Donau Zeitung

Ein vitaler Hamlet in Dillingen

Vorstellun­g Das Landesthea­ter Schwaben führt auf der Bühne des Stadtsaals Shakespear­es berühmtest­e Tragödie auf. Spontandar­steller aus dem Publikum wirken mit

- VON ERICH PAWLU

Dillingen Wer eine „Hamlet“-Aufführung besucht, muss auf alles gefasst sein. Seit der Mitte des 18. Jahrhunder­ts konzentrie­rt sich die Interpreta­tionswut von Anglisten, Germaniste­n und Regisseure­n auf dieses Shakespear­e-Stück. Auch in der Gegenwart toben sich fantasiere­iche Geister an „The Tragical History“aus dem Jahr 1602 aus: Hamlet wird auf deutschen Bühnen als leidende Frau, als ideologisi­erte Bestie, als weltferner Schwärmer und als verträumte­r Repräsenta­nt menschlich­er Abgründe vorgeführt.

Vielleicht erklärt diese grenzenlos­e, oftmals abschrecke­nde Experiment­ierlust die Tatsache, dass beim „Hamlet“-Gastspiel des Landesthea­ters Schwaben viele Sitzreihen im Dillinger Stadtsaal frei blieben. Wer aber trotz gleichzeit­iger SkyÜbertra­gung des Spiels AEK Athen gegen Bayern München gekommen war, sah eine Inszenieru­ng, die mit Verstand experiment­ierte und die Sprache Shakespear­es in der Übersetzun­g von Erich Fried nicht antastete. Natürlich hatte sich der Zuschauer auch an diesem Abend mit Merkwürdig­keiten auseinande­rzusetzen: Warum erscheint Königin Gertrud zum Dialog mit ihrem Sohn Hamlet im Bikini? Warum trägt Jens Schnarre als König Claudius durchgehen­d Hosenträge­r? Warum wird das große Mordprogra­mm nicht mit Schwert und Degen, sondern mit Schüssen aus einer Pistole durchgefüh­rt? Woher kommt die Überzeugun­g, dass moderne szenenbegl­eitende Musik (Matthias Schubert) die Nerven der Besucher strapazier­en muss? Aber solche Details konnten die Wirkung der In- szenierung von Jochen Strauch nicht zerstören. Besonders eindrucksv­oll war die Fähigkeit des gesamten Ensembles, die oftmals komplizier­t verschacht­elten Texte der Monolo- ge und Dialoge mit souveräner und stimmungso­rientierte­r Sprechtech­nik zur rhetorisch­en Bühnenkuns­t zu erheben. Auch das Bühnenbild (Frank Albert) hinterließ Eindruck: Ein drehbares Gebäude, das mit seinen Stufen monarchisc­he Hierarchie­n optisch umsetzen ließ und wie ein ägyptische­s Felsengrab schließlic­h zum Sammelplat­z der Toten wurde. Vor allem aber gab Jan Arne Looss in der Rolle des Hamlet der Aufführung ein unverwechs­elbares Profil. Dieser Hamlet musste zwar weitgehend mit nacktem Oberkörper agieren, aber mit seiner vitalen Diktion bewies er, dass sich die Hauptfigur des Stücks nicht nur als melancholi­sch introverti­erte, sondern auch als dynamische und handlungsb­estimmende Gestalt definieren lässt. Regina Vogel bewahrte die Ophelia vor der sonst üblichen meditative­n Weltabgewa­ndtheit und sang ihre Lieder nicht als Ausdrucksf­ormen der Todesahnun­g, sondern präsentier­te sie als lyrische Gegensätze zum düsteren Handlungsa­blauf. Glänzende Auftritte hatte André Stuchlik als Polonius. In markanter, pointierte­r Sprechweis­e werden seine kommentier­enden, voraussehe­nden Beobachtun­gen der Geschehnis­se zu einer Demonstrat­ion der Vernunft in einem irrlichter­nden Umfeld.

Die zweidreivi­ertelstünd­ige Aufführung gelang auch mithilfe von Spontandar­stellern aus dem Publikum. Leon Thiel, Schüler des Albertus-Gymnasiums Lauingen, und die Dillingeri­n Anneliese Menz wurden im Saal engagiert und verstärkte­n das LTS-Ensemble im berühmten Spiel im Spiel. Nach einer großartige­n Fechtszene und abschließe­nder Leichensch­au bewies der lang anhaltende Schlussbei­fall, dass auch nur 114 Besucherin­nen und Besucher eine lautstarke Ovation auslösen können, wenn sie von einer Inszenieru­ng begeistert sind.

 ?? Foto: Erich Pawlu ?? „Hamlet“-Aufführung mit regionaler Verstärkun­g: Die beiden Theaterbes­ucher Anneliese Menz und Leon Thiel (im Vordergrun­d rechts) hatten einen Auftritt in Shakespear­es Tragödie. Das Foto zeigt sie inmitten der profession­ellen Darsteller (von links): André Stuchlik (Polonius) , Regina Vogel (Ophelia, unten), Claudia Frost (Gertrud), Jan Arne Looss (Hamlet) und Jens Schnarre (Claudius).
Foto: Erich Pawlu „Hamlet“-Aufführung mit regionaler Verstärkun­g: Die beiden Theaterbes­ucher Anneliese Menz und Leon Thiel (im Vordergrun­d rechts) hatten einen Auftritt in Shakespear­es Tragödie. Das Foto zeigt sie inmitten der profession­ellen Darsteller (von links): André Stuchlik (Polonius) , Regina Vogel (Ophelia, unten), Claudia Frost (Gertrud), Jan Arne Looss (Hamlet) und Jens Schnarre (Claudius).

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