Und wenn sie geht
Es ist ein denkwürdiger Auftritt. Angela Merkel erklärt, warum sie nicht mehr Parteichefin sein will. Eine freie Entscheidung? Von einem möglichen Nachfolger gedrängt? Ein anderer mit Ambitionen steht oben auf dem Balkon und schaut in aller Ruhe zu
Die Miene von Angela Merkel verrät: nichts. Scheinbar ungerührt und völlig ruhig tritt sie ans Rednerpult im Berliner Konrad-AdenauerHaus. Sie trägt einen fuchsiafarbenen Blazer und eine dezente Silberkette. Alles sieht exakt so aus wie bei unzähligen Presseerklärungen in ihren 18 Jahren als Parteivorsitzende und 13 Jahren als Bundeskanzlerin. Doch es ist kein normaler Termin für die 64-Jährige an diesem Montagmittag in der Parteizentrale, in der es noch ganz leicht nach Bier, Parfüm, Schweiß und Enttäuschung riecht. Am Abend zuvor haben hier die Gäste einer traurigen Wahlparty die Nachrichten vom bitteren Abschneiden der CDU in Hessen verfolgt. Jetzt will die Parteivorsitzende über die Folgen reden, die für die Christdemokraten einen tiefen Einschnitt bedeuten – und das schrittweise Ende der Ära Merkel.
„Überaus enttäuschend und bitter“nennt Merkel die Zahlen aus Hessen. Die zweistelligen Verluste der dortigen CDU hätten nicht an der Arbeit von Ministerpräsident Volker Bouffier, der neben ihr steht, und der schwarz-grünen Landesregierung gelegen, sagt sie. Und auch den Wählern wolle sie keine Schuld geben. Das CDU-Wahlergebnis von Hessen habe, ebenso wie das schlechte Abschneiden der CSU in Bayern zwei Wochen zuvor, seine Ursachen in Berlin. „Das Bild, das die Bundesregierung abgibt, ist inakzeptabel“, sagt sie. Jetzt sei die Zeit, innezuhalten, es verbiete sich, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Sie als Kanzlerin trage die Verantwortung für das Gelungene ebenso wie für das Misslungene.
Und dann erläutert Merkel, was sie zuvor bereits der Parteispitze verkündet hat. Auf dem Parteitag Anfang Dezember in Hamburg tritt sie nicht mehr als Vorsitzende an. Für den Rest der Legislaturperiode, die bis 2021 dauert, stehe sie als Kanzlerin weiter zur Verfügung. Danach werde sie nicht mehr antreten, auch nicht im Falle möglicher Neuwahlen. Für ein Bundestagsmandat werde sie ebenfalls nicht mehr kandidieren. Und auch weitere politische Ämter strebe sie nicht an, sagt sie, und erteilt damit Spekulationen über jedwede Spitzenämter, etwa in der Europäischen Union, eine Absage.
Merkel wird dann doch persönlich. Ihre Ämter in Würde zu tragen und ebenso zu beenden, das habe sie sich immer gewünscht, sagt sie. Ihr Verständnis der Aufgabe von Staatsdienern sei es, „so zu arbeiten, dass es die Menschen nicht abstößt“. Dieser Satz und die Aussage, sie habe bereits vor dem Beginn der parlamentarischen Sommerpause ihre Entscheidung getroffen, kann durchaus als Schuldzuweisung an Horst Seehofer verstanden werden. Denn im Sommer hatte sich der Innenminister und CSU-Chef mit Merkel einen erbitterten Streit geliefert, der sich mal wieder um die Flüchtlingspolitik drehte. Tagelang stand die Union aus CDU und CSU auf Messers Schneide. Als Merkel gefragt wird, ob sie wegen des Streits mit der CSU aufhört, gerät ihr Nein zwar auffällig laut. Doch ihr sei es um etwas anderes gegangen, darum, Freiräume für die CDU zu schaffen. „Natürlich habe ich mir gedacht, dass es ohne Streit geht“, sagt sie. Doch Horst Seehofer auch noch den Triumph zu gönnen, für Merkels Abgang auf Raten verantwortlich zu sein, das will sie ganz offensichtlich nicht. Und in der CDU heißt es später, dass mit ihrer Ankündigung, den Parteivorsitz abzugeben, auch der Druck auf Horst Seehofer steigen dürfte, sich seinerseits von der CSU-Spitze zurückzuziehen.
Einer, der bereits angekündigt hat, für die Nachfolge Merkels an der Parteispitze zu kandidieren, lehnt über dem Geländer im ersten Stock der Parteizentrale und verfolgt den Auftritt Merkels vor der Presse. Jens Spahn, der Bundesgesundheitsminister, Hoffnung der Konservativen in der Partei, zeigt keine Gefühlsregung. Einige junge Männer, die neben Spahn stehen, wirken dagegen, als hätten sie gerade von einem Lottogewinn erfahren.
Im Atrium muss Merkel erklären, wie ihre Entscheidung mit ihrer oft geäußerten Überzeugung zusammengeht, dass die Ämter als Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende untrennbar zusammengehörten. „Ja, das ist richtig, damit weiche ich von meiner Überzeugung ab.“Eine Volte, die typisch ist für Merkel: Was gestern noch in Stein gemeißelt schien, gilt heute eben nicht mehr.
Noch vor kurzem hatte sie sich bei einer Veranstaltung unserer Zeitung in Augsburg so geäußert: „Ich habe gesagt, ich stehe für diese Legislaturperiode zur Verfügung und ich habe meine Meinung bezüglich der Verbindung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft nicht geändert.“Ein kleiner Spielraum sei bei dieser Aussage schon noch enthalten gewesen, sagt sie nun.
Mehrfach bekräftigt Merkel, dass sie ihre Entscheidung, nicht mehr für den Parteivorsitz anzutreten, bereits zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause getroffen habe, die in diesem Jahr auf den 6. Juli fiel. Nur den Zeitpunkt, diese Entscheidung zu verkünden, habe sie vorgezogen – um eine Woche.
Will heißen: Eigentlich wollte sie die Bombe erst am kommenden Sonntag platzen lassen, wenn sich der CDU-Vorstand zu einer bereits seit längerem geplanten Klausurtagung trifft. Fast vier Monate lang stand für Merkel demnach bereits fest, dass sie aufhört. Und sie betont, dass nicht einmal ihre enge Vertraute, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, in die Entscheidung eingeweiht war. Merkel: „Es gibt Entscheidungen, von denen glaube ich, hilft man niemandem, wenn man es zu vielen Menschen vorher sagt. Das gehört dazu.“Kramp-Karrenbauer hat ebenfalls ihren Hut in den Ring geworfen für die Merkel-Nachfolge an der Parteispitze.
Dass die Partei ihrer Chefin Angela Merkel nicht mehr bedingungslos folgt, hatte sich schon bei der Abwahl ihres engen Vertrauten Volker Kauder als Unions-Fraktionschef gezeigt. Die Abgeordneten wählten stattdessen Ralph Brinkhaus. Und dass in den konservativen und wirtschaftsliberalen Kreisen der Partei der Unmut über Merkel seit dem Flüchtlingsherbst 2015 immer weiter wächst, mit jeder Wahlniederlage neu befeuert wird, ist kein Geheimnis. Schon seit Wochen war im Merkel-Lager erwartet worden, dass diese Ecke der Partei einen Gegenkandidaten für den Parteivorsitz präsentieren würde. Einen, der weit mehr politisches Gewicht auf die Waage bringen würde als die drei Kandidaten, die bislang bekannt sind.
Seit Tagen verdichten sich bereits die Hinweise, dass Friedrich Merz dieser Kandidat sein würde. Ausgerechnet der Mann, den Merkel 2002 als Fraktionschef verdrängt hatte. Ein Strippenzieher aus dem konservativen Parteiflügel sagt, dass Friedrich Merz als einer, der in der Zeit der Flüchtlingskrise ab 2015 keine aktive politische Rolle gespielt hat, der richtige Mann für einen Neuanfang sei. Merz sei „konservativ, aber nicht rechts, er kann einen Teil der Wähler zurückholen, die zur AfD abgewandert sind“. Eine Kurskorrektur, so der Abgeordnete, sei dringend nötig, weil Merkel die CDU auch in sozialen und wirtschaftlichen Fragen zu weit nach links gerückt, die Partei immer weiter „sozialdemokratisiert“habe.
Die Bundeskanzlerin, der für gewöhnlich nichts in der Partei entgeht, dürfte längst gewusst haben, dass Merz eine Kandidatur in Erwägung zieht. Und dass dies wohl am Tag nach der Hessen-Wahl geschehen würde, lag nahe. Doch hat dieser Umstand dann ihre Entscheidung beeinflusst, selbst nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren?