Lief der Bahnverkehr früher besser?
Winter in Bayern Seit dem Wochenende fallen wegen des Schnees wieder Züge aus. Ein Experte sagt: Das hätte es früher nicht gegeben. Woran es heute fehlt und was zu verbessern wäre
Augsburg Pendler kennen das: Sobald Schnee fällt, beginnt das Zittern. Allerdings nicht allein wegen der Kälte am Bahnsteig, sondern weil sich dann die Frage stellt: Fährt er oder fährt er nicht? Am Sonntag etwa, als in Südbayern starker Schneefall einsetzte, standen die Züge rund um Traunstein still. Die Bayerische Oberlandbahn konnte ihre Strecken in Richtung Süden – und damit in die Skigebiete am Brauneck oder am Sudelfeld – nicht mehr bedienen. Wer als Bahnkunde durchgefroren auf den Zug wartet, mag sich fragen, ob das sein muss.
Früher hätte die Bahn dies wahrscheinlich mit einem klaren Nein beantwortet. Schließlich warb sie einst mit dem Slogan: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“Wenn Bernd Mühlstraßer an das Plakat aus den 1960er Jahren denkt, muss er kurz lachen. „Winter“, sagt der Bahnhistoriker, „kann die Bahn schon lange nicht mehr.“Das liegt seiner Meinung nach vor allem daran, dass der Konzern zu wenig Personal und Räumfahrzeuge hat.
Mühlstraßer, der aus Oberammergau kommt, kennt die Entwicklung des Schienenverkehrs rund um seinen Heimatort genau: Er hat bereits zwei Bücher zu dem Thema geschrieben. Um seine Behauptung zu veranschaulichen, verweist er auf die Bahnstrecke München–Murnau–Garmisch-Partenkirchen: Im Ammertal habe es im Gegensatz zu anderen Regionen zuletzt nur leicht geschneit, dennoch: „Bis Garmisch werden kleinere Bahnhöfe nicht mehr angefahren“, sagt er. „Weil die Bahnsteige nicht geräumt sind.“Seiner Einschätzung nach hätte es das vor Jahrzehnten nicht gegeben. Denn damals habe noch an fast jedem Bahnhof ein Fahrkartenverkäufer gearbeitet, der im Winter auch zur Schneeschaufel gegriffen habe. Und es gab an jedem Knotenbahnhof Trupps von bis zu acht Männern, die jedes Gleis und jede Weiche ausgeschaufelt haben. „Selbst wenn erst in drei Tagen ein Güterzug das Gleis passierte, wurde das System permanent in Bereitschaft gehalten.“Das Personal dafür gebe es heute einfach nicht mehr.
Auch an den vorhandenen Geräten zeigt sich nach Ansicht von Mühlstraßer die Sparpolitik der Bahn: „Früher stand an jedem Knotenpunkt ein eigener Schneepflug.“Im Betriebswerk Murnau etwa war einer ausschließlich für die Strecke ins Ammertal reserviert. Inzwischen gebe es für das ganze Werdenfelsnetz, also bis nach Garmisch-Partenkirchen, nur noch einen Schneepflug. Für Murnau stehe noch eine Schneefräse bereit. Früher, so erklärt Mühlstraßer weiter, pflügten Loks mit vorgespannten Schaufeln durch den Schnee. Etwa zu Zeiten des Ausnahmewinters 1980, von dem er historische Aufnahmen hat. Damals fuhren keine Triebzüge wie heute, berichtet er. Durchs Ammertal ratterten „Silberlinge“– Personenwagen, die von der unter Nostalgikern bekannten Elektrolok der Baureihe E69 gezogen wurden. „Die haben den Schnee locker gewuppt.“Mittlerweile hätten sich die Prioritäten des Konzerns geändert, ist Mühlstraßer überzeugt. Streckenabschnitte würden demzufolge oft erst gar nicht geräumt, sondern gleich Ersatzbusse eingesetzt. „Obwohl der Zug bei dem Wetter das sicherste Verkehrsmittel ist.“So war das auch am Montag auf der Strecke zwischen München und Bayrischzell, auf der die Bayerische Oberlandbahn fährt. Ab Holzkirchen wurden Busse eingesetzt. Auch der Meridian meldete Zugausfälle auf der Strecke München–Salzburg und München–Rosenheim wegen Weichenund Signalstörungen.
Der Chef der Bayerischen Oberlandbahn, Fabian Amini, hat immer wieder deutliche Kritik an der DB Netz geübt. Die Bahntochter ist für den Unterhalt der Gleise zuständig. Das Unternehmen habe zu spät und zu wenig Kapazitäten zum Schneeräumen zur Verfügung gestellt, sagte Amini Anfang Januar.
So einfach ist das nicht, sagt dagegen ein Sprecher der Bahn: „Ein Gleis ist kein simples Asphaltband.“Schienen könne man folglich nicht ganz so leicht schneefrei halten wie eine Autobahn. Was das Räumen erschwert: Die installierte Leit- und Sicherungstechnik darf nicht beschädigt werden, wenn etwa ein schweres Gerät Strecken frei fräst. Weichen und Signalanlagen müssen zudem von Hand freigelegt werden. Das sei zeitaufwendig. Dass zu wenig Personal oder Räumfahrzeuge eingesetzt werden, ist nach Angaben der Bahn nicht der Fall. Bei starkem Schneefall wie Anfang Januar seien in Bayern an den rund 1000 Bahnhöfen und auf dem gut 5000 Kilometer langen Streckennetz mehr als 600 Mitarbeiter und mehr als ein Dutzend Schneepflüge und -fräsen im Einsatz.
„Winter kann die Bahn schon lange nicht mehr.“
Bahnhistoriker Bernd Mühlstraßer