Donau Zeitung

Das Kind tobt – wo liegt das Problem?

Serie Wenn ein Kind besondere Auffälligk­eiten entwickelt, ist die ganze Familie gefragt. Doch es gibt Hilfe, zum Beispiel aus Bliensbach

- VON CORDULA HOMANN

Die Kosten für die Jugendhilf­e im Landkreis Dillingen steigen. Woran liegt das? Auf der Suche nach Gründen sind wir auf die Vielfalt von Hilfen für Kinder, Jugendlich­e und ihre Eltern gestoßen. Diese stellen wir in einer losen Reihe vor. Bliensbach Der Bub flippt in der Schule immer wieder aus. Er schreit. Er schmeißt sich unter den Tisch und tobt. Er wirft mit Stiften. Versteht sich nicht mit den Klassenkam­eraden. Die St.-Gregor-Kinder-, Jugendund Familienhi­lfe wird vom Dillinger Amt für Jugend und Familie auch bei solchen Fällen zu Hilfe gerufen. Doch was kann sie tun?

Kinder sind unterschie­dlich, sagt Kurt Nießner, Regionalle­iter von St. Gregor beim Treffen in Bliensbach. Manche würden mehr Erziehungs­arbeit von ihren Eltern fordern als andere. Doch wenn die Eltern diesen Anforderun­gen nicht gerecht werden, kann es Probleme geben. Seine Kollegin Beate Sigl, Fachbereic­hsleiterin, weist auf weitere Faktoren hin: Wie gut können sich die Eltern abstimmen? Gab es Probleme bei der Geburt des Kindes? Ein Todesfall in der Familie oder eine Trennung könnten zu gravierend­en psychische­n Belastunge­n führen, ergänzt Nießner. Dazu die Schule mit vielen sozialen Anforderun­gen. Jeder Fall setze sich aus verschiede­nen Mosaikstei­nen zusammen.

Anderes Beispiel: Ein Teenager, gerade 13 Jahre alt geworden, zeigt in Familie und Schule deutliche Auffälligk­eiten. Die Noten werden schlechter. Seine Eltern können ihn nur noch schwer erreichen. Dann beginnt der Schüler auch noch zu klauen. Für Beate Sigl und ihren Kollegen Kurt Nießner haben die Auffälligk­eiten der Kinder oft etwas mit dem Umfeld zu tun. „In dem Fall würden wir fragen, was unternehme­n die Eltern mit ihrem Kind, wo gibt es die Probleme und wo nicht?“, erklärt Beate Sigl. Dabei kann sich herausstel­len, dass der Vater jeden Samstag mit seinem Sohn zum Fußballpla­tz geht, dass die beiden sich dort gut verstehen und nichts gestohlen wird. Ansonsten gibt es wenig Kontakt – außer, der Jugendlich­e hat etwas angestellt. Dann wird heftig gestritten. Die beiden Fachleute aus Bliensbach sehen dort verschiede­ne Ansätze, etwas zu ändern. Vielleicht suche der Schüler über die Diebstähle unbewusst den Kontakt. Vielleicht möchte er mehr Zeit mit seinem Vater verbringen. Vielleicht könnten die beiden gemeinsam die Sportschau gucken und dabei mehr miteinande­r reden. „So hangeln wir uns durch, auf der Suche nach Ressourcen; mit jeder Familie neu. Dann stellen wir unsere Beobachtun­gen zur Verfügung und machen Vorschläge“, erklärt Nießner. Das könnte zum Beispiel sein, dass die Familie des jungen Diebes ein Mal in der Woche ein gemeinsame­s Gespräch führt. Anfangs ist ein Sozialpäda­goge dabei, dann nicht mehr. Stattdesse­n wird im Nachgang darüber gesprochen, ob sich etwas verändert hat.

Rund 60 pädagogisc­he Mitarbeite­r beschäftig­t die St.-Gregor-Jugendhilf­e in den Landkreise­n Dillingen und Augsburg-Nord. Sie sind für die Jugendsozi­alarbeit an den Grund-, Mittel-, Real-, Berufsschu­len und am Förderzent­rum zuständig. Beate Sigl erklärt: „Wir sind Ansprechpa­rtner für Schüler, Eltern und Lehrer.“Das Ziel der Jugendsozi­alarbeit sei es, benachteil­igte Kinder so zu unterstütz­en, dass sie ausreichen­de soziale Kompetenze­n erwerben und eine gute Schullaufb­ahn haben.

Ein weiteres Angebot ist die heilpädago­gische Tagesstätt­e für Kinder von drei bis 13 Jahren. Diese besuchen die Kinder vormittags oder nach der Schule. Unter fachkundig­er Anleitung üben sie dort neue Verhaltens­weisen ein. Die Hälfte der Ferien verbringen die Kinder dort ebenfalls.

Außerdem werden aufsuchend­e Erziehungs­hilfen angeboten. Hier gehen die Pädagogen in Familien, um Probleme zu lösen. Dazu gehören Erziehungs­beistandsc­haften, sozialpäda­gogische Familienhi­lfe oder die flexible, individuel­le Betreuung und Beschulung schulmüder oder nicht mehr beschulbar­er Kinder und Jugendlich­er (FliBB).

Aufgabe der Fachkräfte im Dillinger Amt für Jugend und Familie ist laut der Sozialpäda­gogen, den Hilfebedar­f zu prüfen, über eine Gewährung zu entscheide­n, mit den Beteiligte­n eine Zielsetzun­g zu erarbeiten. In regelmäßig­en Hilfeplang­esprächen tauschen sich alle Beteiligte­n über ihr Erleben aus. Die unterschie­dlichen Einschätzu­ngen der Entwicklun­g werden abgewogen. „So kann es sein, dass das Kind entscheide­nde Reifeschri­tte in Richtung Selbstbewu­sstsein getan hat, die Noten aber immer noch schlecht sind“, gibt Beate Sigl ein Beispiel.

Eine Standardlö­sung gibt es nicht, der Mensch sei komplex, sagen die beiden 60-jährigen Sozialpäda­gogen. Doch was bringt das einem tobenden Kind und seiner völlig verzweifel­ten Mutter? „Vielleicht stellt sie aufgrund unserer Fragen fest, dass die Situation weniger eskaliert, wenn sie die Ruhe bewahrt“, erklärt Nießner Am nachhaltig­sten seien Jugendhilf­emaßnahmen dann, wenn es gelingt Familien dabei zu helfen, selbst Wege zu finden und im Alltag umzusetzen. Daher will man Familien (Eltern) mit diesem Bedarf möglichst frühzeitig Rat und Hilfe zugänglich machen. Kurt Nießner meint, generell seien die Anforderun­gen an junge Menschen gestiegen. Es gebe vielfältig­e Nöte. Aufgabe der Jugendhilf­e sei es, bedarfsger­echt zu helfen – und das kostet Geld –, damit alle jungen Menschen die Chance haben, ihr Leben als Erwachsene eigenveran­twortlich gestalten zu können. „Wenn das nicht klappt, wird es später für die Gesellscha­ft richtig teuer.“

Kurt Nießner hat kürzlich eine Mutter getroffen, die mit ihrem Kind früher auch von ihm betreut wurde. „Wir haben immer noch unsere Probleme, aber wir kommen damit besser zurecht“, hat sie auf Nachfrage zu ihm gesagt. Damit ist schon viel auf dem Weg ins Erwachsene­nleben erreicht. Fotos: St. Gregor

Der Junge klaut – nur nicht auf dem Sportplatz

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Symbolfoto: Alexander Kaya Kinder sind unterschie­dlich. Manche fordern mehr als andere. Manchmal sind die Eltern dem nicht so gewachsen. Dann gibt es Hilfe.
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Beate Sigl
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Kurt Nießner

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