Mit dem „Faust“in der Tasche
Reclam Literatur als Groschenheft: Heute ist diese Idee museumsreif
Das sind mal Bestenlisten! Platz eins: „Wilhelm Tell“von Friedrich Schiller. Platz zwei: Goethes „Faust I“. Dann Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“vor Lessings „Nathan der Weise“. Und nein, das ist nicht die Hitparade der von Schülern meistgefürchteten oder meistgehassten Lektüren. Denn es gab da eine Zeit, da war Volksbildung durch Literaturklassiker noch ein Kassenschlager. Heute, wo debattiert wird, ob man dem Nachwuchs überhaupt noch Goethe oder Schiller zumuten kann, und wo das olle Zeug ohnehin kostenlos im Internet zu finden ist, wirkt das geradezu symptomatisch: dass es jetzt ein Museum für die älteste noch existierende deutschsprachige Taschenbuchreihe gibt, „Reclams Universal-Bibliothek“. Und zwar dort, wo 1867 die Geschichte der großen Literatur in Zwei-Groschen-Heften begann, in Leipzig. Übrigens mit Goethes „Faust I“. Damals waren durch ein neues Urheberrecht dessen Werke wie auch die Schillers, Lessings und all der anderen Klassiker gemeinfrei geworden. Die Nummer einst ist freilich auch unter den über 10 000 nun ausgestellten Büchern – und selbstverständlich nicht im heute typischen, poppigen Gelb, sondern noch im originalen Blassrosa-Cover samt Ranke und Frakturtitel. Damit war Anton Philipp Reclam einst ein Coup zwischen Kultur und Kommerz gelungen. Später kam die Reihe zu ihren Kunden, verkauft in Bücherautomaten. So schien der Fortschritt damals für das Buch zu arbeiten, wie er heute gegen es zu sprechen scheint. Was von Bildungslust bis Schülerverdruss aber bleiben soll, formulierte man bei Reclam bereits zum 150-jährigen Jubiläum der Reihe mit dem Titel: „Gehasst. Geliebt. Gelesen!“