Nach dem Virus hat Irmi noch Träume
Eine Rieserin wurde 1980 mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert. Damals hatte die Krankheit weder einen Namen, noch gab es Heilungschancen. Die 72-Jährige überlebte Höllenqualen. Heute will sie Betroffenen Mut machen
Ries Irmi Bauerfried* lacht wieder, wischt sich noch währenddessen die nassen Wangen trocken. Der Kaffee tröpfelt langsam durch den Filter in die Kanne, als sie am großen, runden Holztisch von ihrem Schicksal erzählt, dieser Blutransfusion, mit der sich alles änderte. Ohne das fremde Blut wäre sie gestorben. Das haben ihr die Ärzte nach der Entfernung eines riesigen, gutartigen Tumors aus dem Unterleib im Nördlinger Stiftungskrankenhaus in den 80er Jahren gesagt. Doch das ist nicht die eigentliche Geschichte, die sie noch immer so sehr beschäftigt und nach den Vorfällen in Donauwörth wieder präsent ist. Sie hoffte auf schnelle Genesung nach der Tortur, dem enormen Blutverlust. Ihre Geschichte beginnt da, als sie einfach nicht mehr gesund wurde.
Was damals noch niemand wusste: Dieses rettende fremde Blut, das durch ihren Körper floss, war die Ursache für einen Leidensweg, den die Rieserin bis heute bestreiten muss. Mit Höhen und Tiefen, Ängsten und auch Träumen. Hepatitis C hatte in dem Jahr, in dem sie infiziert wurde, noch nicht einmal einen Namen. Irmi Bauerfried wurde nach der Tumor-OP entlassen. Kurze Zeit später schossen jedoch ihre Leberwerte in die Höhe. Sie war 33 Jahre alt, zunächst alleinerziehend, hatte eine kleine Tochter und lag wochenlang im Krankenhaus. „Ich hatte keinen Appetit, hätte Tag und Nacht schlafen können“, erinnert sich die heute 72-Jährige. Auf eine Diagnose musste sie jedoch noch lange warten.
Der Leiter des Donauwörther Gesundheitsamts, Dr. Rainer Mainka, war in Irmis Schicksalsjahren Assistenzarzt in Nürnberg. Damals waren in der Medizin zwar Hepatitis A und B erforscht, und man wusste, dass es noch einen weiteren Erreger geben musste, schildert Mainka. Weil dieser aber nicht einzuordnen gewesen sei, hätten die Ärzte eine Virushepatitis, die weder durch Anoch durch B-Viren ausgelöst wurde, als Non-A/Non-B-Hepatitis bezeichnet. Erst neun Jahre später wurde das Hepatitis-C-Virus identifiziert. Das größte Problem sei damals gewesen, sagt Mainka, dass es keinerlei Behandlungsmöglichkeiten gegeben habe: „Man hat viel über die Ernährung gemacht, Vitamine oder Mineralien verabreicht, um bei der Selbstheilung zu helfen.“Zu den nur 30 Prozent, bei denen die Erkrankung ausheilte, gehörte auch Irmi Bauerfried.
Nach vielen Untersuchungen attestierten die Ärzte auch ihr die Non-A/Non-B-Hepatitis. Sie erzählt von dem Mädchen, mit dem sie ein Zimmer teilte, und an Hepatitis B erkrankt war. Die Ärzte rieten beiden Frauen, nicht an die Sonne zu gehen. Trotzdem saßen sie gemeinsam auf einem Balkon, streckten lediglich die Beine in die Sonne. Irmi Bauerfried erzählt weiter, wie ihr das Blut am Schienbein herunterlief.
Mit einer Leberpunktion während der Reha soll schließlich festgestellt worden sein, dass das Virus über die Transfusion übertragen worden ist. Ärzte verschrieben der Rieserin Tabletten, es gab Schonkost. „Ich war froh, dass ich noch gelebt habe“, sagt sie heute.
Auf ihrem Weg zurück in ein geregeltes Leben musste Irmi viel verkraften. Sie wollte arbeiten, doch die Anstrengung ließ ihre Leberwerte wieder in die Höhe schnellen. Ein Rückschlag für jemanden, der das Wohl der anderen stets über sein eigenes gestellt hat und glücklich war, sobald es die anderen waren. Sie führte bereits als ältestes von zwölf Kindern einen großen Haushalt. „Man hat mich halt gebraucht“, sagt Irmi. Mit Mitte 30 rieten ihr Ärzte aus gesundheitlichen Gründen ab, weiter zu arbeiten. Sie musste in Rente gehen.
Das Hepatitis-C-Virus wurde Ende der 80er Jahre erforscht. Gesundheitsamtsleiter Dr. Rainer Mainka spricht von einem ersten enormen Behandlungsfortschritt erst ab der Jahrtausendwende. Nach und nach hätten Mediziner die Krankheit besser in den Griff bekommen. Hauptsächlich wurde das Immunsystem von Patienten wieder aufgebaut und versucht, das Virus zu bekämpfen. Einer Immuntherapie unterzog sich dann im Januar 2004 auch Irmi, mit fatalen Nebenwirkungen. Ihre Haut habe gebrannt, „als würde man ein Feuerzeug ranhalten“. „Von innen habe ich mich gefühlt, als wäre ich schon gestorben“, schildert sie. Viele hätten die Therapie abgebrochen. Auch Irmi verlor den Lebensmut, hatte keine Kraft mehr. 24 Wochen lang hielt sie durch, vor allem, weil sie weiter für ihre Enkel da sein wollte. Nach dem Abbruch im Oktober dann die erlösende Nachricht: Das Virus war weg, bereits seit sechs Monaten nicht mehr nachzuweisen.
Auf dem Tisch neben Irmi Bauerfried liegt an einem Oktobertag 2018 ein Messgerät mit Armmanschette. Bluthochdruck macht ihr zu schaffen. Regelmäßig muss sie zur Vorsorge wegen Lebertumoren zum Internisten. Ärzte diagnostizierten Leberzirrhose. Doch in ihren Augen ist das Schlimmste längst vorbei. „Ich habe viele Schmerzen ausgehalten, weil ich keine Tabletten nehmen wollte, die wären ja auf die Leber gegangen“, erzählt sie. Vorbei sind auch die Verdächtigungen, sie sei Alkoholikerin. Weil ihre Leberwerte ständig erhöht waren, sollen sogar Ärzte ihre Tochter gefragt haben, ob ihre Mutter heimlich trinke. Obwohl drei Zeilen über der Zahl der erhöhten Werte die Diagnose Hepatitis C stand und durchaus bekannt war, dass Leberschäden die unmittelbare Folge sein könnten.
Irmi lebt nach wie vor bescheiden, ist weder verbittert, noch reumütig für all das, was ihr widerfahren ist. Als sie in Frührente ging, erkrankte ihre Mutter an Krebs. Die Rieserin ist froh, dass sie sie damals pflegen konnte. Später hatte sie zudem viel Zeit für die Enkel. Auch dafür ist sie heute dankbar. Durch die Reha im Bayerischen Wald hat sie viele Leute kennengelernt, mit ihnen Gespräche geführt und Hoffnung gesammelt. Nicht zuletzt verliebte sie sich dort beim Tanzen in ihren Mann. Könnte Irmi sich noch einen Wunsch erfüllen, dann würde sie gern in den Bayerischen Wald fahren, einen kurzen Urlaub machen, am besten mit Tochter und Enkel. Für sie ist der Bayerische Wald ein Sehnsuchtsort, mit besonderer Bedeutung. „Mir hat es leid getan, dass wir da vor seinem Tod nicht hingefahren sind“, sagt Irmi. Ihr Mann starb 2013, er war nicht infiziert. Er wollte so gern noch einmal seine Heimat besuchen.
Als Irmi von den Ansteckungen in Donauwörth gelesen hat, war ihr erster Gedanke: „Das kann doch gar nicht sein, da stimmt doch was nicht.“Dass die rund 40 Betroffenen Ähnliches durchstehen müssen wie sie, glaubt die Großmutter nicht.
Heute sei die Krankheit deutlich besser zu behandeln. Von sehr guten Therapieerfolgen spricht auch Mainka. Seit gut drei Jahren gebe es neue Medikamente. Diese seien so effektiv, dass durch eine zügige Behandlung „95 Prozent der Betroffenen zu 100 Prozent“geheilt würden. Mainka sagt: „Heute können wir das Virus beseitigen. Wer sich frühzeitig behandeln lässt, bei dem ist das Virus im Blut nicht mehr nachweisbar.“Dagegen sei das Virus früher ein gefürchteter Erreger gewesen. „Wir konnten nichts dagegen machen.“*Name geändert