Vom Schaffen zum Schlafen?
Zwei Cousins aus Syrien haben im Landkreis Dillingen ihre Ausbildung gemacht, Arbeit gefunden und fühlen sich in Gundelfingen und Wittislingen wohl. Nur eines verstehen sie überhaupt nicht
Gundelfingen/Wertingen Manuela Müller ist stolz. Ghazi Aksar hat die Gesellenprüfung zum Maler geschafft und hat einen Job in Gundelfingen gefunden, spielt dort Fußball und schaut regelmäßig bei Müllers vorbei. 2014 kam Ghazi Askar nach Deutschland und Anfang 2015 nach Gundelfingen. Dort lernte er Erwin Müller kennen, der sich mit anderen Helfern um die Unterkünfte der Flüchtlinge kümmerte. Ghazi Askar ist ein sehr ruhiger Mensch. Aber ehrgeizig. „Erfolg hat drei Buchstaben. Tun“, sagt er. Seit Ende September arbeitet der 28-Jährige bei Gartner Extrusion, es macht ihm Spaß. Seine Leidenschaft aber gehört dem Fußballspiel. Er kickt für die U23, war auch schon im Trainingslager dabei und hofft, dass er nächstes Mal auch wieder mitkann.
Der junge Mann stammt aus Daraa im Süden Syriens. Dort hat er eine große Familie. Auch sein Cousin Basem Askar ist 2014 geflüchtet, landete aber zuerst in Bulgarien, dann in München und schließlich in Wittislingen. Über Facebook fanden die beiden jungen Männer dann heraus, wie nah sie sich plötzlich sind. Jetzt verbringen sie viel Zeit miteinander, so es die Arbeit erlaubt. Basem ist in Wittislingen geblieben. Er sucht zwar seit drei Monaten eine eigene Wohnung, aber weg aus Wittislingen will er nicht. „Da habe ich jetzt Menschen, die ich kenne. In Dillingen und in Lauingen auch, das ist mir wichtig. Überall sonst fängt man ja wieder von Null an. Wir haben hier in fünf Jahren eine zweite Heimat gefunden.“Der 32-Jährige hat in Syrien Archäologie studiert. Jetzt arbeitet er in Wertingen bei der Firma H3S. Dort hat er seine IT-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und ist jetzt einer von fünf Mitarbeitern des Unternehmens. Vor ihm hat die Firma laut Manfred Helmschrott zwei andere Jugendliche ausgebildet. „Wir haben uns für Basem entschieden, weil er uns vom Helferkreis Wittislingen empfohlen wurde. Und nach den ersten Gesprächen erkannten wir seinen Willen und sein Engagement, bei uns zu arbeiten“, sagt Helmschrott. Außerdem sei das Deutsch des Syrers auch schon ganz gut gewesen. „Ohne die Leute vom Helferkreis in Wittislingen hätte ich es nicht geschafft“, sagt Basem Askar dankbar.
Es klingt alles so einfach, doch das war es nicht. Beide Männer litten lange unter der Unsicherheit, ob sie überhaupt in Deutschland bleiben können. Dennoch waren sie fleißig. „Sie haben trotz aller Unsicherheiten Deutsch gelernt, ohne einen Kurs“, erzählt Manuela Müller.
Ihr Mann ergänzt, dass Ghazi bereits ein halbes Jahr nach seiner Ankunft die deutsche Sprache beherrschte. Der junge Syrer liebt Sprichwörter, sie haben ihm beim Lernen geholfen. Auch über das Internet und Kontakt mit Deutschen habe das ganz gut funktioniert. „Ich wollte nicht wie ein Tauber auf einer Hochzeit sein“, sagt Ghazi Askem. Das syrische Sprichwort könnte man mit „außen vor bleiben“übersetzen. Dass er Maler lernte, sei Zufall gewesen. „Ich wollte einfach ar- beiten. Und als ich bei dem Unternehmen ein Praktikum gemacht hatte, durfte ich direkt eine Ausbildung machen. Ich wollte nicht zuhause herumsitzen.“Außerdem sei ihm empfohlen worden, die Ausbildung zu machen, damit er etwas in der Hand hat.
Den Ausbildungsbetrieb hat der 28-Jährige nach dem erfolgreichen Abschluss verlassen. Von der Feier hat ihm Manuela Müller sogar ein kleines Fotobuch gemacht. Das Wiedersehen mit den Schulkameraden sei so schön gewesen, sagt sie. „Wir waren echte Freunde und haben immer noch Kontakt“, ergänzt der 28-Jährige.
Die beiden jungen Männer schätzen die Freiheit, die sie in Deutschland haben, Rechte und Gesetze. Aber ihnen fehlen Bekanntschaften. „Egal ob in Griechenland, der Türkei, oder Syrien, die Menschen sitzen draußen vor dem Haus und unterhalten sich mit den Leuten, die vorbeikommen. Hier hockt man im Garten“, sagt Ghazi Askar. Es ist kein Vorwurf, nur eine Feststellung. In seiner Heimat gibt es mehr Großfamilien, man kennt sich. „Egal, wann ich wo unterwegs war, immer habe ich jemanden getroffen, immer war etwas los“, erinnert sich Basem Askar. Ihm ist schleierhaft, wie die Menschen in Deutschland ihre Freizeit verbringen. „Bei uns geht es halt mehr über Vereine“, erklärt Erwin Müller. Spontane Besuche sind in Deutschland selten, in Syrien kein Problem: Wenn Freunde kommen, und man hat keine Zeit, gehen sie wieder. Wenn man kein Essen im Haus hat, bringen sie etwas mit. Oder es gibt eben nichts. Aber jetzt? „Wenn wir abends nach Hause kommen, was tun wir da?“fragt Basem Askar.
„Vom Schaffen zum Schlafen“, sagt sein Cousin. Früher waren sie gern in der Lauinger Disco Imperio, aber die ist zu. Also gehen sie auf jedes Fest, das Schnellefest sei Pflicht. Dennoch, zurück nach Syrien führt kein Weg, sagen sie, solange dort eine Diktatur herrscht. Ghazi Askar wollte schon weg, bevor sich die Zustände so dramatisch entwickelt hatten. Er wollte nicht zum Militärdienst. „Es war nicht geplant, in Gundelfingen zu landen, aber ich will die nächsten zehn Jahre hierbleiben.“