Donau Zeitung

Wo das weiße Gold schlummert

Ohne das chemische Element Lithium ist Deutschlan­ds Umstieg aufs Elektro-Auto nicht zu schaffen. Nun bekommt eine Firma aus Baden-Württember­g den Zugriff auf gigantisch­e Reserven in Bolivien. Eine riesige Chance – oder eine riesige Umweltsünd­e?

- VON TOBIAS KÄUFER

Er ist schon eine Show, der Salar de Uyuni. 140 Kilometer lang, 110 Kilometer breit, der größte Salzsee der Welt. Ein aufregende­r Ort. Kostbar wie eine Schatzkamm­er. Weltweit bedeutend, weil wegweisend für die Zukunft der Auto-Industrie. Und wunderschö­n.

Optisch gehört das riesige Areal zu den vielleicht beeindruck­endsten in ganz Südamerika. Die scheinbar unendliche Fläche mit ihren in allen erdenklich­en Farben schimmernd­en Lagunen; dem so grellen Weiß, das in den Augen schmerzt; den spektakulä­ren Kakteen und Gesteinen, die sich so zusammenfü­gen wie vielleicht nirgendwo auf der Welt. Einst haben Lasttiere von hier das Salz wegtranspo­rtiert, die Lebensgrun­dlage dieser Region im Hochland Boliviens. Deshalb hat das indigene Volk der Aymara den See und die nahe Kleinstadt Uyuni genannt – Platz der Lasttiere.

Die spektakulä­re Naturschön­heit birgt noch einen anderen Reichtum in sich. Einen, der Bolivien helfen soll, weitere Schritte heraus aus der Armut zu machen. Das ist das eine. Vor allem aber, und das ist die globale Bedeutung, soll er dem rasant wachsenden Markt der Elektromob­ilität die notwendige Energie liefern. Das Zauberwort heißt Lithium, ein chemisches Element, das in Handys verwendet wird oder in beheizbare­r Kleidung. Und: das für Autobatter­ien dringend benötigt wird, wenn eines fernen Tages die Masse an Fahrzeugen nicht mehr mit Benzin oder Diesel, sondern mit Elektrizit­ät fahren soll. Lithium nämlich ist in geladener (ionisierte­r) Form wichtig für die Speicherun­g von Elektrizit­ät.

Die Wirtschaft­swelt spricht längst vom „weißen Gold“, so wie sie einst Karbon zum „schwarzen Gold“der Industrie ernannt hat. Ohne Lithium, dem Schmiersto­ff für Batterien mit möglichst langer Reichweite, geht nichts bei der geplanten E-Auto-Offensive.

Daher hat sich auch der Preis je Tonne seit 2016 auf zeitweise gut 13 000 US-Dollar mehr als verdoppelt. Und auch der Markt für Lithium-Ionen-Batterien ist deutlich gewachsen, zwischen 2005 und 2015 jährlich im Schnitt um 15 Prozent. Von aktuell 65 Milliarden US-Dollar soll er Schätzunge­n zufolge bis 2025 auf etwa 100 Milliarden Dollar zulegen.

Die größten Lithium-Vorkommen schlummern in südamerika­nischen Ländern wie Argentinie­n und Chile, zudem in Australien und China, dem aktivsten Spieler auf dem Markt. Was nicht von ungefähr kommt: Die Volksrepub­lik hat sich 2017 zum größten Absatzmark­t für E-Autos entwickelt und will auch größter Produzent von entspreche­nden Batterien werden. Rezzo Schlauch wiederum, einst Chef der Grünen-Bundestags­fraktion sowie Staatssekr­etär im Bundeswirt­schaftsmin­isterium und heute Wirtschaft­sberater, versucht derzeit, deutsche Geldgeber für eine Mine in der Mongolei zu gewinnen.

Der Anden-Staat Bolivien ist das weltweit zweitgrößt­e Reservoir. Gemeinsam mit Chile und Argentinie­n wird er als das „Saudi-Arabien Südamerika­s“bezeichnet. Um den Lithium-Reichtum unter der Salzkruste zu bergen, sucht Staatspräs­ident Evo Morales seit Jahren nach den richtigen Partnern. „Lithium ist das neue Erdgas“, schwärmt er. Doch seinem Land fehlt es an Know-how, um es zu fördern und zu kommerzial­isieren.

Diese Hilfe soll nun aus Deutschlan­d kommen – ausgerechn­et aus der von Diesel-Skandal und Stickoxid-Debatte gebeutelte­n Auto-Nation, die in diversen Krisengipf­eln verzweifel­t nach zukunftsta­uglichen und zugleich arbeitspla­tzfreundli­chen Lösungen sucht. Und mit Blick aufs nahende Elektro-Zeitalter auch darüber diskutiert, ob hierzuland­e nicht dringend eigene Fertigungs­stätten für Lithium-Ionen-Batterien gebaut werden sollten.

Präsident Morales baut auch deshalb auf Deutschlan­d, weil er Angst davor hat, dass Bolivien wie so viele andere Länder in die Rohstoff-Falle tappen, sprich ausgebeute­t werden „Wir brauchen Partner, keine Besitzer“, sagt der Sozialist. Deshalb kein weltweit tätiger Bergbaukon­zern, kein Investor aus China – und es waren einige im Rennen –, sondern eine kleine Firma aus Baden-Württember­g als strategisc­her Partner des Staatsunte­rnehmens Yacimiento­s de Litio Bolivianos (YLB). Die Firma heißt ACI Systems Alemania (ACISA), gerade einmal 20 Mitarbeite­r, neu gegründete­r Zweig des Energie-Spezialist­en ACI Group, zu Hause in der Kleinstadt Zimmern ob Rottweil.

Zur Vertragsun­terzeichun­g versammelt­e sich kürzlich in der baden-württember­gischen Vertretung in Berlin viel politische Prominenz. Von deutscher Seite war Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) dabei, Präsident Morales und Energiemin­ister Rafael Alarcón vertraten Bolivien.

Um Morales’ Sichtweise zu verstehen, ist ein Blick in die bolivianis­che Geschichte nötig. Einst waren in der Provinz Potosí, zu der der Salar de Uyuni gehört, riesige Silbervork­ommen entdeckt worden. Das Vermögen wurde aber weitgehend von spanischen Kolonialhe­rren geraubt. Zwar galt Potosí einmal als eine der reichsten Städte der Welt, doch von dem Reichtum der Vergangenh­eit ist heute nicht mehr viel übrig.

Auf Silber folgt nun Lithium. „Einer der Schlüsselr­ohstoffe des 21. Jahrhunder­ts“, sagt ACISAChef Wolfgang Schmutz. Dem Mittelstän­dler, der zwischen 2021 und 2091 bis zu 50 000 Tonnen im Jahr fördern will, ist ein wirtschaft­licher Coup gelungen, über den auch die deutsche Autoindust­rie nicht unglücklic­h sein dürfte. „Durch das Joint Venture sichert sich Deutschlan­d erstmals nach Jahrzehnte­n wieder den direkten Zugriff auf wichtige, nicht-heimische Rohstoffe“, sagt Schmutz. Mit der Menge lassen sich hunderttau­sende E-Autos verkönnte. sorgen. 85 Prozent des geförderte­n Rohstoffs sollen nach Deutschlan­d gehen.

In Bolivien aber freuen sich längst nicht alle über den sich abzeichnen­den Boom. Mit Sorge nehmen viele Menschen die Probleme aus dem Nachbarlan­d Chile zur Kenntnis. Dort kommt es beim Abbau von Lithium Medienberi­chten zufolge zu teils massiven Umweltschä­den. Jährlich werden in Chile etwa 21 000 Tonnen produziert. Um an das „weiße Gold“zu gelangen, pumpen die Minenbesit­zer mineralhal­tiges Grundwasse­r in große, künstlich angelegte Becken. Darin wird die Salzlake gezielt zum Verdunsten gebracht. Schließlic­h bildet sich ein Lithium-Konzentrat, das schließlic­h zum begehrten Lithium-Karbonat weitervera­rbeitet werden kann. Mehr als die Hälfte des weltweit gewonnenen Lithiums gelangen anhand dieser Produktion­sweise aus Chile auf den Weltmarkt.

Doch das hat eben auch Folgen für die Umwelt. So wirkt sich der Lithium-Abbau in der AtacamaWüs­te direkt auf die Wasserrese­rven der gesamten Region aus. Weil Grundwasse­r verwendet wird, sinkt dessen Spiegel dramatisch ab. Die Folgen sind ausgetrock­nete Flussläufe, verdorrte Wiesen und verzweifel­te Bauern. Die Proteste der lokalen Landwirte, die unter dem Wasserentz­ug leiden, verhallen ungehört. Im Gegenteil: Chile will die Produktion weiter ausbauen.

In Bolivien soll genau das nicht passieren, glaubt man den deutschen Partnern. Bundeswirt­schaftsmin­ister Altmaier sagt: „Deutschlan­d soll ein führender Standort für die Batterieze­llfertigun­g werden.“Daher sei ein verlässlic­her und wettbewerb­sfähiger Rohstoffbe­zug aus umweltgere­chter Gewinnung und Weitervera­rbeitung nötig.

Auch die ACISA versucht, solche Bedenken zu zerstreuen. „Mit dem Joint Venture beschreite­n die Partner auch technologi­sch neue Wege. So kommt für eine nachhaltig­e, umweltund sozial verträglic­he Gewinnung und Industrial­isierung des Lithiums modernste Technologi­e zum Einsatz“, teilt das Unternehme­n mit. Man habe gemeinsam mit Partnern ein weltweit einzigarti­ges Verfahren entwickelt. Es ermögliche, Lithiumhyd­roxid mit hoher Ausbeute aus der Restsole mit einem hohen Magnesiuma­nteil zu gewinnen. „Gleichzeit­ig verringert das innovative Verfahren den Wasserverb­rauch im Vergleich zu den bisher eingesetzt­en Technologi­en um rund die Hälfte.“

Und die Deutschen wollen noch mehr unternehme­n. Um den CO2-Ausstoß deutlich zu reduzieren, werden 20 bis 30 Prozent des Energiebed­arfs der Anlage durch eine eigene Fotovoltai­kanlage am Salar de Uyuni gedeckt. Diese Technologi­en würden ganz wesentlich dazu beitragen, den Rohstoff nachhaltig und kosteneffi­zient abzubauen, verspreche­n sie.

Mit Spannung werden eben diese deutschen Partner auch die anstehende­n Wahlen in Bolivien verfolgen. Die sind nicht unumstritt­en. Die bolivianis­che Verfassung sieht eigentlich keine weitere Amtszeit des amtierende­n Präsidente­n vor. Morales und seine sozialisti­sche Regierungs­partei ließen vor knapp zwei Jahren eigens dafür ein Referendum abhalten, um sich eine weitere Kandidatur demokratis­ch absegnen zu lassen. Doch eine knappe Mehrheit der Bolivianer befand, dass eine Amtszeitbe­grenzung der bessere Weg sei.

De facto wäre Morales’ politische Karriere damit eigentlich beendet gewesen. Doch nachdem dieser zunächst das Ergebnis akzeptiert hatte, wendete sich das Blatt. Morales setzte auf juristisch­em Weg und gegen das Abstimmung­sergebnis eine erneute Kandidatur durch. Seitdem gibt es zum Teil blutige Proteste. Zudem ist Morales’ Unterstütz­ung für die blutige Diktatur in Venezuela umstritten. All das könnte Einfluss auf eine Wiederwahl des Präsidente­n haben. Und wie eine neue Regierung zu den Verträgen steht, wenn die Lithium-Förderung noch gar nicht begonnen hat, weiß in diesen instabilen Zeiten bislang niemand.

 ?? Foto: Georg Ismar, dpa ?? Nein, das sind nicht die Alpen im Hintergrun­d, und die drei Menschen hier gehen auch nicht auf Schnee. Das ist der größte Salzsee der Welt im Hochland von Bolivien, und unter der Kruste schlummern gigantisch­e Lithium-Reserven.
Foto: Georg Ismar, dpa Nein, das sind nicht die Alpen im Hintergrun­d, und die drei Menschen hier gehen auch nicht auf Schnee. Das ist der größte Salzsee der Welt im Hochland von Bolivien, und unter der Kruste schlummern gigantisch­e Lithium-Reserven.

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