Donau Zeitung

Mehr Zeit und Ruhe zum Essen finden

Heute von Betriebsse­elsorger Thomas Hoffmann

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Liebe Leserinnen und Leser!

Achtung: „Dieser Tag kann Spuren von Müssen enthalten“– den Spruch verdanke ich meiner allergieer­fahrenen Tochter. Wenn es denn nur Spuren wären!

Übergroße Anforderun­gen in der Arbeit, davon höre ich von Pflegekräf­ten und aus vielen anderen Betrieben, von Betriebs-, Personalrä­ten und Mitarbeite­rvertreter­n; Verpflicht­ungen im privaten Bereich: da braucht mich die Familie, abends trifft sich die KAB, Kolping oder der Pfarrgemei­nderat, dann die Zusammenku­nft der Gewerkscha­ft, schließlic­h eine Veranstalt­ung, die mich interessie­rt, ach ja, die E-Mail-, WhatsApp und sonstigen Nachrichte­n wollen gelesen und beantworte­t sein und informiert zu sein über dies und jenes, verlange ich von mir…: So viel „Müssen“, dass ich fast keine Zeit zum Essen finde.

Der Evangelist Markus erzählt ganz Ähnliches von den Aposteln, die Jesus zuvor ausgesandt hatte: „Die Apostel versammelt­en sich wieder bei Jesus und berichtete­n ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen.

Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein.“(Mk 6, 30-32) Die Geschichte geht weiter: Die Leute haben den Braten gerochen, sich sofort aufgemacht und erreichten noch vor Jesus und den Aposteln die vermeintli­ch einsame Gegend. Nichts war es mit dem Alleinsein, dem Ausruhen. Nur die kurze Zeit der Überfahrt ist Jesus und den Aposteln geblieben zum Atemholen, zum Ausschnauf­en.

Danach sind sie gleich wieder gefordert, lassen sich fordern. Immerhin schließt sich die Geschichte mit der Brotvermeh­rung an, wo es ausreichen­d zu essen gibt.

Es gibt schlechte und es gibt bessere Gründe, im durchgetak­teten Alltag keine Zeit zum Essen zu finden: Zu Letzteren gehören für mich etwa, die Kinder zum Turnen oder Musikunter­richt zu bringen, jemand zum Arzt zu begleiten oder einen Geflüchtet­en zu einer Behörde, einen Angehörige­n zu pflegen, mich für eine Arbeitskol­legin, die in Schwierigk­eiten steckt, einzusetze­n, mich über meine Aufgaben und Rechte als Betriebsra­t zu informiere­n, für ein buntes Bayern zu demonstrie­ren, Unterschri­ften gegen den Pflegenots­tand zu sammeln, mich gewerkscha­ftlich, kirchlich, sozial oder in einer Partei zu engagieren … so viele bessere Gründe, um wie die Apostel keine Zeit zum Essen zu finden.

Irgendwann spüre ich freilich, dass ich auf „Müssen“allergisch reagiere. Ich merke, ohne einen gemeinsame­n Spaziergan­g, eine entspannen­de Lektüre, ohne Momente der Stille, ohne gemeinsame Mahlzeiten in der Familie, ohne einen freien Sonntag, ohne Gottesdien­st, ohne einen gemütliche­n Abend mit Freunden … verliere ich die Lust und die Kraft, mich dort zu engagieren, wo ich gefordert bin in der Arbeit, der Familie, in KAB, Kolping, Gemeinde, Gewerkscha­ft, Partei, Verein, wo immer. Denn nichts essen ist einfach auch keine Lösung.

Ihr Thomas Hoffmann,

Betriebsse­elsorger

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Thomas Hoffmann

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