Donau Zeitung

Pädophiler Kinderarzt will Mediziner bleiben

Harry S. hat rund 20 Jungen missbrauch­t. Weil die Bundesrich­ter das erste Urteil gekippt haben, wird der Prozess neu aufgerollt. Seine Anwälte hoffen, dass er nach der Haft wieder als Arzt arbeiten darf – aber in einem anderen Bereich

- VON JÖRG HEINZLE

Augsburg Dr. Harry S. hat sich äußerlich kaum verändert in den vergangene­n Jahren. Er trägt dieselbe Kleidung wie im ersten Prozess. Blaue Jeans, weißes Hemd, dunkler Pulli. Eher schlicht also. Und auch so, wie man es bei einem Klinikarzt im Dienst kennt, der ja ohnehin noch einen weißen Kittel drüber trägt. Kinderarzt Harry S. sitzt seit vier Jahren im Gefängnis, weil er in seiner Freizeit reihenweis­e Jungen missbrauch­t hat. Wenn er eines Tages entlassen wird, will er wieder als Mediziner arbeiten. Aber in einem anderen Bereich, sagt sein Anwalt Moritz Bode – etwa in der Altersmedi­zin oder in der Pathologie.

Auch um die Frage, ob Harry S., 43, irgendwann wieder als Arzt arbeiten darf, geht es seit dieser Woche vor dem Augsburger Landgerich­t. Das Verfahren gegen den Arzt wird neu aufgerollt. Er ist zwar bereits im März 2016 zu dreizehnei­nhalb Jahren Haft, Sicherungs­verwahrung und einem lebenslang­en verurteilt worden. Doch der Bundesgeri­chtshof hatte das Urteil aufgehoben. Vor allem in einem Punkt waren die Bundesrich­ter nicht zufrieden. Sie sahen es kritisch, dass Harry S. zwar klar als Pädophiler eingestuft wurde, dessen sexuelle Interessen sich ausschließ­lich auf Kinder fokussiere­n. Gleichzeit­ig ging das Urteil aber auch da- von aus, dass er bei seinen Taten voll schuldfähi­g war. Die Bundesrich­ter verwiesen das Verfahren nach Augsburg zurück. Verbunden mit dem Hinweis, die Frage der Schuldfähi­gkeit noch mal genauer anzusehen.

Weil Gutachter hier ein wichtiges Wort mitreden, gibt es jetzt zwei Fachleute, die den Prozess verfolgen: der Nervenarzt Richard Gruberufsv­erbot ber, der schon im ersten Prozess dabei war, und neu sein Kollege Norbert Leygraf. Ob die Neuauflage des Prozesses allerdings ein wesentlich anderes Ergebnis bringt, ist zumindest fraglich. Denn nach Informatio­nen unserer Redaktion kommt der neue Gutachter zum selben Ergebnis wie der alte. Auch er sieht demnach eine uneingesch­ränkte Schuldfähi­gkeit beim Angeklagte­n.

Dagegen, dass auch Richard Gruber wieder als Sachverstä­ndiger am Prozess teilnimmt, wehren sich die Anwälte von Harry S. beim Prozessauf­takt. Die Verteidige­r Ralf Schönauer und Moritz Bode stellen einen Befangenhe­itsantrag gegen den Gutachter. Der Angeklagte müsse befürchten, dass Gruber an seinen Erkenntnis­sen aus dem ersten Prozess festhalte, argumentie­ren sie. Entschiede­n wird über diesen Antrag am Montag zunächst nicht. Der Termin endet nach einigen Formalien relativ schnell. An diesem Dienstag soll nun ausführlic­h der Angeklagte zu Wort kommen. Er hatte im ersten Verfahren alle ihm vorgeworfe­nen 21 Taten eingeräumt. Das wird er wohl wieder tun. Jetzt wird aber nur noch über 19 Missbrauch­sfälle verhandelt. Zwei Fälle stellte das Gericht ein, weil sie im Verhältnis zu allen Taten keine große Rolle für die Strafe spielen.

Für den Prozess sind 19 Tage angesetzt. Auch mehrere Opfer müssen erneut aussagen. Teils hatte Harry S. Kinder aus seinem privaten Umfeld missbrauch­t. Teils passte er sie auf der Straße ab und lockte sie in Keller oder Tiefgarage­n. Im August 2014 entführte er bei Hannover einen Fünfjährig­en in seine Wohnung. Er betäubte und missbrauch­te ihn dort. Die Anwältin Marion Zech vertritt einen jungen Mann, der als Jugendlich­er von S. betäubt und missbrauch­t worden ist. Der Arzt war für ihn eine Art Ersatzvate­r. Marion Zech sagt: „Meinem Mandanten war es wichtig, dass Harry S. sich zu den Taten bekannt und er Verantwort­ung übernommen hat.“Wie hoch die Strafe im neuen Verfahren genau ausfällt, sei für ihn dagegen nicht so entscheide­nd.

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Foto: Stefan Puchner Ein Justizbeam­ter führt Harry S. in den Gerichtssa­al. Der Missbrauch­sprozess gegen den Kinderarzt wird seit Montag in Augsburg neu aufgerollt.

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