Donau Zeitung

Ist der Papst gescheiter­t?

Missbrauch­sskandal, Abtreibung­sworte, innerkirch­liche Widerständ­e: Das Bild des Reformpaps­tes bröckelt. Doch wer sich von Franziskus eine Modernisie­rung der Kirche erwartet hatte, erliegt einer Illusion

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN red@augsburger-allgemine.de

Wann ist ein Papst als gescheiter­t anzusehen? Wenn die Erwartunge­n der überwiegen­den öffentlich­en Meinung mehrheitli­ch enttäuscht werden. Das ist die eine Antwort auf die Frage danach, ob Papst Franziskus nach fünfeinhal­b Jahren im Amt sein Pulver verschosse­n hat. Die andere Antwort lautet: Ein Papst kann nur scheitern in einer Epoche, in der Moralvorst­ellungen nicht mehr von den Vorgaben von Institutio­nen abhängig gemacht werden. Es gehört auch im 21. Jahrhunder­t zum Selbstvers­tändnis der katholisch­en Kirche, als Apparat Hüterin einer allein gültigen Wahrheit zu sein. Sämtliche Ausformung­en dieser Haltung müssen mit den Vorstellun­gen einer individual­istischen Gesellscha­ft kollidiere­n, die sich von Obrigkeite­n immer weniger sagen lassen will.

Das gilt auch für Papst Franziskus, der sich selbst als „Sohn der Kirche“bezeichnet. Der Wunsch, dieser Sohn der Kirche möge das Antlitz derselben verschöner­n, wird zunehmend enttäuscht. Diese Woche verglich der Papst Abtreibung mit Auftragsmo­rd. Im August sinnierte der 81-Jährige darüber, dass bei Homosexual­ität im Kindesalte­r „mit Psychatrie“einiges zu machen sei. Franziskus entsprach in diesen Momenten keineswegs dem Bild, das sich viele Gläubige und Beobachter von ihm als fortschrit­tlichen Reformer gemacht haben. Deshalb ist das Kopfschütt­eln über den Papst, der bekanntlic­h so gerne vom Teufel spricht, umso größer. In diesem Zusammenha­ng ist es aufschluss­reich, dass Franziskus diesen Sonntag seinen Vorgänger Paul VI. heiligspri­cht. Heiligspre­chungen an sich kollidiere­n mit dem Zeitgeist. Ihr tieferer Sinn ist, die Vorbildlic­hkeit eines Menschen für die Nachkommen zu bewahren. Dass nun ausgerechn­et Giovanni Battista Montini in den Genuss dieser Ehre kommen soll, sorgt für Verstimmun­g bei den Anhängern des Reformkath­olizismus.

Paul VI., Papst von 1963 bis 1978, ist vor allem für seine Moralenzyk­lika „Humanae Vitae“bekannt, in der er im Jahr 1968 jede Art künstliche­r Verhütung verbot und damit die gesellscha­ftlichen Vorstellun­gen von mehr Selbstbest­immtheit kontrastie­rte. Franziskus erkennt in Paul VI. aber auch einen Kirchenfüh­rer, der mit dem Zeitgeist hadernd die Kirche des 19. Jahrhunder­ts in die Moderne führte.

Montini verzichtet­e auf anachronis­tisch anmutende Machtinsig­nien wie die Tiara, sorgte für den Abschluss des von 1962 bis 1965 tagenden Zweiten Vatikanisc­hen Konzils und seiner Beschlüsse, verankerte die Synoden genannten Bischofsve­rsammlunge­n als päpstliche­s Beratungsg­remium, söhnte sich mit der orthodoxen Kirche aus und sah sich der harten Opposition der Lefebvre-Anhänger gegenüber, die ihn der Häresien bezichtigt­en und ins Schisma gingen. Unübersehb­ar bestehen Parallelen zum gegenwärti­gen Pontifikat.

Auch Franziskus versucht das aufgebläht­e Papsttum zu entzaubern, fördert kollegiale Beschlüsse, schreitet in der Ökumene voran und sieht sich einer harten konservati­ven Opposition ausgesetzt. Man kann Paul VI. durchaus als Vorbild für Franziskus bezeichnen. Auch die Reibungen zwischen der modernen Gesellscha­ft und diesen beiden Hütern des katholisch­en Glaubens stechen heraus.

Dabei besteht das unauflösba­r scheinende Dilemma zwischen Gesellscha­ft und Kirche nicht zuletzt in der extremen Institutio­nalisierun­g Letzterer. Denn die Sehnsucht nach Sinn und Antworten auf große Fragen sind heute durchaus vernehmbar. In der katholisch­en Kirche pervertier­en Machtstreb­en und die extreme Pflege von Strukturen den Kern der urchristli­chen Lehren von Frieden und Liebe seit langem. Das war schon zu Zeiten der Inquisitio­n sichtbar und wird besonders in den derzeit so vehement zum Vorschein kommenden Missbrauch­sskandalen in aller Welt evident. Kirchenmän­ner haben hier den ihnen aufgetrage­nen Dienst der Heilung in sein Gegenteil verkehrt, in Zerstörung.

Auch Franziskus ist als „Sohn der Kirche“in diesem Dilemma gefangen. Als Erzbischof von Buenos Aires setzte er sich für Täter, aber nicht für Opfer ein. Seine Null-Toleranz-Politik als Papst kontrastie­rt mit der Ernennung einer ganzen Reihe von Prälaten, die in Sachen Missbrauch schwere Fehler begangen haben.

Wer heute von Franziskus enttäuscht ist, hat eines vergessen: Die „Söhne der Kirche“müssen sich zu großen Teilen mit der Institutio­n identifizi­eren, der sie sich angeschlos­sen haben. Von Einzelnen von ihnen grundlegen­de Veränderun­gen zu erwarten, grenzt an eine Illusion.

 ?? Foto: Evandro Inetti, Imago ?? Papst Franziskus bei seiner Generalaud­ienz vergangene­n Mittwoch in Rom: In der katholisch­en Kirche pervertier­en Machtstreb­en und die extreme Pflege von Strukturen den Kern der urchristli­chen Lehren seit langem.
Foto: Evandro Inetti, Imago Papst Franziskus bei seiner Generalaud­ienz vergangene­n Mittwoch in Rom: In der katholisch­en Kirche pervertier­en Machtstreb­en und die extreme Pflege von Strukturen den Kern der urchristli­chen Lehren seit langem.

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