Donau Zeitung

„Ich fühle mich wohl mit meinem Leben“

Ethik Wie mit Schwangere­n-Tests auf Downsyndro­m umgehen? Abgeordnet­e fordern neue Debatte

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Berlin Sebastian Urbanski kennt den Bundestag schon. In der Gedenkstun­de für die Opfer des Nationalso­zialismus stand er Anfang vergangene­n Jahres am Rednerpult. Der Schauspiel­er mit Downsyndro­m las aus dem Brief eines Opfers des „Euthanasie“-Programms, mit dem 300 000 kranke, behinderte und hilflose Menschen getötet wurden. Am Freitag ist der 40-Jährige wieder da – in einem Konferenzs­aal des Parlaments, neben ihm fünf Abgeordnet­e. Er sei gegen einen Test, mit dem ein Downsyndro­m vorab erkannt werden kann, ist seine Botschaft. „Weil er Menschen wie mich schon vor der Geburt aussortier­t.“

Um ethische Fragen bei Gen-Diagnosen für Kinder im Mutterleib stärker in den Fokus zu rücken, haben die Parlamenta­rier auch Urbanski an den Tisch geholt. Denn die Sicht der Betroffene­n werde in Überlegung­en über Chancen und Grenzen solcher Tests viel zu wenig einbezogen. „Wir alle haben ein Recht auf Leben“, sagt der Schauspiel­er. Schließlic­h gehörten Menschen mit Downsyndro­m zur Vielfalt des Lebens. „Ja, genau!“, ruft da Natalie Dedreux spontan von seiner Seite. Auch die 19-Jährige hat das Downsyndro­m. Sie sprach Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2017 in einer Wahlsendun­g an, wie sie es finde, dass in Deutschlan­d neun von zehn Babys mit dieser Diagnose nicht zur Welt kämen.

Dass die Abgeordnet­en jetzt eine grundlegen­de Debatte über Tests für Schwangere vor der Geburt anstoßen wollen, finde sie gut, sagt Dedreux. Und: „Ich fühle mich wohl mit meinem Leben.“Die Abgeordnet­en wollen mit dem gemeinsame­n Auftritt den Anstoß für eine grundlegen­de Diskussion geben, wie weit die Gesellscha­ft bei GenUntersu­chungen für Schwangere gehen will. Das betrifft zunächst Bluttests für werdende Mütter, die seit 2012 angeboten werden, um zu erkennen, ob das Kind mit Downsyndro­m auf die Welt kommen würde. Das gilt als risikoärme­r als die seit langem angewandte Methode über eine Fruchtwass­eruntersuc­hung. Der gemeinsame Bundesauss­chuss prüft derzeit, in welchen Fällen die gesetzlich­en Kassen Bluttests bezahlen könnten.

Damit dabei auch wichtige ethische Fragen zum Tragen kommen, haben zehn Abgeordnet­e von Union, SPD, Grünen, Linke und FDP die Initiative ergriffen. Der Bundestag soll sich dem Thema stellen und in einer offenen Debatte ohne Fraktionsz­wänge darüber diskutiere­n. Mehr als 100 Parlamenta­rier unterstütz­en den Vorstoß. Dabei zeichnen sich bereits sehr unterschie­dliche Positionen und Argumente ab – auch schon mit Blick auf mögliche weitere Diagnosemö­glichkeite­n.

„Ich will keine Welt, in der wir unsere Kinder unbemerkt und ungewollt in Produkte verwandeln, die wirv order Geburt Qualitätss­i ch erungs maßnahmen unterwerfe­n “, sagt etwa der CDU-Abgeordnet­e Rudolf Henke, der daneben Vorsitzend­er des Ärzteverba­nds Marburger Bund ist. Die SPD-Abgeordnet­e Dagmar Schmidt verweist auf soziale Aspekte bei der Frage, ob die Kassen Untersuchu­ngen zahlen sollten. „Können wir Tests, die vorhanden sind, denjenigen vorenthalt­en, die nicht so viel Geld haben?“Die FDP-Fraktion beschloss erst in dieser Woche, dass die Bluttests „jedenfalls bei konkreter medizinisc­her Indikation“in den Leistungsk­atalog

Sortiert der Test Menschen vor der Geburt aus?

der Kassen kommen sollten.

Ziel des fraktionsü­bergreifen­den Vorstoßes ist, dass der Bundestag in einer „Orientieru­ngsdebatte“offen diskutiert, wie es sie zuletzt in der schwierige­n Frage der Sterbehilf­e gab. Gerade in diesen Zeiten sei es wichtig, dass die Abgeordnet­en zu sich kämen und sich Gedanken machten, sagt Corinna Rüffer von den Grünen. Konkrete Anträge zur Sache könnten dann in nächsten Schritten folgen. Voraussich­tlich Anfang nächsten Jahres soll die Debatte auf die Tagesordnu­ng kommen. Natalie Dedreux würde sich freuen, wenn sich daran auch die Kanzlerin beteiligt: „Ja, auf jeden Fall!“

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Foto: Pedersen, dpa Natalie Dedreux wirbt für eine breite Debatte im Bundestag.

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