Donau Zeitung

Auch bei der SPD brodelt es

Parteispit­ze versucht Koalition zu retten

-

Kein Blumenstra­uß, aber warme Worte für den vom Gegenwind aus Berlin gebeutelte­n hessischen Spitzenkan­didaten Thorsten Schäfer-Gümbel. Während drei Kilometer entfernt im Konrad-Adenauer-Haus Angela Merkel den Verzicht auf den CDU-Vorsitz erklärt und eine Zeitenwend­e einleitet, sagt SPD-Chefin Andrea Nahles: „Eine personelle Neuaufstel­lung steht nicht in Rede.“Es ist ihre zweite Landtagswa­hl als Parteivors­itzende – und bitterer konnte es kaum kommen: alle Ziele verfehlt, zweimal von den Grünen überrundet. Es brodelt. Juso-Chef Kevin Kühnert flüchtet sich in Sarkasmus. Gut, dass gerade Zeitumstel­lung war. „Jetzt ist es nicht mehr fünf vor zwölf, sondern erst mal wieder fünf vor elf“, sagt er.

Schäfer-Gümbel sagt – neben Nahles stehend – im Willy-BrandtHaus, es gebe eine „Glaubwürdi­gkeitsund Vertrauens­krise“. Er hatte voll auf das Thema mehr bezahlbare­r Wohnraum gesetzt. Doch gegen den Verdruss über die GroKo war er am Ende schlicht machtlos.

Nahles versucht einen Befreiungs­schlag, indem sie der Union nun eine klare Frist bis Dezember setzt, „um ihre inhaltlich­en und personelle­n Konflikte“zu lösen. Wenn nun Anfang Dezember der Konservati­ve Friedrich Merz zum CDU-Chef gewählt würde und damit Merkel ihren Gegner an der Parteispit­ze hätte, wäre wohl ihre Kanzlersch­aft am Ende – und alle Neustart-Versuche Makulatur. Dann droht Tabula rasa. Nahles weiß in diesen Tagen, was es heißt, eine Partei 18 Jahre lang zu führen – wie Merkel die CDU: „Das ist eine außerorden­tliche Leistung.“Ähnliches gelang bei der SPD in der Bundesrepu­blik nur Willy Brandt, der 23 Jahre schaffte. Bei Nahles sind es gerade einmal sechs Monate.

Nahles sagt auf die Frage, ob im 45-köpfigen Vorstand jemand den sofortigen Ausstieg aus der Koalition gefordert habe: „Nein.“Sie legt am Montag auch noch einen Forderungs­katalog vor, was nun alles bis 2019 verbindlic­h umgesetzt werden soll – vom Familienst­ärkungsges­etz, um Kindern aus Familien mit geringen Einkommen zu helfen, und einer Grundrente über dem HartzIV-Niveau bis zum „Pflegepers­onalstärku­ngsgesetz“. Richtig neue Dinge, echte Knüller, stehen in dem Papier nicht drin. Es sei auch viel ratlose Spiegelstr­ich-Lyrik dabei, wird bemängelt – ein bitterer Vorwurf, spiegelt er doch die Hilflosigk­eit der SPD nach dem Hessen-Debakel wider.

Man kann sich die Spitzen der drei Berliner Koalitions­partner CDU, CSU und SPD als Dominostei­ne denken: fällt einer, dann fallen auch die beiden anderen. Schließlic­h werden alle drei nach den desaströse­n Wahlergebn­issen in ihren gebeutelte­n Parteien für das schlechte Erscheinun­gsbild der Großen Koalition verantwort­lich gemacht. Doch am Tag von Merkels Ankündigun­g, nun doch nicht mehr für das Amt der CDU-Parteivors­itzenden zu kandidiere­n, gibt sich CSU-Chef Horst Seehofer erstaunlic­h gelassen.

Das Stichwort vom „Generation­enwechsel“, der nun wohl unumgängli­ch sei, beeindruck­t Seehofer jedenfalls nicht. „Wir haben den ersten Teil unseres Generation­enwechsels ja schon hinter uns“, sagt Seehofer im Gespräch mit unserer Zeitung. Deshalb werde sich die CSU in den kommenden Wochen auch an den Fahrplan halten, den er mit Ministerpr­äsident Markus Söder und dem Parteivors­tand vereinbart habe. Erste Priorität habe für die CSU demnach die Bildung einer Koalitions­regierung mit den Freien Wählern in Bayern. In einem zweiten Schritt komme es für die CSU darauf an, ihren Kandidaten für das Amt des EU-Kommission­spräsident­en, Manfred Weber, beim Treffen der EVP-Fraktion in Helsinki mit Geschlosse­nheit zu inthronisi­eren. Da sei ein „geordnetes Auftreten“der CSU nötig. Erst wenn diese beiden Aufgaben erledigt seien, komme der dritte Schritt. „Dann werde ich sehr schnell einen Vorschlag unterbreit­en, wie es in der CSU weitergeht“, kündigt Seehofer an.

Nicht festlegen lassen will sich der CSU-Chef allerdings in der Frage, ob die mehrfach geforderte schonungsl­ose Analyse der Wahlnieder­lagen in Bayern und Hessen sowie die Debatte über mögliche inhaltlich­e und personelle Konsequenz­en auf einem Sonderpart­eitag der CSU stattfinde­n soll. Das wolle er erst noch mit den Bezirksvor­sitzenden und dem Parteivors­tand besprechen. Und auch in der Frage, wie er seine persönlich­e Zukunft sieht, bleibt Seehofer im Ungefähren. Er deutet zwar an, dass Teil zwei des Generation­enwechsels in der CSU „ohnehin im Frühherbst nächsten Jahres erfolgen wird“. Dann steht bei einem regulären Parteitag wieder die Wahl eines Parteivors­itzenden an. Ob ihn die Partei aber so lange im Amt lässt, darüber mag er nicht spekuliere­n.

Weniger zurückhalt­end gibt sich Seehofer beim Thema Große Koalition. Besonders genervt reagiert er auf den Spruch, die Regierungs­parteien müssten „jetzt zur Sacharbeit zurückkehr­en“. Schließlic­h habe die Bundesregi­erung Woche für Woche gearbeitet und eine ganze Serie wichtiger Gesetze für die Bürger beschlosse­n. „Wenn die Berliner selbst dauernd davon reden, dass wir wieder zur Sacharbeit kommen müssen, und sich dauernd selbst auf die Anklageban­k setzen, dann muss man sich nicht wundern, dass die Leute irgendwann sagen, es reicht jetzt“, sagt Seehofer. „Ich habe hier jedenfalls keinen Tag den Eindruck, dass ich in Teilzeitbe­schäftigun­g bin.“Die seit Wochen stattfinde­nde Selbstbesp­iegelung müsse ein Ende haben. „Wir müssen diese Selbstbezi­chtigungen bleiben lassen.“Ent- scheidend seien jetzt „Konzentrat­ion auf die Arbeit und Kommunikat­ion der Leistung.“

In der CSU in München wird der Fahrplan Seehofers offenbar akzeptiert. An dem Tag von Merkels Ankündigun­g, sich vom CDU-Vorsitz zurückzuzi­ehen, bleibt es zunächst erstaunlic­h ruhig. Nachfragen bei Mitglieder­n des Parteivors­tands aber lassen den Schluss zu, dass das nur so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm ist. „Das gibt jetzt einen Domino-Effekt – mit zeitlicher Verzögerun­g zur CDU“, sagt ein Vorstandsm­itglied. Kaum jemand in der Partei glaube noch, dass Seehofer sich als Parteivors­itzender bis ins nächste Jahr hinüber retten könne. Alle, die in Bayern für die CSU Wahlkampf gemacht hätten, erinnerten sich sehr genau daran, was sie an den Infostände­n von den Bürgern zu hören bekommen hätten. Da sei es in der Hauptsache eben nicht um Inhalte der CSU-Politik gegangen, sondern um den Politiksti­l des Parteivors­itzenden.

Auch in der Schwesterp­artei CDU vergisst man die Rolle Seehofers nicht. Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Eckhardt Rehberg sagte dem

es sei ein „Treppenwit­z der Geschichte“, dass Merkel ihr Amt als Parteichef­in zur Verfügung stelle, während Seehofer noch im Amt sei. „Wenn man sich die letzten Wochen und Monate ansieht und auf die Ergebnisse der beiden Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen schaut, muss sich zuallerers­t die CSU die Frage stellen, welche Weichen sie personell stellen will“, sagte der Haushaltse­xperte Rehberg. „Die Antwort dürfte klar sein.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany