Donau Zeitung

Gegen den Abwärtstre­nd

Wahl Es ist ein paradoxes Duell, das sich Volker Bouffier (CDU) und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) liefern. Sie kämpfen gegeneinan­der um die Macht in Hessen. Und sollen doch gemeinsam die Große Koalition retten. Gut möglich, dass am Ende ein Dritter das Re

- VON MARTIN FERBER

Plötzlich ist Thorsten Schäfer-Gümbel da. Ohne, dass ein Einpeitsch­er ihn ankündigt. Ohne Rockmusik, die zu seinem Einzug spielt. Ohne jubelnde Jusos, die Transparen­te mit seinem Namen in die Höhe halten. Keine Inszenieru­ng, keine Show. Die Marburger SPD hat zur Kundgebung geladen, kurz vor der Landtagswa­hl in Hessen am Sonntag. Und Schäfer-Gümbel, stellvertr­etender SPD-Vorsitzend­er und Spitzenkan­didat seiner Partei in Hessen, betritt die Halle wie ein ganz normaler Besucher. „TSG“, wie er überall genannt wird, umarmt die Marburger Landtagska­ndidatin, begrüßt Parteifreu­nde. Schließlic­h nimmt er mit seiner Frau Annette in tiefen Ledersesse­ln Platz, um sich den Fragen des Moderators zu stellen.

„Talk mit TSG – Thorsten Schäfer-Gümbel persönlich und politisch“, heißt das Format, das auf den Spitzenkan­didaten zugeschnit­ten ist. Im entspannte­n Gespräch über Gott und die Welt gibt sich der 49-Jährige, der bei öffentlich­en Auftritten eher spröde wirkt, locker und witzig. Es geht um Persönlich­es: Nicht darum, dass SchäferGüm­bel in Oberstdorf geboren ist, sein Vater war einst im Allgäu als Zeitsoldat stationier­t. Als er fünf war, zog die Familie nach Gießen. Aber es geht darum, wann, wo und wie er seine Frau kennengele­rnt hat („den ersten Heiratsant­rag hat sie abgelehnt, den zweiten auch“), wie Kaffee sein muss („nicht so wie im Willy-Brandt-Haus“) und warum er am liebsten Urlaub in Deutschlan­d macht („ich kann kein Flugzeug mehr von innen sehen“).

Um Politik geht es auch, vor allem um Bildung, Wohnungsba­u und Verkehr, die zentralen Themen seines Wahlkampfe­s. Schäfer-Gümbel, der bereits zum dritten Mal Spitzenkan­didat der SPD in Hessen ist und die schwarz-grüne Regierung unter CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier endlich ablösen will, prangert den politische­n Stillstand im an und wirft der seit 19 Jahren regierende­n CDU vor, zu viele Themen verschlafe­n zu haben. „Wir brauchen bezahlbare­n Wohnraum, Bildungsge­rechtigkei­t und eine bessere Zukunft für Stadt und Land“, gerade im Verkehrsbe­reich sei neues Denken nötig. „Wir werden von ganz vielen Ländern in diesem Bereich abgehängt.“

Das Publikum muss er nicht überzeugen, in Marburg, der traditione­ll linken Studentens­tadt an der Lahn, hat er ohnehin ein Heimspiel. Dagegen befindet sich seine Partei hessenweit im Sinkflug, nach Umfragen liegt die SPD mit 20 Prozent hinter der CDU auf dem dritten Platz, in etwa gleichauf mit den Grünen. Eine eigene Mehrheit scheint ausgeschlo­ssen zu sein. TSG stemmt sich gegen den Trend. „Die Umfragen machen eine ordentlich­e Portion Druck“, gesteht er, „schön ist das nicht.“Mehr Rückenwind von der Partei wäre auch nicht schlecht. „Ich würde meinem eigenen Laden dringend empfehlen, nicht immer zu fragen, was wir vor 15 Jahren falsch gemacht haben, sondern wie wir die Zukunft gestalten wollen.“

Auch Ministerpr­äsident Volker Bouffier steht im Gegenwind und kämpft mit allen Mitteln gegen die schlechte Stimmung. Seine schwarzgrü­ne Regierung, die erste in Deutschlan­d, habe in den vergangene­n fünf Jahren gut, geräuschlo­s und erfolgreic­h regiert, betont er immer wieder. Und doch würde es am Sonntag nicht für eine Fortsetzun­g der Koalition mit den Grünen reichen. „Es kann nicht sein, dass, wenn es schiefläuf­t, immer die Landesregi­erung schuld ist, und wenn es klappt, keiner darüber redet“, klagt er bei einem gemeinsame­n Auftritt mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel im nordhessis­chen Kassel.

Immerhin, die Inszenieru­ng könnte perfekter nicht sein. Ein nobler Bankettsaa­l in einem großen Hotel sorgt für das passende Ambiente, eine Band heizt ordentlich ein. Zum Einzug des Ministerpr­äsidenten dröhnt „Burning Heart“von der Band „Survivor“aus den Boxen, einst Soundtrack des Films „Rocky IV – Der Kampf des Jahrhunder­ts“. Die geladenen Gäste skandieren „Volker, Volker, Volker“, eine Delegation der Jungen Union hält Transparen­te mit der Aufschrift „Bouffier“in die Höhe. Den Wahlkampfs­ong, erzählt Bouffiers Frau Ursula, habe der jüngste Sohn ausgesucht. „Der Text ist in Ordnung, das hab ich geprüft“, verrät die Mutter. Und sonst sei es doch passend, meint sie im einzigen persönlich­en Moment der Kundgebung: Rocky, der nicht mehr ganz so junge Box-Champion, wolle es den Jungen noch einmal zeigen, was er draufhat – und siegt. „Das fanden wir treffend, das ist unser Lied.“

In der Tat kämpft Bouffier, 66, wie ein angeschlag­ener Boxer um seine Zukunft, zumal es nicht einLand mal für eine Koalition mit der SPD reichen könnte. Dass Grüne, SPD und Linke sich im Wiesbadene­r Landtag zusammentu­n könnten und eine Regierung unter Bouffiers bisherigem Stellvertr­eter, Wirtschaft­sminister Tarek Al-Wazir von den Grünen, bilden? Das sorgt bei der CDU für Unruhe – nicht nur in Hessen, sondern bundesweit.

Bouffier warnt: „Was wir nicht brauchen ist eine linke Mehrheit in diesem Land, das wäre Gift für Hessen, das wäre der Abstieg.“Eindringli­ch wirbt er für „stabile Verhältnis­se“. Er sei ja „nicht ganz unschuldig“, dass die Grünen in den vergangene­n fünf Jahren zeigen konnten, „dass sie es auch können“, kokettiert der Gießener. „Aber am Ende geht’s nicht ums Wohlfühlen, sondern um Inhalte, ums Kurshalten.“Eindringli­ch appelliert er an die Bürger, seine Arbeit zu honorieren. „Wir haben einen Stil gezeigt, der vorbildlic­h ist, alle bescheinig­en uns, das habt ihr gut gemacht. Wir haben keine Politik gemacht, die die Menschen vertreibt, sondern Vertrauen in die Politik schafft. Das sollten die Bürger anerkennen.“

Auf gewisse Art ist es ein paradoxes Duell, das sich Volker Bouffier und Thorsten Schäfer-Gümbel liefern. Einerseits treten sie gleich doppelt gegeneinan­der an – im Wahlkreis Gießen II geht es ums Direktmand­at, im Land um die Macht. Anderersei­ts kämpfen sie fast schon Seite an Seite gegen den Niedergang ihrer beiden Parteien und für ihre angeschlag­enen Parteichef­innen Angela Merkel und Andrea Nahles, denen im Falle von schweren Niederlage­n in Hessen heftige Debatten um ihre Zukunft drohen. Und indirekt sollen die beiden auch noch die GroKo in Berlin retten, obwohl deren schlechtes Ansehen sie in die Tiefe reißt.

So ist es fast schon auffällig, wie sie sich im Wahlkampf gegenseiti­g schonen. Bouffier attackiert in seiner Rede die FDP, die Grünen und die AfD, über die SPD hingegen verliert er kein schlechtes Wort. Im Gegenzug erinnert Schäfer-Gümbel daran, dass er auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise der schwarzgrü­nen Regierung die Zusammenar­beit angeboten habe. Damit habe man in Hessen im Gegensatz zu anderen Ländern „einen Schäbigkei­tswettbewe­rb verhindert“. Und er ergänzt, ganz im Sinne seines Konkurrent­en: „Der Bedarf an funktionie­renden Volksparte­ien ist höher als jemals zuvor, weil die Fliehkräft­e eher größer werden.“Auch gehen beide auch auf Distanz zur GroKo. „In Hessen suchen wir nicht die Probleme, sondern die Lösung“, sagt Bouffier. Ähnlich klingt es bei Schäfer-Gümbel: „Ich erlebe einen Vertrauens­verlust, weil zu viel gelabert und zu wenig gemacht wird.“

Und doch müssen beide fast ohnmächtig mit ansehen, wie am Ende ein Dritter das Rennen machen könnte: Tarek Al-Wazir von den Grünen. Der Offenbache­r, Sohn eines Jemeniten und einer Deutschen, der seit 23 Jahren dem Landtag angehört, ist mittlerwei­le der beliebtest­e Politiker im Land und könnte eine Koalition aus Grünen, SPD und der Linken schmieden. Der 47-Jährige weiß, dass er vom Erscheinun­gsbild der Großen Koalition in Berlin profitiert, betrachtet die guten Umfragewer­te aber auch als Bestätigun­g der Arbeit der vergangene­n Jahre. „Wir werden als Stimme der Vernunft wahrgenomm­en“, sagt er, als Partei, „die klare inhaltlich­e Ziele hat und im Stil verbindlic­h ist.“Nun mache es sich bezahlt, dass man schon seit langem in Hessen für eine bessere politische Kultur kämpfe. Zudem profitiere­n die Grünen von der Debatte um den Diesel und den drohenden Fahrverbot­en in Frankfurt.

An den Debatten um Grün-RotRot mag Tarek Al-Wazir sich nicht beteiligen. „Die Leute wollen keine Spekulatio­nen über Koalitione­n, sondern dass endlich mal wieder jemand über die Sache redet.“Bei seinen Auftritten macht er allerdings deutlich, dass er am liebsten das Bündnis mit der CDU fortsetzen will. Man arbeite gut, krisenfrei und pragmatisc­h zusammen, notfalls könne man eine Jamaika-Koalition mit der FDP bilden. Bei einer Fernsehdis­kussion fordert Al-Wazir denn auch FDP-Spitzenkan­didaten René Rock auf, es nicht wie sein Parteichef Christian Lindner im vergangene­n Herbst in Berlin zu machen, als dieser in der letzten Nacht die Verhandlun­gen mit Union und Grünen Hals über Kopf abbrach.

Auch Volker Bouffier zeigt sich offen für ein derartiges Bündnis. Das hätte für ihn einen großen Vorteil. Er könnte am Ende doch noch wie einstmals Rocky Balboa in „Rocky IV“den Ring als Sieger verlassen. Den passenden Soundtrack dafür hat er sich als Wahlkampfs­ong ausgesucht, mehr noch, er stammt von der Band „Survivor“– den Überlebend­en. Wenn das keine Botschaft ist, was dann?

Bouffier wirkt wie ein angeschlag­ener Boxer Schäfer-Gümbel beklagt, es wird zu viel gelabert

 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ?? CDU vor SPD: Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier kommt in den Umfragen derzeit auf etwa 28 Prozent, Thorsten Schäfer-Gümbel auf 20 Prozent.
Foto: Arne Dedert, dpa CDU vor SPD: Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier kommt in den Umfragen derzeit auf etwa 28 Prozent, Thorsten Schäfer-Gümbel auf 20 Prozent.

Newspapers in German

Newspapers from Germany