja schon ein bisschen älter und habe viele Bundestagsdebatten gehört. Damals ist man schon mehr in die Tiefe gegangen und es gab auch ganz andere Politikerpersönlichkeiten.
Hermann Skibbe: Aber Demokratie ist doch nicht nur Aufgabe der Politik. Auch als Bürger hat man eine Aufgabe zu erfüllen, wenn die Demokratie funktionieren soll. Man muss sich mit den Themen beschäftigen und mitdiskutieren. Ich erlebe schon, dass man Argumente austauscht, einmal hin und her. Aber da, wo es interessant wird, nämlich auf der dritten, vierten Ebene darunter, wo die Wahrheit begraben liegt, da kommen die Leute gar nicht mehr hin. Wahrscheinlich ist es wirklich nötig, dass wir wieder lernen, auf einer sachlichen Ebene miteinander zu diskutieren. Glaubt man den aktuellen Umfragen, wird die CSU nicht mehr alleine regieren können. Finden Sie das gut? Ministerpräsident Söder sagt ja immer: Wenn eine Partei alleine regieren kann, ist das stabiler, weil man sich nicht dauernd absprechen und Kompromisse eingehen muss.
Jürgen Lehl: Das ist ein gutes Argument, aber eigentlich stimmt ja genau das Gegenteil. Wenn zwei Parteien zusammen regieren, können sie sich auch ergänzen und so leichter einen Kompromiss finden.
Christoph Dobel: Eine Ein-parteien-regierung ist nicht von vorneherein schlecht, aber sie kann einem zu Kopf steigen. Und der Filz wächst dadurch natürlich auch.
Helga Rauch: Wir denken immer nur in Koalitionen. Wieso sollte es bei uns nicht auch mal eine Minderheitsregierung geben? Das wäre für die Bundespolitik in Berlin meine Ideallösung: CDU und SPD – ohne CSU. Dafür wären auch viele enttäuschte Csu-wähler
zu haben, die von ihrer Partei mit ihren letzten Aktionen verprellt worden sind. Aber alle appellieren auch immer daran, die Regierung müsste wieder stabiler werden. Ist Deutschland instabiler geworden und Bayern vielleicht auch?
Tobias Böcker: Das sind zwei verschiedene Themen. Das eine Thema in Bayern ist die Ein-parteien-regierung und das andere Thema ist ein mögliches Parlament, in dem sieben Parteien vertreten sein werden. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Der Ein-parteien-regierung, die es in Bayern über Jahrzehnte gegeben hat, muss man nicht nachweinen. Und es hat in Bayern übrigens auch schon einmal eine Koalition gegeben. Das ist noch gar nicht so lange her. Aber damals, zwischen 2008 und 2013, gab es mit CSU und FDP auch einen sehr großen und einen sehr kleinen Partner. So klar werden die Machtverhältnisse vermutlich nach dem 14. Oktober nicht mehr sein …
Tobias Böcker: Aber es gab eine Koalition, und die hat funktioniert. Das Problem derzeit ist das Auseinanderfusseln an den Rändern. Man könnte zur Strauß-doktrin passend für die SPD formulieren: „Es darf keine Partei links von der SPD geben.“Aber das ist nicht gelungen. Und etwas, das die Mitte zusammenhält, ist im Moment nicht da. Aber ich würde eine Koalition in Bayern überhaupt nicht für ein Unglück halten – egal, ob die schwarz-rot oder schwarz-grün aussieht. In Badenwürttemberg, wo ich arbeite, gibt es eine rot-grün-schwarze Koalition mit einem grünen Ministerpräsidenten – und Badenwürttemberg ist nicht untergegangen und auch immer noch ein konservatives Land. In Bayern scheint die CSU als größte Partei ja doch noch irgendwie gesetzt zu sein mit Blick auf den Regierungsauftrag. Ich könnte mir aber auch eine Drei-parteien-koalition vorstellen. Was spricht etwa gegen Schwarzrot-gelb? Das gibt es in anderen Bundesländern auch. Warum muss Bayern immer eine Sonderrolle haben?
Hermann Skibbe: Es kommt auf die Koalition an, die sich am Ende bildet. Wenn es CSU und Freie Wähler sind, dann müsste mir jemand den Unterschied in den Parteiprogrammen erklären. Den sehe ich kaum. Ich habe Hubert Aiwanger, den Spitzenmann der Freien Wähler, beim Nockherberg verfolgt,
der ist mir Söder gegenüber zu devot aufgetreten. Wenn Aiwanger der Koalitionspartner ist, wird er am Morgen verfrühstückt. Dann gibt es eine Koalition, die am Ende gar keine ist. Aber Schwarz-grün – warum nicht? Gehen wir mal davon aus, Markus Söder bleibt bayerischer Ministerpräsident, und Sie hätten einen Wunsch an ihn frei. Welcher wäre das?
Jürgen Lehl: Mehr Energie und mehr Wohnungen für Bayern. Denn das stört mich: Wir haben eine tolle Industrie und viele Möglichkeiten. Es wurde allerdings vergessen, die Energie dafür bereitzustellen, entweder über Stromtrassen oder selber produzierte Energie. Denn die Energie reicht für die vielen Arbeitskräfte, die wir herholen, nicht aus.
Helga Rauch: Ich wünsche mir von ihm, dass er seinen Vorschlag zur Amtszeitbegrenzung durchsetzt. Denn wir erleben jetzt bei Horst Seehofer den gleichen Verfall, den wir einst bei Edmund Stoiber erlebt haben. Das ist menschlich, das ist normal. Denn irgendwann hat ein Mensch für manche Aufgaben nicht mehr die Kraft.
Tobias Böcker: Ich wünsche mir nichts von einem Ministerpräsidenten. Erstens möchte ich nicht, dass Söder Ministerpräsident bleibt. Und zweitens glaube ich, dass ein Ministerpräsident nicht dazu da ist, Wünsche zu erfüllen. Er ist dazu da, vernünftige, humane Politik zu machen für die Menschen in dem Land, für das er Verantwortung trägt. Deshalb hören Sie von mir keine einzelnen Wünsche, sondern schlicht die Aufforderung, eine ausgewogene Politik zu machen, die alle Menschen in Bayern im Blick hat.
Christoph Dobel: Ich wünsche mir, dass die Digitalisierung so gestaltet wird, dass sie für alle Menschen verträglich ist, in der Arbeitswelt ebenso wie im Privaten. Besondere Rücksicht verdient die ältere Generation, die den Anschluss nicht verlieren darf. Denn es wird ihr heute schon ganz selbstverständlich abverlangt, dass sie beispielsweise den Zahlungsverkehr nicht mehr auf der Bank abwickelt, sondern am Computer.
Hermann Skibbe: Ich wünsche mir von Herrn Söder und den Politikern generell, dass sie sich weniger in unnötigen, internen Scharmützeln verlieren, auch wenn die sich marketingmäßig gut verkaufen lassen. Vielmehr sollen sie die wirklich großen Probleme im Auge behalten. Ich glaube aber nicht, dass die in Bayern oder Deutschland zu lösen sind, sondern nur gemeinsam in Europa.
„Die CSU scheint ja irgendwie noch gesetzt zu sein.“