Klärschlamm in Kicklingen sorgt für Diskussion
Das Abfallprodukt wird auf hiesigen Äckern ausgebracht. Im Dillinger Ortsteil passt das nicht jedem
Das Abfallprodukt wird auf unseren Äckern ausgebracht. In Kicklingen gefällt das nicht allen Bürgern. Warum?
Hans Urmann stinkt’s. Im übertragenen Sinne – und ganz wörtlich. Der Rentner wohnt mitten in Kicklingen, der Garten ein Biotop, Einfamilienhäuser in der Nachbarschaft. Doch wenn der Wind aus einer bestimmten Richtung kommt, hält Urmann es draußen kaum mehr aus. Auf einem Acker der Gemeinde wurde Klärschlamm ausgebracht. Selbst nach Wochen liegt sein Dunst an manchen Tagen über Kicklingen. Urmann hat Proben genommen. In einer Plastiktüte lagert er dunkle, trockene Erdbrocken. Der Geruch, der aus der Tüte strömt, erinnert an Dixie-Klos auf Festivals und Baustellen, garniert mit zu viel WCDuftspray. Klärschlamm wird mit vielen negativen Folgen in Verbindung gebracht. „Ich fürchte, bei Starkregen spült es die ganzen Schwermetalle durch den Sandboden direkt ins Grundwasser“, sagt Urmann. Es sei ein Berg Klärschlamm gewesen, der ausgebracht wurde. „Warum bringt man den Schlamm nicht dort aus, wo er niemanden belästigt?“
Im Landkreis Dillingen sind 2018 bisher 467 Lieferscheine für Klärschlamm ausgestellt worden, sagt Dr. Dieter Tronecker, Ansprechpartner beim bifa Umweltinstitut und dem Bayerischen Klärschlammnetz. Dabei seien 1025 Tonnen Trockenschlamm ausge- bracht worden. Der Schlamm sei besonders wegen seines PhosphatGehalts eine wichtige Ergänzung zu anderen Düngemitteln; insbesondere weil aus dem Tagebau gewonnenes Phosphat zunehmend mit Uran und Cadmium belastet sei. „Klärschlamm ist der am stärksten kontrollierte Dünger, der zur Nährstoffversorgung landwirtschaftlicher Kulturpflanzen genutzt wird“, erklärt Tronecker. Er durchlaufe mehrere Prüfinstanzen, da es neben seinen Vorteilen, wie einem hohen Nährstoffgehalt, zu einer Schadstoffanreicherung im Boden aufgrund verunreinigten Klärschlamms kommen könne. Seit einigen Jahren geht der Trend der Klärschlammverwertung weg von der Landwirtschaft hin zur thermischen Behandlung in Braunkohlekraftwerken oder Abfallverbrennungsanlagen. Ursächlich dafür sind laut Tronecker verschärfte Bestimmungen im Düngerecht und ein ausgeweitetes Untersuchungsspektrum des Schlamms. Alternativen zum Klärschlamm sind vor allem Mineraldünger oder Wirtschaftsdünger wie Gülle. In der ökologischen Landwirtschaft sei der Einsatz von Klärschlamm bisher nicht erlaubt – gebe es in den Verbänden interne Diskussionen, wie mit dem Klärschlammrecycling umzugehen ist, sagt Tronecker. Im Übrigen schwinden seinen Worten zufolge die Phosphorgehalte auf Äckern ökologischer Betriebe zunehmend.
Er könne die Anwohner verstehen, die sich durch den Geruch belästigt fühlen, erklärt Robert Knittel vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Wertingen. Aber der Klärschlamm falle nun einmal an. Heutzutage verlangen viele Vermarkter zunehmend Produkte frei von Klärschlamm, daher werde er weniger verwendet. Ehe der Dünger ausgebracht werden kann, müssen sowohl er als auch der Boden untersucht werden. Danach richtet sich, ob und wie viel aufgetragen werden darf. Und nach der Ernte dürfe in vielen Fällen nichts mehr ausgebracht werden, mit Ausnahme von Winterraps und anderen Zwischenfrüchten, erläutert Knittel. Ein Landwirt verdiene an der Ausbringung nicht immer.
Klärschlamm lasse sich nicht grundsätzlich vermeiden, erklärt Josef Schrallhammer vom Bund Naturschutz. Das gelte allerdings auch für die Rückstände von Schwermetallen und klinischen Abfällen im Schlamm. Es können chemische Verbindungen entstehen, die kritische Prozesse im Boden auslösen. „Für die Natur ist es bedenklich, den Schlamm aufzutragen“, sagt Schrallhammer. Warum machen es die Landwirte dann? Weil es für viele Landwirte noch immer lukrativ sei, sagt der Naturschutzexperte. Dabei unterstütze der Bund Naturschutz sogar den Einsatz von Klärschlamm – wenn er ausreichend kontrolliert werde. Das Problem im Landkreis sei: Oft gibt es Verstöße gegen die Auflagen. Eine Firma aus dem Oberbayerischen habe Abstände zu Wasserschutzgebieten nicht eingehalten oder Dünger auf erosionsgefährdeten Flächen ausgebracht, sagt Schrallhammer. Und in diesem Hitzesommer sei das Düngen mit Klärschlamm generell fragwürdig gewesen, da die Pflanzen nicht in der Lage seien, die Nährstoffe aufzunehmen. Im Fall des Feldes in Kicklingen sieht der Experte aber kein Problem. „In der Nähe befinden sich weder Wald noch aquatische Kulturen“, sagt Schrallhammer. Der Boden sei in der Region keinesfalls so durchlässig zum Grundwasser, wie mancher vermutet. „Natürlich, es stinkt“, sagt ein Sprecher der oberbayerischen Firma, die sich unter anderem auf den Transport von Klärschlamm spezialisiert hat. Der größte Teil des Schlamms, der auf Feldern im Landkreis ausgebracht wird, stamallerdings me aus schwäbischen und oberbayerischen Anlagen. Der Dünger sei nicht mehr besonders lukrativ für die Landwirte, die Bezahlung werde weniger. „Jeder Mensch hat seinen Anteil an der Entstehung von Klärschlamm, und dann will ihn niemand haben“, sagt der Sprecher.
Das sieht der Bauer, um dessen Feld es geht, genauso. Er möchte anonym bleiben. „Ohne Klärschlamm lässt sich die Nachfrage von Industrie und Verbrauchern gar nicht befriedigen“, sagt der Landwirt. Der Schlamm habe einen klaren Mehrwert für den Boden. Und auf seinem Feld sei die Geruchsbelästigung so gut es geht vermieden worden, indem der ausgebrachte Schlamm direkt eingearbeitet worden sei. Dort arbeiten nun Bakterien, wie im Kompost, und generieren Nährstoffe für das kommende Jahr.
Die angebauten Pflanzen auf dem Feld wechseln von Jahr zu Jahr, er nutze den Klärschlamm nur selten, sagt der Bauer. Dabei sei der Stoff vollkommen legal, hunderte Bauern nutzten ihn. Laut dem Landwirt garantieren die strengen Kontrollen der Behörden einen ungefährlichen Dünger. „Für mich ist das Rückführen in den Kreislauf der Natur ökologischer als das Verbrennen“, sagt er. Manche Leute, so vermutet er, hätten ein Problem damit, dass Landwirte mit Klärschlamm Geld verdienen.
Bringt ein Landwirt Klärschlamm auf seinen Feldern aus, erhitzt das regelmäßig die Gemüter. Bauern erhalten für das Ausbringen des Düngers nicht immer Geld, und immer mehr Nahrungsmittelproduzenten setzen auf klärschlammfreie Lebensmittel. Ein Fluten der Felder mit Klärschlamm ist nicht zu fürchten. Neben dem Gestank stört viele die mögliche Belastung des Grundwassers und der Feldfrüchte. Sicher, die Gefahr besteht. Doch es gibt im Landkreis, wie in ganz Bayern, ein strenges System der Vorabkontrolle, welches funktionieren sollte. Zwar erheben Naturschützer Vorwürfe, die Ämter würden den Klärschlamm nicht streng genug kontrollieren, Fakt ist aber: Behörden halten sich an die gesetzlichen Untersuchungen. Und in der Regel stellt der Klärschlamm, wie in Kicklingen, keine direkte Bedrohung der lokalen Grundwasservorräte dar.
In Einzelfällen kann es aber zu gefährlichen chemischen Reaktionen im Boden kommen. Klärschlamm ist ein Abfallprodukt unseres Lebensstils, er lässt sich kaum vermeiden. Weil Verbraucher Plastik und Chemie im Übermaß nutzen, kann der Schlamm verunreinigt sein. Die verschärfte Düngemittelverordnung von 2017 soll helfen, Schäden für Mensch und Natur abzuwenden. Da Phosphat und andere Inhaltsstoffe des Schlamms dringend in unserer Turbolandwirtschaft gebraucht werden – ohne ihn sind die günstigen Preise und hohen Ernteerträge für unsere Lebensmittel kaum zu erzielen – und der Phosphatabbau mit massiven Umweltschäden in Florida und Marokko sowie einem teils schadstoffbelasteten Produkt einhergeht, muss man das Aufbringen von Klärschlamm akzeptieren. Trotz des Geruchs, trotz der potenziellen Gefahren durch Bodenund Grundwasserverseuchung. Abhilfe schaffen würde nur ein anderer Lebensstil: Deutlich weniger tierische Lebensmittel und Plastikmüll und die Bereitschaft, dem Landwirt höhere Preise für seine Produkte zu zahlen.