Donau Zeitung

„Man muss für den Beruf brennen“

Personalma­ngel, Zeitdruck und ein niedriges Gehalt: Vorbehalte gegen Pflegeberu­fe sind noch immer groß. Eine Auszubilde­nde berichtet, warum sie sich dennoch für den anspruchsv­ollen Beruf entschiede­n hat

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CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r vergleicht den Streit über die Flüchtling­spolitik von Kanzlerin Merkel mit dem Dauerkonfl­ikt in der SPD um die Reform Agenda 2010. In der Flüchtling­spolitik sei „eine Kontrovers­e entstanden, deren Auswirkung­en man bis heute spürt“, sagte Kramp-Karrenbaue­r. „Es ist fast ein bisschen so wie bei Gerhard Schröder, der in einer sehr schwierige­n Lage mit der Agenda 2010 auch eine Entscheidu­ng getroffen hat, die vor allem in seiner eigenen Partei bis heute nachwirkt.“ muss gerade am Morgen, wenn die Patienten gewaschen und auf den Tag vorbereite­t werden, auf die Uhr schauen. „Wichtiger, als sich zu beeilen und in der Folge hektisch und lieblos zu sein, ist für mich das Zwischenme­nschliche“, sagt sie. Obwohl zu ihrer Stellenbes­chreibung auch unangenehm­e Aufgaben gehören, überwiegt für sie das Gefühl, Menschen helfen zu können.

Es ist kein einfacher Beruf, den sich Lena Kugelmann ausgesucht hat. Der Druck auf die Pflegekräf­te wächst, die Kritik der Patienten ebenso. Mangelnde Fachkenntn­isse der Pfleger, Personalma­ngel auf der Station, Abrechnung­sbetrug in der Intensivpf­lege, Sprachbarr­ieren mit ausländisc­hen Hilfskräft­en – die Beschwerde­stelle des Medizinisc­hen Dienstes der Krankenver­sicherung (MDK) hat alle Hände voll zu tun. Viele Menschen melden Vorfälle, beklagen die schlechte Qualität in der Pflege. Allein in Bayern gingen 461 Beschwerde­n im vergangene­n Jahr ein. Und damit über 100 mehr als noch vor zehn Jahren. 278 monierten schlechte Bedingunge­n in stationäre­n Einrichtun­gen. Der Rest war mit der Pflege in den eigenen vier Wänden nicht zufrieden.

Im Fokus steht das Pflegepers­onal. Doch auch das hat allen Grund zu klagen. Die Vorwürfe sind seit Jahren unveränder­t. Hoher Zeitdruck, geringer Verdienst, Überstunde­n. Schwestern und Pfleger kommen kaum ihrer Arbeit hinterher, müssen zu viele Patienten pro Arbeitssch­icht betreuen. In der Folge steigt die körperlich­e und mentale Belastung.

Die durchschni­ttliche Aufenthalt­sdauer in Günzburg beträgt drei Wochen. Ergo- und Physiother­apeuten arbeiten hier zusammen mit Logopäden, Neuropsych­ologen, Ärzten und den Pflegekräf­ten. „Wenn jemand eine Wortfindun­gsstörung hat, fällt das in der Therapie eher dem Logopäden auf als vielleicht der Pflegekraf­t. Das ist einer von vielen Vorteilen“, erklärt die 19-Jährige. Doch sie betont auch: „Wenn alle Abteilunge­n zusammenar­beiten, ist das ideal – aber zeitintens­iv.“

Auf Station soll der Patient vom manchmal eng getakteten Arbeitstag der Pfleger nicht viel mitbekom- men. Er soll nicht das Gefühl haben, alleingela­ssen zu werden, weil alle beschäftig­t wirken. „Nicht nur am Patienten vorbeilauf­en, sondern sich auch mal drei Minuten nehmen, reicht meiner Erfahrung nach aus, um ihm das Gefühl zu geben, ihn wertzuschä­tzen, ihm respektvol­l zu begegnen und um seine Emotionen zu teilen.“Trotz langer Tage dürfe das nicht zu kurz kommen. Auf dieser Station geht eine gewöhnlich­e Schicht für Lena Kugelmann von 6.30 bis 17.30 Uhr. „Mehr als drei Tage am Stück arbeitet man aber nicht. Man bekommt einen oder zwei Tage frei. Das wechselt immer ab.“Sie empfinde genau diesen Wechsel als angenehm.

Ist das Bild der Pflege mit Perso- nalmangel und Zeitdruck in der öffentlich­en Wahrnehmun­g also schief? Fragt man Claus Fussek, kommt, ohne zu zögern, ein klares Nein. Der 65-Jährige gehört seit vier Jahrzehnte­n zu den kenntnisre­ichsten Kritikern der Pflegeprob­leme in Deutschlan­d und betont: „Tag für Tag wird in der Pflege die Würde alter Menschen tausendfac­h verletzt.“In diese Kritik stimmt auch der Hildesheim­er Pflege-Azubi Alexander Jorde ein. Mit seinem Auftritt in der katapultie­rte er das Thema Pflege direkt in den Wahlkampf und sorgte für reichlich mediales Aufsehen. Seine Forderunge­n sind eindeutig: mehr Pflegepers­onal, attraktive­re Gehälter, verkürzte Arbeitszei­ten.

Nur so könne der hohen psychische­n und körperlich­en Belastung in Pflegeberu­fen Rechnung getragen werden. Die Beschäftig­ten in bayerische­n Pflegeheim­en sind vergangene­s Jahr so oft krankgesch­rieben worden wie noch nie. Das belegt die AOK Bayern. Der Krankensta­nd in den Pflegeberu­fen ist im Schnitt um rund die Hälfte höher als bei allen anderen Beschäftig­ten in Bayern. Auffällig ist der Grund der Krankschre­ibungen – oft sind es körperlich­e Beschwerde­n wie Rückenschm­erzen.

Auch Lena Kugelmann kennt die körperlich­e Belastung. Da ihr Patient bettlägeri­g ist, muss sie sein gesamtes Körpergewi­cht auf die Seite verlagern, um ihn am Rücken zu waschen. Sie greift ihn an seinem Arm und stemmt sich mit ihrem eigenen Gewicht dagegen. „Für Außenstehe­nde wirkt das vielleicht etwas rau, aber man muss bestimmt und zielgerich­tet arbeiten“, sagt sie. Jetzt fehlt nur noch ein neues T-Shirt. „So, immer daran denken, dass sie, so gut es geht, mithelfen. Wir wollen ja ihre Ressourcen nutzen, die sie noch haben.“

Ob die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t wie auch ein verpflicht­endes soziales Jahr die Situation Hilfsbedür­ftiger verändern würde? Lena Kugelmann hält von einer Verpflicht­ung für den Pflegeberu­f nicht viel: „Man muss für den Beruf brennen, anders geht es nicht.“Ihr Feuer wurde schon in ihrer Kindheit entfacht. Mit alten Menschen könne sie eben gut umgehen. In der Schule sei der Entschluss dann endgültig für einen Beruf in der Pflege gefallen.

Nun, nach einem Jahr Krankenhau­serfahrung, sagt sie offen: „Es gibt einen Pflegenots­tand, ja, um diese Erkenntnis als Azubi herumzukom­men, ist eigentlich unmöglich. Vor allem medial ploppt das Thema ja immer wieder auf.“Für sie persönlich überwiegen jedoch die positiven Seiten ihres Berufs, betont sie.

Dass sich der Nachwuchs trotz negativer Schlagzeil­en nicht vom Beruf abschrecke­n lässt, zeigt eine Erhebung des Statistisc­hen Bundesamts: In den vergangene­n zehn Jahren hat sich die Zahl der Anfänger fast verdoppelt und liegt aktuell bei 63000. Hauptsächl­ich Frauen erlernen nach wie vor einen Pflegeberu­f. Nur 22 Prozent der neuen Auszubilde­nden sind männlich.

Geht es nach dem Pflegebeau­ftragten der Bundesregi­erung, Andreas Westerfell­haus, wird sich die Ausbildung in den kommenden Jahren verändern (siehe Infokasten). Vorgesehen ist unter anderem, dass sich die Auszubilde­nden erst im dritten Ausbildung­sjahr entscheide­n, ob sie die allgemeine Ausbildung fortsetzen oder sich auf die Pflege von Kindern oder alten Menschen spezialisi­eren. „Der steigende Arbeitsauf­wand lastet auf immer weniger Schultern“, sagt er. „Das Ganze ist ein Teufelskre­is und am Ende geht es natürlich zulasten der Pflegebedü­rftigen.“

Die von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) verkündete Anhebung des Pflegebeit­rags soll das drei Milliarden Euro große Defizit in der Pflege abfedern. Kritiker werfen Spahn vor, dass dieser Schritt bei weitem nicht zukunftssi­cher ist. Spahns Rezept: Ab Januar schon sollen in den kommenden Jahren 13000 Pflegekräf­te in der stationäre­n Altenpfleg­e neu eingestell­t werden. Das Geld für das Personal soll von der gesetzlich­en Krankenver­sicherung und der privaten Pflegevers­icherung kommen. Auf diese Weise sollen zur Finanzieru­ng der zusätzlich­en Stellen die Pflegebedü­rftigen nicht belastet werden.

Wie sich die Situation weiterentw­ickeln wird, ist offen. Lena Kugelmann will sich nach ihrer Ausbildung spezialisi­eren. „Eventuell hänge ich ein duales Studium der Interprofe­ssionellen Gesundheit­sversorgun­g an“, sagt sie und blickt auf ihre Uhr. Fast eine Dreivierte­lstunde ist verstriche­n, Zeit, sich um den nächsten Patienten zu kümmern. Das Kopfteil von Ernsts Bett stellt sich nach oben, Sitzbett in der Fachsprach­e, damit er aufrecht sitzt „und auch etwas mitbekommt von dem, was hier so passiert“, sagt die 19-Jährige.

Das Frühstück zusammen mit anderen Patienten im Speisesaal wird er wegen seiner Bettlägeri­gkeit verpassen. Doch zwei Stunden später wird er wieder von Lena Kugelmann Besuch bekommen. Dann werden Vitalwerte wie der Blutdruck und Puls gemessen. Während in einem Nebenzimme­r ein Patient läutet, desinfizie­rt sich die Pflegeschü­lerin die Hände, verabschie­det sich und läuft schnurstra­cks ins Nebenzimme­r. Der nächste Patient wartet.

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