So soll Sportkleidung nachhaltig werden
In München läuft momentan die größte Messe der Branche. Kaffeesatz, Rizinussamen und Holz sollen Jacken und Co. umweltfreundlicher machen. Ein Aussteller zeigt, wie man mit einer „Mikrofabrik“Ressourcen schonen kann
München Es war im Jahr 2011, als die Umweltorganisation Greenpeace die Outdoor-Branche als Kampagnenziel für sich entdeckte. Unter dem Schlagwort „Detox“wollten die Naturschützer bestimmte Substanzen – um genau zu sein, per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) – aus den beschichteten Outdoor-Jacken verbannen. Nick Brown, der mit seinem britischen Unternehmen Nikwax bereits Ende der 90er Jahre ein umweltfreundliches Imprägniermittel auf den Markt brachte, hat dafür eine Erklärung: Auch wenn sämtliche andere Branchen Umweltsünden begehen, die Hersteller von Sport-Funktionskleidung haben eine ganz besondere Rolle: „Wir können in dem Bereich führend sein, weil die OutdoorKunden die Natur lieben“, sagt Brown. Noch bis morgen läuft in München die Ispo, die größte Messe der Sportindustrie. An vielen Ständen prangt das Wort Sustainability – deutsch: Nachhaltigkeit.
Eine Innovation stellt der deutsche Bergsportausrüster Vaude vor. Es ist die Lösung für ein Problem, das erst seit kurzer Zeit Umweltschützer umtreibt: Kleinste Plastikteilchen, die durch den Abrieb von synthetischer Kleidung entstehen, gelangen über das Waschwasser in die Meere. Dieses sogenannte Mikroplastik wird nicht abgebaut und reichert sich auch im Boden an. Weil die Partikel so klein sind, können Pflanzen sie über die Wurzel aufnehmen. So gerät das Mikroplastik auch in unsere Nahrungskette. Besonders schädlich: Fleecejacken. Beim Waschen lösen sich Fusseln aus Kunststoff und enden ebenso wie der Abrieb als Mikroplastik. Die Produktentwickler von Vaude suchten nach einer Alternative: Und fanden sie in Holz. Eigentlich wird Fleece aus synthetischen Fasern hergestellt. Gemeinsam mit einem italienischen und einem österreichischen Hersteller entwickelte Vaude einen Fleece-Stoff, der biologisch abbaubar ist. Dem Unternehmen zufolge löst sich der Holz-Pelz nach 90 Tagen im Wasser vollständig auf. Das Modell „Miskanti“kostet rund 130 Euro. Völlig unbedenklich für die Umwelt ist die Jacke allerdings nicht. Denn im Obermaterial steckt Polyester. Oliver Mengens von Vaude betont aber: „Wir müssen mit irgendetwas anfangen.“Die Herausforderung für die Branche sei, umweltfreundliche Lösungen zu finden, die auch die Bedürfnisse der Kunden befriedigen, so Mengens. Seit einigen Monaten verzichtet das Unternehmen auch komplett auf PFC.
Der Hersteller Primaloft hat zur Ispo eine Technologie vorgestellt, dank derer sich auch synthetische Fasern biologisch abbauen können. Das gilt unter bestimmten Bedingungen, wie sie nach Unternehmensangaben etwa auf Mülldeponien oder im Meer vorherrschen. Vereinfacht gesagt sind diese Fasern so behandelt, dass sie für Mikroben, die dort leben, attraktiv scheinen. Ein Bestandteil des Materials ist Primaloft zufolge „wie eine Art Zucker“für sie. Die kleinen Organismen verdauen die Faser und zersetzen die Inhaltsstoffe. Am Ende sollen lediglich Wasser, Kohlendioxid, Methan und Biomasse übrig bleiben.
Das französische Label Picture Organic Clothing verarbeitet in seiner Jacke „Harvest“unter anderem eine Membran, die zu etwa einem Drittel aus dem Öl von Rizinussamen besteht. Der deutsche Hersteller Schöffel erreicht nach Angaben von Produktmanagerin Johanna Keinath in der Ski- und OutdoorKollektion für die Wintersaison 2019/20 einen Anteil von 20 Prozent an recycelten Materialien – darunter auch getrockneter Kaffeesatz. Fasern aus dem Naturstoff haben noch einen weiteren Vorteil: Sie sollen geruchshemmend wirken.
Das schwedische Unternehmen Polygiene möchte Sportkleidung ebenfalls dank geruchshemmender Technologien umweltfreundlicher machen. Wie das funktionieren soll? Weil das T-Shirt nicht oder nur wenig müffelt, kann der Verbraucher es länger tragen und spart so Wasser und Waschmittel. Von Polygiene behandelte Kleidung soll übrigens nicht nur körpereigene Ausdünstungen neutralisieren, sondern auch Bratwurstgeruch und Zigarettenqualm. Dem Unternehmen zufolge basiert die Technologie auf Silber und Silikaten. Letzteres ist ein natürliches Material: Das wohl bekannteste Silikat ist Sand.
Nicht weniger als die Textilindustrie in eine nachhaltige Zukunft führen will Professor Christian Kaiser vom Deutschen Institut für Textil-und Faserforschung. Auf der Ispo produzieren 13 Technologiepartner auf kleinstem Raum in ihrer „Mikrofabrik“eine Skihose: Auf einem Computer wird mit einigen Klicks eine 3D-Figur eingekleidet. Nach knapp drei Stunden haben Näherinnen den letzten Faden fixiert. Produktion, die sich perfekt an der Nachfrage orientiert, keine Prototypen mehr und passgenaue Kleidung, an der die Kunden lange Freude haben – das wird dazu führen, dass weniger Textilien auf den Müllhalden landen, ist Kaiser überzeugt.
Apropos Müllhalden: Aus Abfall Kleidung machen – das ist inzwischen bei vielen Outdoor-Herstellern die Regel. So werden zum Beispiel alte PET-Flaschen oder Plastikmüll zu Rucksäcken und Jacken verarbeitet.