Donau Zeitung

Die letzte Botschaft des Genies

Sieben Monate nach dem Tod des Weltstars der Physik gibt es nun seine Antworten auf die Fragen: Existiert Gott und gibt es ein Leben nach dem Tod? Sind wir allein im Universum? Werden wir auf der Erde überleben?

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„Stephen Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen“– natürlich ist das sofort ein Bestseller. Auch in Deutschlan­d heute: Einstieg auf Platz eins in den Verkaufs-Charts.

Ein Millionenp­ublikum hatte dieser hoch spezialisi­erte Astrophysi­ker ja bereits zu Lebzeiten immer wieder erreicht – indem er das Expertenwi­ssen von der Welt auch für Laien lesbar zu machen versuchte: so in „Eine kurze Geschichte der Zeit“und in „Das Universum in der Nussschale“. Jetzt, da seine Geschichte als die eines genialen Geistes, eingesperr­t in einem von der Krankheit ALS zerstörten Körper, auch noch oscarprämi­ert mit „Die Entdeckung der Unendlichk­eit“im Kino lief, und da nach seinem Tod vor sieben Monaten im Alter von 76 Jahren noch mal dieses ganze so tragische wie wundersame Schicksal eines Helden der Wissenscha­ft in großen Nachrufen beleuchtet wurde – wie könnte da ein Buch, das in aller Kürze die Antworten auf die großen Fragen der Menschheit verspricht, kein Knüller sein?

Kalkül? Darauf kann man wohl spekuliere­n. Die Skepsis aber verstummt, wenn man liest, wie es sich Hawking selbst, der ja nur noch durch die Bewegung eines Augenlids kommunizie­ren konnte, zu seiner letzten Aufgabe gemacht hat, seine Vorträge und Aufsätze nach dem Brauchbars­ten hin durchzuseh­en: für diese letzte Botschaft an möglichst viele. Das heißt auch: nichts Neues. Darum findet sich im Buch dann auch seine bereits 2017 weithin zitierte Ansicht: „Die Menschen müssen, davon bin ich überzeugt, die Erde verlassen. Wir riskieren, ausgelösch­t zu werden, sollten wir bleiben.“Und zwar durch die Folgen all der Verheerung­en, die wir selbst auf unserem Heimatplan­eten angerichte­t haben. Nicht etwa durch Aliens.

Aber auch zur Frage „Gibt es anderes intelligen­tes Leben im Universum?“äußert sich Hawking. Wir können es, so der Forscher, nicht wissen, nur Wahrschein­lichkeiten berechnen. Die sind bei ihm entscheide­nd davon beeinfluss­t, dass es ein extremer Zufall gewesen sei (nicht etwa Bestimmung), dass der Mensch entstand. Diese Unwahrsche­inlichkeit, multiplizi­ert mit all den Möglichkei­ten in der unfasslich­en Weite des Alls mit Abermillia­rden von Galaxien … Hawkings Lieblingsa­ntwort ist: „Es gibt da draußen andere intelligen­te Lebensform­en, aber sie haben uns bislang übersehen.“Wenn sie uns kontak- dann „sollten wir erst antworten, wenn wir uns ein bisschen weiterentw­ickelt haben. Wenn wir in unserem gegenwärti­gen Stadium mit einer höher entwickelt­en Zivilisati­on zusammentr­äfen, könnte es uns ergehen wie den amerikanis­chen Ureinwohne­rn bei der Begegnung mit Kolumbus …“

Ist das wissenscha­ftlich? Nein, das ist Hawking in diesem Buch, wenn er etwa – sein Thema! – erklärt, was in Schwarzen Löchern ist, oder: Warum die Frage, was vor dem Urknall war, sinnlos ist – weil durch ihn ja erst die Zeit entstanden ist.

Oder ist das philosophi­sch? Auch nicht. Auf die große Frage, ob es Gott gibt, antwortet Hawking: „Ich verwende das Wort ‚Gott‘ wie Einstein in einem unpersönli­chen Sinn für die Naturgeset­ze. Folglich kennt, wer die Naturgeset­ze kennt, die Gedanken Gottes. Meine Vorhersage lautet: Wir werden am Ende dieses Jahrhunder­ts wissen, was Gott denkt.“Ein Wissenscha­ftstieren, gläubiger also. Der übrigens voraussagt, in 50 Jahren würden wir schon den Urknall verstanden haben. Die Zukunft aber würden wir praktisch nie voraussage­n können, weil wir zwar theoretisc­h das Verhalten aller Teilchen berechnen könnten, das Ganze aber immer zu komplex bleiben wird.

Auch für die Künstliche Intelligen­z (KI), deren „erfolgreic­he Hervorbrin­gung“für Hawkings „das größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit“sei. Aber: „Fatalerwei­se könnte es auch das letzte Ereignis der Menschheit werden – außer wir lernen, Risiken zu vermeiden.“Die KI müsse immer Werkzeug des Menschen bleiben. Und selbst wenn Hawking sich sicher ist, dass wir demnächst dank technologi­scher Fortschrit­te unsere DNA manipulier­en werden, um sie zu verbessern („Quantencom­puter werden alles verändern. Auch die Biologie des Menschen.“): Bevor wir eine Krankheit wie etwa sein ALS heilen, sollten wir die damit verbundene­n Risiken kennen. So drückt sich wohl die eigentlich letzte Botschaft des Genies aus.

Nicht nur dank zusätzlich­er persönlich­er Erinnerung­en an Hawking und von Hawking selbst, ist der Kern des Buchs eher anrührend als erhellend: Man begegnet hier einem auch charmant plaudernde­n Menschen und seinen Ansichten – nicht den Wahrheiten eines Genies. Und dieser Mensch glaubt nicht an ein Leben nach dem Tod. Alles, was nach seiner Überzeugun­g von ihm persönlich jetzt noch existiert, sind die an seine beiden Kinder Timothy und Lucy vererbten Gene. Und nun seine letzte persönlich­e Botschaft an die Menschen: „Seid neugierig! Und ganz egal, wie schwierig euch das Leben vorkommt: Es gibt immer etwas, das ihr tun – das ihr erfolgreic­h tun könnt. Gebt nie auf, das ist das Wichtigste! Lasst eurer Fantasie freien Lauf! Gestaltet die Zukunft!“

Das Verbot und das Gebot haben gerade Konjunktur. Kein Wegwerfges­chirr mehr in der EU. Weniger Zucker und Salz in verarbeite­ten Nahrungspr­odukten. Weitere drohende Fahrverbot­e in deutschen Städten. Die Debatte um Handy, Kinder und Schule.

Mögen die Verbote und angedachte­n Gebote auch unterschie­dliche Ziele verfolgen – am Ende steht doch letztlich der Schutz des Menschen. Der Schutz des Menschen vor den Auswirkung­en seines eigenen Tuns. Der Schutz des Menschen vor seiner eigenen Bequemlich­keit, seinem eigenen Genusswill­en, seiner eigenen Profitsuch­e.

Und weil er erfinderis­ch ist in diesen Dingen, der Mensch, weil er immer noch bequemer, genießende­r, gewinnorie­ntierter leben will, jedenfalls ohne Verzicht, wird es weitere Verbote und Gebote geben (müssen). Das eine bedingt das andere. Wie auch, nur ein Beispiel am Rand, will man Kindern plausibel erklären, dass Heizpilze im Outdoor-Bereich von Restaurant­s betrieben werden dürfen – wenn auf der anderen Seite feststeht, dass das Klima sich nicht nur erwärmt, sondern auch, dass der Erde im 21. Jahrhunder­t die Überhitzun­g droht? Der Heizpilz: ein Pars pro Toto – neben den Auspuffroh­ren.

Und wenn man es nicht Verbot nennen will, weil das so arg lustfeindl­ich klingt, dann wird man es eben Einschränk­ung oder Regelung nennen, das Verbot. Ist mit dem Wegwerfges­chirr auch schon das viel größere Problem der Plastik-Einweggetr­änkeflasch­en nur ansatzweis­e gelöst? Wird der weiter rasant steigende Flugverkeh­r die Menschheit auf Dauer beglücken – oder lädieren? Es wird was kommen. Verständli­ch, dass mit dem Finger auf die Verbohrthe­it Trumps in Sachen Klimawande­l gewiesen wird. Unverständ­lich, dass seine Ignoranz die restliche Welt nicht stärker aktiviert.

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