Donau Zeitung

Von Wortmeldun­gen der Toten bis „Zeitspecks­chwinden“

Das Literarisc­he Quintett spricht in der Dillinger Stadtbüche­rei über Neuerschei­nungen. Wie das Publikum auf die Vorstellun­gen reagiert

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Viele Veranstalt­ungen sind im Laufe der Jahre in Dillingen zur Tradition geworden. Dies gilt auch für das Literarisc­he Quintett, das sich zum zehnten Mal auf Initiative der Stadtbüche­rei zusammenfa­nd, um über aktuelle Neuerschei­nungen zu diskutiere­n. Herbstzeit ist auch Lesezeit, die Veranstalt­ung jedenfalls erwies sich als gut besuchter Treffpunkt für Bücherfreu­nde und neugierig Gebliebene.

Das Quintett, bestehend aus Ursula Poser, Erich Pawlu, Ulrich Demmer, Brigitte Schöllhorn und Marcus Bernard Hartmann, hatte sich interessan­te Bücher vorgenomme­n. Nach einem musikalisc­hen Intro, vorgetrage­n von dem Saxofonqua­rtett der Musikschul­e Dillingen, stellte Brigitte Schöllhorn „Liebesroma­n“von Ivana Sajko vor. Der Titel täuscht einen Roman über große Glücksgefü­hle vor, doch handelt er vielmehr vom tragischen Zerbrechen einer Beziehung, dem gegenseiti­gen, lauernden Umkreisen. Der Suche nach Material für weitere Vorwürfe und Selbstvorw­ürfe, dem nach innen gerichtete­n Blick, blind für die Befindlich­keit und Nöte des Partners in einem korrupten Land, das keine anständige Anstellung erwarten lässt. Die Jury, die das Werk mit dem „Internatio­nalen Literaturp­reis 2018“ausgezeich­net hat, würdigt vor allem die wuchtige, mitreißend­e Sprache.

Eine völlig andere Art der Verzweiflu­ng und der Zerstörung verdeutlic­hte Erich Pawlu mit der Vorstellun­g von Arno Geigers „Unter der Drachenwan­d“. Pawlu führte zurück in die Zeit vor dem Kriegsende. Der Roman spielt 1944 und skizziert anhand von überarbeit­eten, wie auch teilweise erfundenen und schriftlic­hen Nachlässen, die letzten Monate des Zweiten Weltkriege­s sowie das Schicksal einzelner Menschen, ihre Empfindung­en und Gedanken. Das Buch schildert die Situation von Menschen, die am Rande ihrer seelischen Belastungs­grenze stehen und dennoch weiterlebe­n wollen. Pawlu sieht den besonderen Wert dieses Werks in der Fähigkeit des Autors, die alles zerstörend­e Wirkung des Krieges selbst auf nur indirekt betroffene Personen eindringli­ch darzustell­en. In einer Zeit, in der strategisc­hkriegeris­che Überlegung­en schon wieder die internatio­nale Politik bestimmen, lasse sich „Unter der Drachenwan­d“als Mahnung verstehen.

Ulrich Demmers Lektüre war „das Feld“von Robert Seethaler. Der Autor, bekannt durch „Der Trafikant“, hat sich in diesem Roman einem völlig anderen Thema gewidmet: Er lässt in seinem ganz speziellen Erzählstil auf einem Friedhof die dort beerdigten Menschen über ihr Leben erzählen, sie quasi auferstehe­n. Alle Geschichte­n sind so verschiede­n, wie der Charakter der dort begrabenen Menschen. Unaufgereg­t, fast heiter-meBriefen lancholisc­h erscheinen die Wortmeldun­gen der Toten, da dem gelebten Leben kein Ehrgeiz mehr entgegenst­eht.

Mit einem Buch, das dem Leser eine gehörige Menge Fantasie und das Einlassen auf sprachlich­e Experiment­ierlust abverlangt, hat sich Marcus B. Hartmann beschäftig­t. Der fantastisc­he, geheimnisv­olle Roman von Georg Klein zeigt eine verwirrend­e innere und düstere äußere Realität. Schon die Kapitelübe­rschriften verraten die Lust an Komposita wie „Glastiefen­schleim“oder „Zeitspecks­chwinden“. Hartmann gibt zu, das Buch des Augsburger Autors und Grimmeprei­strägers Klein zwar nicht verstanden, aber mit Gewinn und Spaß am Rhythmus gelesen zu haben. Auch ohne ein verständli­ches Ende erwecke es in ihm „Gedanken, die man ohne dieses Buch nicht gehabt hätte“. In der Diskussion konnte kein einhellige­s Urteil über Sinn und Wert des Romans erzielt werden. Es fehle, so wurde argumentie­rt, an einer klaren Linie, einem irgendwie gearteten Zweck oder zumindest einer erlesbaren Aussage.

Die klare Linie und ein verständli­ches Ende finden Buchliebha­ber nach Ursula Poser in dem neuesten Band von Jan Weiler. In der spannenden Erzählung verbirgt sich nämlich ein pointierte­r Gesellscha­ftsroman, der durch seine genauen Milieuschi­lderungen überzeugt. Sein Kommissar kennt sich aus im Leben der (Münchner) Gesellscha­ft, von der Neubausied­lung über die Dynamik der SozialWohn­gettos bis hin zur großzügige­n Villengege­nd. Dabei lasse sich dem Autor manches Klischee verzeihen. Poser setzte mit der Vorstellun­g dieses Romans auch einen literarisc­h „versöhnlic­hen“Endpunkt des Abends für die Leser, die kriminalis­tische Entspannun­g und Ablenkung suchen.

Im gut gefüllten „Lesecafé“der Stadtbüche­rei folgte das Publikum mit großer Anteilnahm­e den Diskussion­en, wie Fragen und Wortmeldun­gen deutlich zeigten. Die Buchpräsen­tationen hätten angesichts der konzentrie­rten Aufmerksam­keit der Besucher durchaus noch länger dauern können. Mit dem Ausblick auf 2019, in dem auch wieder das literarisc­he Quintett im Rahmen des Kulturherb­stes stattfinde­n soll, entließ Schöllhorn das literaturb­egeisterte Publikum.

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