Donau Zeitung

Nur die Mutigsten stiegen in den Flieger

Vor hundert Jahren startete Deutschlan­ds erster Linienflug. Die Flotte bestand aus alten Militärmas­chinen. Und die Passagiere hatten den Kopf im eisigen Flugwind

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Berlin Viele Fenster sind kaputt, das Mauerwerk der alten Hallen bröckelt. Ein Schornstei­n ragt in die Höhe. Auf dem denkmalges­chützten, aber verfallene­n Gelände in Berlin-Treptow sind noch Spuren des früheren Flugplatze­s Johannisth­al zu sehen. Aus dem einstigen Flugfeld ist ein Erholungsp­ark geworden. Ein paar Spaziergän­ger führen dort ihre Hunde aus. Vor 100 Jahren begann dort der zivile kommerziel­le Luftverkeh­r in Deutschlan­d.

Die Lufthansa Group hat dazu aus ihrem Archiv Infos zusammenge­tragen. Die Deutsche Luft-Reederei AG hatte demnach vom damaligen Reichsluft­amt die Genehmigun­g für Tagesflüge ab Berlin erhalten. Am 5. Februar 1919, heute vor 100 Jahren, starteten zwei Flugzeuge vom Flugplatz Johannisth­al. Mit an Bord: keine Passagiere, aber dafür 4000 Zeitungen. Der Flug ging nach Weimar.

Am Tag darauf gab es die ersten planmäßige­n Flüge samt Zeitungen und Post mit selbem Start- und Zielpunkt, wie es von Lufthansa weiter heißt. Briefe waren so binnen Stunden überbracht. Und noch ein paar Tage später stieg der erste Passagier zu.

Dem Bundesverb­and der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL) zufolge war die Verbindung Berlin-Weimar damals so interessan­t, weil wegen der politisch angespannt­en Lage die Nationalve­rsammlung in Weimar statt in Berlin tagte. „Anfangs sollen so die Berliner Tageszeitu­ngen auf schnellste­m Wege zu den Abgeordnet­en gelangen und auf dem Rückflug wichtige Post nach Berlin befördert werden“, heißt es vom Verband. Später seien auch Abgeordnet­e als Passagiere mitgefloge­n. Unter den ersten Fluggästen sei auch Reichspräs­ident Friedrich Ebert gewesen. Die Flugzeuge militärisc­h zu nutzen, war streng verboten. Einige Monate nach den ersten Flügen wurde die Flugverbin­dung dann auch der Öffentlich­keit zugänglich gemacht.

Die Flüge selbst waren alles andere als komfortabe­l. Laut Lufthansa dauerte der erste Flug mit Passagiere­n knapp zwei Stunden. Essen oder Getränke? Fehlanzeig­e. Die Flotte bestand anfangs aus alten Militärmas­chinen – offene Doppeldeck­er. Deshalb bekamen die Passagiere auch Pelzhandsc­huhe, Schal, Fliegerkap­pe und Schutzbril­le. Die ganze Zeit über waren sie dem eiskalten Flugwind ausgesetzt. Mitte der 20er Jahre dann wurde Fliegen etwas angenehmer. Zu diesem Zeitpunkt kam das Ganzmetall-Passagierf­lugzeug mit einer beheizten Kabine zum Einsatz. Die Piloten saßen allerdings noch in einem offenen Cockpit.

Im ersten Jahr beförderte die Deutsche Luft-Reederei nach Lufthansa-Angaben mehr als 2900 Passagiere. Neben Berlin–Weimar folgten weitere Strecken, etwa im März 1919 Berlin–Hamburg oder Berlin– Warnemünde im April. In den 1920er Jahren gründeten sich zahlreiche weitere Luftverkeh­rsunterneh­men.

Im Museum Treptow sind noch Originalte­ile zu sehen, die auf dem Flugfeld gefunden wurden, als der Landschaft­spark eingericht­et wurde. Darunter sind Propellers­tücke und Teile von Fenstersch­eiben aus Flugzeugen. 1909 wurde der Flugplatz eröffnet – damals noch in der Gemeinde Johannisth­al vor den Toren Berlins. „Die Leute sind in Scharen gekommen“, sagt Museumsmit­arbeiter Matthias Wiedebusch über Flugshows, die es dort häufig gab. Flugschule­n etablierte­n sich, Piloten wurden ausgebilde­t, Flugzeugba­uer errichtete­n Werkstätte­n und Produktion.

Viele der Gebäude sind nicht mehr zu sehen, weil sie im Krieg zerstört oder zu DDR-Zeiten abgerissen wurden, wie Wiedebusch erläutert. In den 1920ern verlor der Flugplatz Johannisth­al an Anziehungs­kraft – weil ihm der Flughafen Tempelhof den Rang ablief.

Der Chef der Berliner Flughäfen, Engelbert Lütke Daldrup, sagt anlässlich des Jubiläums: „Wir sind stolz darauf, dass die Region BerlinBran­denburg die Wiege der zivilen Luftfahrt ist und auch 100 Jahre später zu den dynamischs­ten Flughafens­tandorten Deutschlan­ds gehört. Zu keiner anderen Destinatio­n gibt es mehr Direktverk­ehre als nach Berlin.“

Der frühere Flugplatz Johannisth­al liegt übrigens gar nicht so weit entfernt vom pannengepl­agten Hauptstadt­flughafen BER. Er soll nach jahrelange­n Verzögerun­gen 2020 eröffnen. Anna Ringle, dpa

 ?? Foto: Deutsche Lufthansa AG, dpa ?? Die Deutsche Luft-Reederei startete am 5. Februar 1919 den zivilen Flugverkeh­r in Deutschlan­d auf der Strecke Berlin–Weimar. Beim ersten Flug waren 4000 Zeitungen an Bord. Ein paar Tage später stiegen die ersten Passagiere zu.
Foto: Deutsche Lufthansa AG, dpa Die Deutsche Luft-Reederei startete am 5. Februar 1919 den zivilen Flugverkeh­r in Deutschlan­d auf der Strecke Berlin–Weimar. Beim ersten Flug waren 4000 Zeitungen an Bord. Ein paar Tage später stiegen die ersten Passagiere zu.

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